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Radio Wuppertal und die Nacht der Flutkatastrophe | f1rstlife

Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist nun bald schon einen Monat her. Durch den Klimawandel werden sich Extremwetter-Ereignisse, wie Hochwasserkatastrophen, in Zukunft sogar noch häufen. Umso wichtiger ist daher ein Blick, wie gute regionale Notfall-Berichterstattung funktioniert. Dazu hat unsere Autorin Andrea Schöne mit Georg Rose, dem Chefredakteur von Radio Wuppertal, gesprochen.

Mitten durch die Stadt Wuppertal verläuft die Wupper von Ost nach West. Das Tal ist zusätzlich sehr eng. Da es früher immer wieder Überschwemmungen gab, wurden Talsperren gebaut. Diese sollten das Wasser regulieren und das funktionierte in den vergangenen Jahrzehnten sehr gut, erzählte mir Georg Rose, der Chefredakteur von Radio Wuppertal, am Telefon. Er wohnt schon seit 25 Jahren in der Stadt und hat selbst noch nie ein Hochwasser dort erlebt. In der Nacht vom 15. Juli auf den 16. Juli wäre es fast anders gekommen.

Unter dem Hashtag #Flutwelle herrschte auf Twitter ein großes Durcheinander und Verwirrung. Radio Wuppertal stand im Mittelpunkt, um Informationen über die Lage weiterzugeben. „Ich glaube, man hat sich beim Wupperverband sehr stark darauf verlassen, dass es immer gut gegangen ist und es diesmal wahrscheinlich auch gut gehen wird. Das war sicherlich ein wesentlicher Punkt, warum dann in Wuppertal auf einmal die große Überraschung kam", erklärt der Journalist.

Radio Wuppertal macht bürgernahe Warnung in der Hochwassernacht

Um 20:35 Uhr bekam Georg Rose aus dem Presseamt der Stadt Wuppertal einen Anruf. Da hieß es: Es könnte alles doch ein bisschen dramatischer werden, als vorher angenommen und die Redaktion solle der Sache doch mal nachgehen. Rose rief daraufhin Jasmin Assauer, Moderatorin für die Frühsendung, an und vereinbarte mit ihr, eine Sondersendung über das Hochwasser zu starten.

Nach einem normalen Arbeitstag, schildert der Chefredakteur, machten sie die ganze Nacht eine Sondersendung. Direkt um 21:05 führte Radio Wuppertal das erste Telefon-Interview mit dem Krisenstab in Wuppertal. Sie informierten die Bevölkerung über die aktuellen Warnungen und ordneten die Geschehnisse ein. Die Nachrichten-Redaktion recherchierte aus dem Home-Office und füllte mit zugelieferten Beiträgen die Sendung.

Das Mantel-Programm, also insbesondere die Weltnachrichten und das Nachtprogramm, liefert Radio NRW dem Lokalradiosender Radio Wuppertal. Normalerweise laufen um 19:30 Uhr die letzten Lokalnachrichten. Ab 19:35 Uhr gibt es einen Notdienst. Außerdem sind der Chefredakteur und eine Stellvertreterin immer per Handy erreichbar. Ihre mobilen Nummern sind bei der Polizei, der Feuerwehr und verschiedenen öffentlichen Stellen für Notfallsituationen hinterlegt. So verbreiten sich bürgernahe Warnungen in einer Hochwassernacht.

Schlimmer als gedacht

Die Radionacht bei Radio Wuppertal zeigt, wie schnell sich Informationen und die Lage ändern können und wie wichtig eigene Recherchen und Einschätzungen im Journalismus sind. Die Redaktion von Radio Wuppertal liegt in einer alten Fabrik, direkt an der Wupper. Daher bemerkte auch die Redaktion das ansteigende Hochwasser. Noch um 19:10 Uhr bekamen sie vom Wupperverband, der für die Überwachung der Talsperren zuständig ist, eine Pressemitteilung. Diese informierte, dass es zwar zu vereinzelten Überflutungen am Wupper-Ufer kommen könne, aber der kritische Pegel nicht erreicht werde.

Nach dem kritischen Pegel würde Wuppertal unter Wasser stehen. Etwas mehr als eine Stunde später verschärfte sich die Lage bereits und Rose startete mit den Morgen-Moderator*innen Jasmin Assauer und Jens Voss die Sondersendung. Reporter*innen meldeten von draußen die Lage vor Ort. Um 22:02 Uhr erreichten Rose dann erneut Informationen aus dem Krisenstab: Es ist doch alles viel schlimmer als gedacht. Die beiden Talsperren werden im Laufe der Nacht überlaufen. Möglicherweise könnte gar eine Flutwelle die ganze Stadt überschwemmen. Daraufhin beschloss der Chefredakteur mit seinem Team, die Sondersendung auf die gesamte Flutnacht auszuweiten.

Der Regionalsender ist auch an das bundesweite Modulare Warnsystem, kurz „MoWas", angeschlossen. „Die Übertragung der Warnmeldungen erfolgt über Satelliten und macht das System technisch daher unempfindlich gegen Stromausfälle und Ausfälle der terrestrischen Übertragungswege", schreibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auf seiner Homepage. Per Mail erhielt die Redaktion um 21 Uhr die erste MoWas-Meldung, die noch relativ harmlos war. Als der Krisenstab vor Ort bereits vor der Katastrophe warnte, erhielt Radio Wuppertal ungefähr um 23:20 Uhr von MoWas auch keine neuen Informationen als zuvor. Daher heißt es: Greift in Notfall-Situation nie nur auf eine Informationsquelle zurück. Lokale Stellen können genauere Daten haben.

Erst gegen 0:20 Uhr kam eine Warndurchsage von MoWas. „Das heißt, wir bekommen eine E-Mail mit einem Text, den wir dann vier Mal in der Stunde vorlesen. Wir müssen dann sofort unser Programm unterbrechen. Das ist die Verpflichtung, die wir eingegangen sind. Wir müssen diese Durchsage eins zu eins vorlesen, bis es eine Entwarnung gibt.", erklärt der Reporter den Ablauf mit MoWas und ergänzt zu gleich: „Das war natürlich extrem spät, wenn Sie überlegen, dass wir schon um 22:02 Uhr die Information bekommen haben, dass die Talsperren überlaufen werden und alles, was danach kommt, im Grunde genommen, in Gottes Hand liegt" Der Krisenstab meinte, dies wäre das höchste Hochwasser seit 500 Jahren. „Das ist völlig unfassbar", beschreibt Rose die Situation. „Für uns war das auch nochmal ein Ansporn, entsprechend weiterzumachen mit unserer Arbeit."

Wert von Regionalradio in Notfallsituationen

Für Radio Wuppertal stellte die Stromversorgung die größte Herausforderung für die Berichterstattung dar. Gegen 3:30 Uhr stellte die Stadt Wuppertal und die Stadtwerke im Auftrag der Feuerwehr im ganzen Viertel den Strom ab, da Trafos drohten, voller Wasser zu laufen. Das Notstromaggregat des Regionalradios schafft ungefähr zweieinhalb Stunden. „Wir haben in der Redaktion alle Stromverbraucher ausgeschaltet, die wir nicht brauchten. Nur das Mischpult und zwei Rechner im Studio haben wir in Betrieb gelassen, um möglichst viel Strom zu sparen.", erklärt Rose. Gegen fünf Uhr morgens war dann Schluss. Die Redakteur*innen haben dann im Home-Office über Social Media die Bevölkerung weiter informiert. Radio Wuppertal hat, als Lokalradio, eine zuverlässige und bürgernahe Berichterstattung über das Hochwasser geboten. Der Lokalsender erreichte auch neue Hörer*innen. Das zeigt, dass gerade regionale Radiosender bürgernah und zuverlässig informieren, aber bessere technische Ressourcen brauchen.

Auch hier fand die Redaktion im Notfall Lösungen. Dies zeigt gleichzeitig, wie wichtig Zusammenarbeit und Solidarität für gelingende Notfall-Berichterstattung ist. „Ein Kollege hat sein UKW-Radio geholt, es an den Rechner angeschlossen und einen Privat-Stream auf Instagram gestartet", erzählt Georg Rose stolz. 500 Leute folgten dem Stream. Auch Privatleute in Wuppertal machten es nach. „Einer hat ein Foto von seinem UKW-Radio, wo er ein Mikrofon daneben gestellt und das ans Handy angeschlossen hat, gepostet", führt der Chefredakteur weiter aus. Auch hier gab es hunderte Zuhörer*innen.

Rose weist auch auf ein weiteres Programm in der Radiowelt hin, das bei Krisensituationen, mehr Aufmerksamkeit braucht: „Immer mehr Menschen hören Radio übers Internet oder Handy. Fällt der Stream aus, haben die meisten keinen Zugriff mehr zu einem UKW-Radio." Laut Rose sei UKW immer noch der meist genutzte Ausspielweg für Radio. Aber die Internetnutzung steige immer mehr an. In Krisensituationen sei das ein Problem, wenn das Internet nicht mehr funktioniere.

Unterschätzte Hochwassersituation von öffentlichen Stellen

Gegen 4 Uhr morgens war klar: Es würde doch keine Flutwelle, wie zunächst befürchtet, kommen. Das erst vor drei Jahren sanierte Opernhaus war betroffen. Es entstand ein Schaden von bis zu acht Millionen Euro. Auch eine Gesamtschule hat es stark getroffen sowie das Heydt-Museum mit einem großen Bestand aus Kunst aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Zwei Stadtteile waren stark überschwemmt. Radio Wuppertal ging nach, was bei der Warnung schief lief. „Die Kommunikationswege scheinen, nicht gut funktioniert zu haben.

Wir haben sie ein Stückchen vor uns hergetrieben, sodass sie bereits am Dienstag-Abend (Anmerkung der Redaktion: 20. Juli) eine gemeinsame Pressemitteilung von Stadt Wuppertal und Wupper-Verband veröffentlicht haben, wo eine Reihe von Fehlern auch eingestanden wurden", beschreibt Rose die Situation. Weitere öffentliche Kritik gab es noch am WDR, welcher in dieser Nacht im Gegensatz zu Radio Wuppertal kaum der Lage nachging. Georg Rose ist auch verwundert, dass der WDR nicht der Fehleinschätzung seitens der öffentlichen Stellen in Wuppertal nachging.

Wichtige Faktoren für gelingende Notfall-Berichterstattung:

* Auch wenn es schwerfällt: Ruhe bewahren und die Informationen von verschiedenen Stellen in die aktuelle Situation einordnen. * Verlasst euch nicht auf offizielle Warnsysteme alleine. Macht eigene Recherchen vor Ort und hakt nach. * Arbeitet im Team zusammen.

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