2 subscriptions and 2 subscribers
Article

"Der Diplomfilm war meine Generalprobe."

Typen wie Sebastian Mez werden in der schnelllebigen, schimmernden Filmbranche schon mal übersehen. Mit einer unkonventionellen Arbeitsweise versucht er, frei zu bleiben von Marktzwängen und Branchennormen und geht so seinen ganz eigenen Weg. Das war schon während seines Studiums im Studienschwerpunkt Dokumentarfilm so.

Zwei Wochen hält der Monat Februar noch bereit, als Sebastian sich in einem Berliner Café einfindet, um über seine Karriere zu plaudern. Wenn es nach ihm ginge, könnte der Monat ruhig schneller vorübergehen. Denn jetzt heißt es wieder: jeden Euro zweimal umdrehen. Sebastian ist das, was man einen unabhängigen Filmemacher nennt, und diese leben bekanntlich nicht in Saus und Braus. METARMOPHOSEN ist der Dokumentarfilm, mit dem er sein Diplom an der Filmakademie gemacht hat. Darin erkundet er die Lebenswelt von Bewohnern eines radioaktiv stark belasteten Dorfs im Südural in Russland. Ein schwieriges Thema, das Sebastian in eigenwilligen Bildern erzählt: lange Einstellungen, Aufnahmen wie Porträtfotos und ein Sounddesign, das jene Entschleunigung unterstreicht, die Sebastian in Schwarz-Weiß-Bildern transportiert.

Die Stilmittel hat er ganz bewusst gewählt, um dem Geheimnis der Dorfbewohner näher zu rücken, das Unsichtbare an die Oberfläche zu tragen und dem Wissen und dem Leid, die in seinen Protagonisten stecken, Ausdruck zu verleihen.

2013 hat Sebastian sein Regiediplom an der Filmakademie gemacht. Auf Koproduzenten und Fördermittel zu verzichten, war seine bewusste Entscheidung. Stattdessen setzt Sebastian auf eine intensive, internationale Festivalauswertung - mit Erfolg. METARMOPHOSEN wird auf mehr als 50 Festivals gezeigt und fährt mehrere Preise ein. 2014 wird Sebastian auf der Berlinale mit dem „Förderpreis Perspektive" für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Viele kleine Anerkennungen, die den Regisseur in seinem Tun bestätigen.

Filmemacher zu werden schwebte Sebastian schon als Jugendlicher vor. Gleich nach dem Abitur, das er, wie er grinsend zugibt, „mit Ach und Krach" besteht, beginnt er ein Praktikum bei einer Werbefilmproduktion in Düsseldorf. Er stellt bald fest, dass er dort nicht glücklich werden kann. „Ich habe mich unwohl gefühlt, Projekte zu unterstützen, bei denen ein Kunde Tausende Euros raushaut, um Helikopteraufnahmen zu machen, bei denen von Anfang an klar ist, dass sie nicht im Spot landen, nur um mal Hubschrauber zu fliegen", erzählt Sebastian. Zwei weitere Jahre arbeitet er in einer Postproduktionsfirma, ebenfalls in Düsseldorf, wo er sich das erste Mal intensiv mit Schnitt und Compositing beschäftigt. Auch wenn er letzten Endes einen anderen Weg eingeschlagen hat, erweist sich sein zweijähriger Ausflug in die Postproduktion rückblickend als gute Erfahrung: Gemeinsam mit zwei anderen Filmakademie-Sprossen, Dokumentarfilmregisseur Maximilian Haselberger und Filmeditorin Katharina Fiedler, betreibt er heute als zweites Standbein eine Postproduktion in Berlin Kreuzberg.

Nach seiner Zeit in der Postproduktion bewirbt er sich an mehreren Filmschmieden. Es hagelt Absagen, und Sebastian nimmt mit seinem Plan B vorlieb - und studiert Kunstgeschichte, Germanistik und Literaturgeschichte an der Universität zu Köln. Das Filmemachen verfolgt er weiterhin, doch Studium und Nebenjobs fressen Zeit. Sein letzter Bewerbungsversuch hat schließlich Erfolg: 2007 hält Sebastian die Zusage für den Studienschwerpunkt Dokumentarfilmregie in den Händen. Für seinen Bewerbungsfilm ist er mit einem Freund nach Texas geflogen, um dort einen zum Tode Verurteilten zu porträtieren. Spätestens seit DEAD MAN WALKING hat ihn das Thema nicht losgelassen. Dieser erste Film soll bezeichnend werden für Sebastians späteres Schaffen: Seine bisherigen Filme haben allesamt „schwierige" Themen zum Inhalt. Nach seinem Bewerbungsfilm DO THE RIGHT THING filmte er für CLEAN UP 2008 die Arbeitsrealität einer Reinigungskraft in einer Hinrichtungszelle, in EIN BRIEF AUS DEUTSCHLAND, seinem Dritttjahresfilm, verleiht er 2011 Frauen, die in der Zwangsprostitution gefangen sind, eine Stimme.

Die Zeit an der Filmakademie war für Sebastian im Rückblick zweigeteilt. „Im Grundstudium habe ich Freunde gefunden, erzählerische Freiheit entdeckt und intensiv mit Kommilitonen zusammengearbeitet. Im Hauptstudium wurde der Druck größer, Erfolg haben zu müssen und die ganz großen 'Dinger' zu reißen. Ich habe schnell versucht, mich davon zu befreien." Am meisten geprägt haben ihn Seminare wie „Richtige Bilder, falsche Bilder" von Thomas Schadt oder ein Seminar von Hans Beller, in dem die Grenzen des Zeigbaren ausgereizt wurden, erzählt Sebastian weiter, „Immer wenn es um ganz essenzielle, moralische Fragen des Filmemachens ging, hatte das Studium Substanz für mich." Sebastian erzählt, dass er bei all seinen Filmen den Drang verspürte, sich an dem Thema abzuarbeiten, tief reinzugehen und am besten alles andere liegen zu lassen. Dafür setzt er sich bei seinem Diplomfilm METARMOPHOSEN sogar der Gefahr aus, vier Wochen in einem stark radioaktiv belasteten Gebiet zu verbringen.

Als er letztes Jahr an seiner Steuererklärung saß, staunte Sebastian nicht schlecht: Mehr als die Hälfte des Jahres 2014 war er im Ausland unterwegs, um seine Filme METARMOPHOSEN und SUBSTANZ auf Festivals zu zeigen. „Meine bisherigen Themen sind ganz weit weg von mir", erzählt Sebastian, „in der nahen Zukunft will ich mich Themen widmen, die näher an mir dran sind." Zurzeit arbeitet er an seinem Debütfilm - „die Untersuchung einer Landschaft, die durch Konflikte geprägt ist", so viel verrät er schon mal. Sebastian produziert und finanziert auch diesen Film selbst. „Mein Diplomfilm war die Generalprobe, ob ich mich mit meinen Filmen über Wasser halten kann." Reich macht ihn das Filmemachen nicht, aber darum geht es Sebastian auch nicht. „Bei einer guten Festivalauswertung haben den Film mehr Leute gesehen, als jemals ins Kino gegangen wären. Das ist doch was."


Text: Ana-Marija Bilandzija

Foto: Deutsche Filmakademie

Original