Start, Schutzengel, Schutzengel, Schutzengel, Restart: Dieses Motto zog sich gewissermaßen durch fast alle Rennen der Motorrad-Weltmeisterschaft beim Grand Prix von Österreich. Die MotoGP steuerte am Wochenende nur haarscharf an der größten Katastrophe der vergangenen Jahre vorbei, auch in der Moto2 kam es zu einem fatalen Sturz. Nach diesen Schockmomenten ist nun eine große Sicherheitsdebatte entbrannt, und sowohl Fahrer als auch Fans stellen sich die Frage: Ist der Red-Bull-Ring womöglich zu gefährlich für die Zweiräder?
Es waren wahrlich viele Schutzengel, welche die steirische Rennstrecke am Sonntag bewachten. Entging am frühen Nachmittag in der Moto2 schon Hafizh Syahrin - der malaysische Pilot konnte der auf der Strecke liegenden Maschine des WM-Führenden Enea Bastianinis nicht mehr rechtzeitig ausweichen und wurde durch die Luft geschleudert - einer schweren Verletzung, blieb mit Franco Morbidelli und Johann Zarco auch die MotoGP nicht von einem schweren Crash verschont. Und das zudem an einer Stelle, deren Gefahrenpotenzial schon vor dem Rennwochenende in Kritik geraten war.
"Wir haben in der Sicherheitskommission am Freitag darüber gesprochen. Wir haben gesagt, dass wenn im Regen dort jemand stürzt, dann gibt es nicht genug Auslauf. Wir werden im Airfence landen, und das Motorrad wird in dieser engen Kurve jemanden treffen", erklärt KTM-Pilot Miguel Oliveira. Konkret handelt es sich hierbei um die Kurve drei, welche zu den schwierigsten des Rennzirkus zählt: Bis auf eine Geschwindigkeit von 300 Kilometer pro Stunde beschleunigen die Fahrer in der Anfahrt, danach müssen die Piloten eine harte Bremsung einlegen, um in die Kurve zum höchsten Punkt des Red-Bull-Rings einbiegen zu können. Fahrfehler ziehen hier schwere Folgen nach sich, steuern die Piloten in der Bremszone, falls das Vorderrad wegrutscht, doch geradewegs auf eine Mauer zu. Ebendieses Problem führte 2003 auch zum Aus des Twin Ring Motegi in Suzuka, nach einem tödlichen Unfall eines Piloten wurde der Kurs als zu gefährlich für die MotoGP eingestuft.
Fast-Opfer Rossi mahntVon Glück sprechen konnte man auch in Spielberg, dass es am Sonntag nur zu einem Schockmoment und nicht zu Todesopfern kam: Yamaha-Pilot Franco Morbidelli und Ducati-Pilot Johann Zarco kollidierten in der achten Runde nach dem Start in der dritten Kurve. Der Franzose, welcher in den jüngsten Rennen schon in Unfälle verwickelt war, in dieser Saison in einem Grand Prix aber bis dahin noch nie gestürzt war, überholte Morbidelli in der zweiten Kurve auf der linken Seite, der Italiener konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Es kam zur Kollision, und die 160 Kilogramm schweren Maschinen flogen meterhoch durch die Luft. Dass bei diesem Kapitalsturz keiner verletzt wurde, ist ein Wunder, verfehlte Morbidellis Bike doch nur ganz knapp den Helm von Yamaha-Star Valentino Rossi. Auch Pole-Setter Maverick Viñales, der nach dem Restart nicht mehr ins Rennen zurückfand, kann von Glück sprechen, nicht getroffen worden zu sein.
Somehow, both @YamahaMotoGP riders avoided being struck by the crashed bikes! 😱😱😱#AustrianGP 🇦🇹 pic.twitter.com/yw7qeWkkUg
— MotoGP™🏁 (@MotoGP) August 16, 2020Über die Schuldfrage scheiden sich die Geister. Während Ducati-Pilot Zarco die Kollision auf einen Rennunfall zurückführt, wetterte Morbidelli über das Manöver des Franzosen. "Er ist ein halber Mörder. Wenn man bei 300 km/h so bremst, dann hat man wenig für die Fahrer übrig, gegen die man fährt", schimpft er. Auch der österreichische Rennleiter Andreas Meklau will sich den Unfall noch einmal genauer anschauen, aber den Streckenteil nicht entschärfen: "Das ist Rennsport. Klar ist aber auch, dass heute einige sehr viele Schutzengel hatten."
"Dottore" Rossi richtet sich zudem mit einer Warnung vor zunehmender Aggressivität im Fahrerlager an seine Kollegen: "Wir müssen verstehen, dass unsere Motorräder bei diesen Geschwindigkeiten Geschosse sind. Ich denke, die Grenzen wurden überschritten. Es ist okay, aggressiv zu fahren. Doch wir betreiben einen sehr gefährlichen Sport. Man muss vor seinen Gegnern Respekt haben", sagte der neunfache Titelträger.
Risikofaktor RegenDabei hat man am Sonntag ja noch Glück gehabt - und zwar mit dem Wetter. Im Falle von prekären Bedingungen wie Regen würden die Höhenunterschiede der schnellsten Rennstrecke des MotoGP-Kalenders die Gefährlichkeit noch einmal verstärken, auch und vor allem bei besagtem Anstieg von Kurve eins bis Kurve drei. In Anbetracht der schlimmen Stürze, die glücklicherweise glimpflich ausgingen, erfolgt bereits am Donnerstag oder Freitag wieder ein Meeting der Sicherheitskommission, denn die MotoGP gastiert ja auch dieses Wochenende zum Grand Prix der Steiermark (23. August, 14 Uhr), wieder am Red-Bull-Ring.
Außer Frage steht, dass man etwas tun muss - wenn nicht jetzt unmittelbar, dann vielleicht in den nächsten Jahren. Sonst könnte die schnellste Strecke der MotoGP bald auch zur gefährlichsten werden.