Kinder mit und ohne Förderbedarf lernen gemeinsam - mit angepassten Methoden: „Inklusion" heißt der Fachbegriff dafür. Zu den Methoden gehören zum Beispiel Freiarbeitsstunden, in denen lernschwache Kinder Unterrichtsstoff nachholen können, während leistungsstarke Schüler weiterführende Aufgaben bearbeiten.
Wenn man es richtig macht und genug Personal zur Verfügung steht, ist das für beide Gruppen keineswegs schädlich, da sind sich viele Wissenschaftler sicher. Im Gegenteil: „Die Forschungslage nach fast 40 Jahren praktischer Erfahrungen ist eindeutig: Der gemeinsame Unterricht behinderter und nicht-behinderter Kinder ist nicht nur machbar, sondern er ist der für alle Beteiligten bessere Weg", lautet das Fazit von Dieter Katzenbach, Professor für Sonderpädagogik an der Uni Frankfurt.
Nicht-behinderte Kinder in inklusiven Klassen und nicht-behinderte Kinder in „normalen" Klassen - zwischen ihnen gibt es kaum messbare Unterschiede, schreibt Katzenbach, der zig nationale und internationale Studien ausgewertet hat. Eine dieser Studien wurde geleitet von Hans Wocken. Im „Hamburger Schulversuch" untersuchte er 22 Integrationsklassen. Die nicht-behinderten Kinder darin waren genauso leistungsfähig wie jene, die auf herkömmliche Grundschulen gehen.
Ewald Feyerer, Professor in Linz, hat mehrere Grundlagenwerke zur Inklusion geschrieben. Er geht sogar noch weiter: Nicht-behinderte Kinder würden sich in inklusiven Klassen „stärker wohlfühlen, mit mehr Freude in die Schule gehen und ein höheres Selbstwertkonzept entwickeln als die ParallelklassenschülerInnen."
Für die guten Schüler ergäben sich keine Nachteile, und benachteiligte Kinder profitierten vom gemeinsamen Unterricht. Eine Reihe von Studien kommt zu dem Ergebnis, dass selbst Kinder mit einer ausgeprägten Lernschwäche mitgezogen werden - und sich besser entwickeln als ihre Mitschüler, die in speziellen Förder- und Sonderschulen betreut werden. Sie können besser lesen, zuhören und rechnen und erreichen tendenziell höhere Schulabschlüsse.
Hans Wocken konnte in seiner Studie Lern- und Entwicklungsfortschritte bei behinderten Kindern mit verschiedenen Förderschwerpunkten beobachten, „die niemand erwarten konnte". Sie schafften das, indem sie das „Vorbild der Nichtbehinderten" nachahmten.
Wenn Inklusion, wie die AfD das behauptet, Schülern schadet, würde eine höhere Inklusionsquote womöglich zu schlechteren Schulleistungen führen. Ein Blick auf Europa liefert dafür keine Anhaltspunkte: Deutschland erreicht bei der Inklusionsquote den vorletzten Platz, vor Belgien. In der PISA-Studie von 2015 liegen aber zum Beispiel Finnland, Estland und die Länder des Vereinigten Königreichs vorn. Länder, die eine deutlich höhere Inklusionsquote haben als Deutschland.
Aber: Was in der Theorie oder Modellversuchen funktioniert, kann trotzdem an ungünstigen Rahmenbedingungen scheitern. In NRW klagten kürzlich 52 Kommunen gegen Inklusion in der derzeitigen Form - und scheiterten wegen eines Formfehlers. Und es gibt die „Mülheimer Erklärung", ein gemeinsames Schreiben mehrerer pädagogischer Gewerkschaften und Verbände aus NRW.
Die Kritik: Es fehlt Geld, um „qualitativ gutes gemeinsames Lernen auch weiterhin zu ermöglichen". Inklusion sei politisch gewollt, aber dann bewilligten Politiker den Schulen nicht mehr Geld für zusätzliche Lehrer und kleinere Klassen. Eine Forderung, die es nicht erst seit der Debatte um Inklusion gibt.
Es gibt keinen Beleg, dass Inklusion Schülern schadet. Im Gegenteil: Stehen ausreichend Mittel bereit, nützt Inklusion den lernschwachen Kindern sehr und den lernstarken Kindern erwächst kein Nachteil. Sie kann den lernstarken Schülern sogar nützen: Denn inklusiv beschulte Kinder haben ein deutlich ausgeprägteres Sozialverhalten als jene, die nur auf Leistung getrimmt werden. Gleichwohl findet Inklusion heute häufig an Schulen statt, die dafür nicht genügend Personal haben.
Südtirol: Wo die Gesamtschule längst Alltag ist (Die Presse, 01.05.2013, abgerufen am 31.01.2017, 17:04.) Katzenbach, Dieter: Praktisch erprobt, empirisch gesichert - Forschungsergebnisse zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder. In: Daniel Bognar und Bianca Maring (Hrsg): Inklusion an Schulen. Carl Link-Verlag, Köln 2014, S.11. Euler, Dieter/ Severing, Eckart: Inklusion in der beruflichen Bildung. Daten, Fakten, offene Fragen. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2014, S.23.