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#DécrochonsMacron: Gewaltloser Widerstand gegen die Klimakrise | f1rstlife

Franzeska Bindè nahm mit zwölf Klimaaktivist*innen das Macron-Portrait im Rathaus in Orléans ab, um für mehr Klimaschutz zu mobilisieren. Dafür steht sie morgen wegen gemeinschaftlichem Diebstahl vor Gericht. Unsere Autorin Andrea sprach mit ihr über die Aktion und gewaltfreien Widerstand.

Vor wenigen Wochen fiel mir ein langer Post von Franzeska über die Klimakrise ins Auge. Ich sah ein großes Bild. Dort hält sie einen Zettel in die Kamera und wirkt sehr ernst und schreibt über ihre Anklage.

Während unseres Studiums in Eichstätt engagierten wie uns beide in verschiedenen Hochschulgruppen für die Menschenrechte und Vielfalt. Danach verloren wir uns aus den Augen. Am 2. März beteiligte sich meine Kommilitonin an einer radikalen, aber gewaltlosen Aktion, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Die Kampagne #DécrochonsMacron ist in ganz Frankreich aktiv.

In den Tagen vor dem Prozess traf sich Franzeska mit Vincent und Samuel, beiden Klimaaktivisten, welche mit ihr zusammen angeklagt sind. Sie müssen ihre Verteidigung mit der Anwältin bestmöglich vorbereiten. Der Prozesstag wird morgen ein Klima-Tag in Orléans. Das ganze Kollektiv arbeitet daran ganz viele Unterstützer*innen vor dem Gericht zu versammeln. Andere Vereine und Kollektive, lokale Politiker*innen, Klimaforscher*innen und eine Abgeordnete der Nationalversammlung wollen kommen. Während die jungen Klimaschützer*innen das Gericht betreten, findet eine Demonstration für mehr Klimaschutz durch die Innenstadt Orléans statt. Am Nachmittag gibt es die Möglichkeit sich bei einem Aktionstraining und Vortrag über Klimaschutz weiterzubilden.

Ausbildung in gewaltfreiem Widerstand

Während ihres Studiums engagierte sich Franzeska bei der Grünen Hochschulgruppe und ist auch selbst Mitglied der Grünen. Damals beteiligte sie sich nicht an direkten Aktionen, die Informationsarbeit stand eher im Mittelpunkt. Das änderte sich, als die junge Aktivistin vor einem Jahr bei Alternatiba eine Ausbildung zu zivilem Widerstand machte.

Dort lernte sie die Prinzipien der Gewaltfreiheit kennen. „Gewaltfreiheit bedeutet weder physische noch psychologische Gewalt auszuüben. Das heißt auch, keine Beleidigungen und keine psychologische Gewalt auf die anwesenden Personen ausüben", erklärt mir Franzeska im Skype-Interview ernst. Im der Ausbildung lernte die junge Frau auch, wie man eine Aktion plant. Alle nehmen eine klare Rolle ein. Es gibt Leute, welche die Türen blockieren. Andere sind Peacekeeper. Sie erklären den anwesenden Angestellten und Passant*innen die Aktion, damit sie den Sinn der Aktion verstehen und so gewaltfrei wie möglich empfinden. Andere halten das Handbanner. Damit die Aktionen so gewaltfrei wie möglich verlaufen, müssen alle Aktivist*innen ruhig vorgehen.

Für den Ernstfall bekamen die Aktivist*innen juristische Informationen was passiert, wenn man in Polizeigewahrsam kommt und welche Strategie sinnvoll sein könnte.

#DécrochonsMacron- Der Kampf mit Symbolen

Im Dezember forderte die Petition " "L'Affaire du siècle", auf Deutsch "Die Angelegenheit des Jahrhunderts" die französische Regierung auf mehr für den Klimaschutz zu tun. Wie viele andere Staaten erreicht die französische Politik nicht die Ziele des Pariser Klimaabkommens. Innerhalb kurzer Zeit unterschrieben über zwei Millionen Bürger*innen die Petition. Laut Le Figaro wurde sie zur erfolgreichsten Petition in der Geschichte Frankreichs. Mitte Februar antwortete die Regierung, dass kein weiterer Handlungsbedarf in der Klimafrage nötig ist.

Auf die Untätigkeit der Regierung Macrons reagiert die Kampagne #DécrochonsMacron, das bedeutet auf Deutsch soviel wie „hängen wir Macron ab". „Es handelt sich um eine komplett symbolische und gewaltfreie Aktion, wo das Portrait des Präsidenten in französischen Rathäusern abgehängt wird, um dahinter die Rathauswand so leer zu hinterlassen wie die Klima- und Sozialpolitik schon ist.", erklärt Franzeska. Die Aktionen lösen eine kontroverse Diskussion aus. In jedem Rathaus Frankreichs hängt ein Portrait des Präsidenten. „Das ist typisch französisch und hat fast noch einen monarchischen Charakter, dass ein Porträt des Staatsoberhauptes im Rathaus hängt.", erklärt Franzeska. Sie studierte einen deutsch-französischen Studiengang in Politikwissenschaft.

Kommunikation als Mittel für gewaltlosen Widerstand

Die Kampagne verfolgt zwei Ziele. Die Klimaaktivist*innen wollen die französische Politik drängen bessere Klimapoltik zu machen. Gleichzeitig wollen sie die öffentliche Meinung beeinflussen und aufzeigen, dass die Klimapolitik Macrons nicht zukunftsweisend ist. „Macron stellt sich sehr gerne als großer Klimaheld und Gegenfigur von Trump dar." Make our climate great again - das ist Macrons Slogan. „Mit der öffentlichen Meinung ist das wirklich sehr wichtig, weil „Diese Sonntagsreden von unseren Politikern haben den Effekt, dass man sich denkt es ist alles in Ordnung und so schlimm ist es schon nicht. Aber leid ist es so schlimm." Franzeska macht sich große Sorgen um die Zukunft auf der Erde. Die Klimakatastrophe. Den Bürger*innen muss bewusst werden, dass die Politik versagt.

Daher stecken die Klimaaktivist*innen viel Energie in die Öffentlichkeitsarbeit. „Während einer Aktion wird eine Live-Berichterstattung von uns selbst gemacht. Wir haben auch Aktivist*innen, die von der Aktion Fotos machen und diese weitergeben. Eine Person bleibt Zuhause oder an einem sicheren Ort mit Internetverbindung und twittert gleich live die Bilder.", erklärt Franzeska. Sie macht sehr viel Pressearbeit für die Aktionen. Nach der Aktion geben die Aktivist*innen eine Presseerklärung vom Ablauf der Aktion heraus. Journalist*innen ihres Vertrauens werden auch in die Aktionen eingeweiht, um gleich vor Ort zu berichten.

So läuft die Aktion ab

Die ersten vier Aktionen der Kampagne fanden am 21. Februar in Paris, Lyon und im Baskenland statt. Franzeskas Lokalgruppe hat sich schnell entscheiden auch Aktionen durchzuführen, weil für sie das Konzept schlüssig ist. Sie besichtigten Rathäuser in der Gegend, verteilten die Rollen und malten ein Banner mit der Aufschrift: Klima, soziale Gerechtigkeit! Wo ist Macron?

Am 2. März fand die Aktion statt. Alles verläuft ruhig und zügig. Franzeska gehört diesmal zu den drei Aktivist*innen, welche das Porträt abnehmen und auf den Fotos zu sehen ist. Zwei Peacekeeper*innen erklären der Rathausangestellten die Aktion. Sie zeigt versteht die Beweggründe der Klimaschützer*innen und ruft nicht die Polizei. Andere behalten die Türen fest im Blick oder fahren das Portrait mit dem Fahrrad an einen sicheren Ort. Franzeska weiß nicht wo sich das Bild aktuell befindet. „Wir haben das so aufgeteilt, dass die Leute, die auf dem Foto sind, nicht wissen wo das Portrait ist." Insgesamt waren 13 Personen an der Aktion beteiligt.

So ging es nach der Aktion weiter

Auch der Bürgermeister versteht die Beweggründe der Klimaschützer*innen. Dennoch möchte er das Kollektiv verklagen. Ihr Handeln wäre zu weit gegangen. Letztendlich passierte nichts. Am 14. April haben sie das Porträt bei einer Protestaktion in einem Naturschutzgebiet bei der Loire öffentlich gezeigt. „Wir haben das Portrait wieder herausgeholt, um diesem, Macron, symbolisch ein klimafeindliches Projekt zu zeigen.", erklärt Franzeska den Sinn der Aktion. Durch das Naturschutzgebiet soll die Umgehungsstraße von Jargeau gebaut werden.

Zwei Wochen nach der Protestaktion an der Loire erhielt Franzeska ein Schreiben von der Polizei. Am 13. Mai soll sie zusammen mit zwei Freunden bei der Polizei vorsprechen. Das Kollektiv bereite zur Unterstützung ein Solidaritätskomitee vor. Franzeska betrat das Kommissariat und schon wurde sie in Polizeigewahrsam genommen. Sie kam in eine Zelle, ihre Wohnung wurde durchsucht, sie wurde verhört. Die Polizei wollte wissen wo das Portrait ist. Neun Stunden später durfte sie die Polizeistelle wieder verlassen. „Letztendlich weiß ich warum ich das gemacht habe und ich weiß, dass die Klimakatastrophe wesentlich unangenehmer wird als neun Stunden Polizeigewahrsam.", beschwichtigt sie die Erfahrung.

Dennoch wird die Kampagne längst schon staatlich überwacht. Die Gruppen erfuhren, dass zwei Wochen nach Beginn der Kampagne die Terrorbekämpfung, Bureau de la lutte antiterroriste, von den Aktionen informiert wurde. Alle Kommissariate in Frankreich wurden angehalten die Aktionen weiterzugeben. Franzeska findet das unverhältnismäßig. Alle Aktionen sind öffentlich dokumentiert. „Von uns aus ist es ganz klar, dass alle Aktionen komplett offen durchgeführt werden. Das sind für uns im Prinzip bürgerliche Aktionen."

Klimamobilisierung vor Gericht

Franzeska ist mit ihren Freunden wegen gemeinschaftlichen Diebstahl angeklagt. Alle drei waren auf den Fotos zu sehen. Den Aktivist*innen drohen bis zu fünf Jahre Haft und 75 000 Euro Geldstrafe. Für die gewaltfreie Aktion ist das eher unwahrscheinlich. Insgesamt gibt es 17 Prozesse in Frankreich, vier haben schon stattgefunden. 128 Portraits wurden bereits abgenommen. In Bourg-en-Bresse, nahe Lyon, wurden sechs Aktivist*innen bei einem vergleichbaren Prozess zu 500 Euro Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Staatsanwaltschaft war das nicht genug, sie geht in Berufung. In Straßburg wurden drei Aktivist*innen freigesprochen. Franzeska ist sich bewusst, dass sie als Klimaaktivistin in Frankreich privilegiert ist. In anderen Ländern wie Brasilien oder Kolumbien werden regelmäßig Umweltaktivist*innen ermordet. Die junge Frau sieht in gewaltfreien Aktionen auch einen großen Vorteil. „Sie können viele Menschen hinter sich vereinen, weil es egal ist, ob ich körperlich eingeschränkt bin oder der große Macker bin. Es gibt immer Möglichkeiten sich in einer gewaltfreien Bewegung einzubringen."

Der Prozesstag wird genutzt, um für den Klimaschutz zu mobilisieren. Klimaforscher*innen werden als Zeug*innen eingeladen, ihre Anwält*innen plädieren auf übergesetzlichen Notstand. Die Klimakrise ist so gefährlich, dass der Bevölkerung nur noch die Möglichkeit bleibt die Regierung durch direkte, gewaltfreie Aktionen zum Handeln in der Klimafrage zu bewegen.

Katz und Maus spielen beim G7-Gipfel

Die Klimaschützer*innen wollen die Portraits zurückgeben, sobald die französische Regierung ihre Politik an das 1,5°C - Limit des Pariser Klimaabkommens anpasst. Davor nutzen sie die Portraits noch für weitere Aktionen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen wie am vorletzten Tag des G7-Gipfels in Bayonne. Zur gleichen Zeit liefen hunderte Menschen mit eingepackten Bildern durch die Innenstadt. Die Polizei zwang die Demonstrant*innen die Bilder auszupacken, es herrschte Demonstrationsverbot. Unter den Bildern befanden sich nicht nur Macron, sondern auch Familienfotos oder Sonnenblumen. Das beschämte die Polizei so sehr, dass sie die „illegale" Demonstration nicht unterband. Alle Demonstrant*innen sammeln sich auf einem Platz, wo eine Pressekonferenz stattfand, um auf die miserable Klimabilanz Frankreichs aufmerksam zu machen.

Symbolischer Widerstand - auch in Deutschland denkbar?

"Die Kampagne ist natürlich schon ein bisschen provokativ, weil das Portrait des Präsidenten abgehängt wird." Franzeska grinst. Viele weitere Portraits werden noch folgen. Frankreich ist das europäische Land mit der größten Anzahl an Rathäusern und Kommunen. Ungefähr 35000 weitere Portraits können noch abgehängt werden. Das verschafft der Kampagne noch mehr Popularität.

Auf Deutschland lässt sich die Aktion für Franzeska nicht übertragen. „Vielleicht hängt in deutschen Rathäusern der Bundespräsident, ich weiß es nicht. Aber ich vermute, dass das Konzept in Deutschland nicht funktionieren würde, weil alle Leute nur mit den Schultern zucken würden, wenn jemand das Portrait den Bundespräsidenten aus den Rathäusern abhängt." Die politische Kultur Deutschlands ist anders. Auch Symbole lassen sich nicht übertragen. Daher lassen sich solche Aktionen eher lokal organisieren. Nur überregionale Themen lassen sich übertragen wie die französische Kampagne Banken für das Klima zu putzen.

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