Dass er im Haifischbecken Hollywood angekommen ist, findet Michael Schaefer nicht allzu spektakulär. Gelassenheit ist sein wichtigstes Kapital. Als Producer von Kultregisseur Ridley Scott beweist er nicht nur Ruhe in den kleinen und großen Krisen des Filmalltags, sondern auch: ein gutes Händchen für Geschichten.
Eigentlich wollte Michael nicht nach London. Nach dem Diplom für ein
Praktikum nach Los Angeles – davon hatte er immer geträumt. Doch aus
Hollywood hagelte es Absagen; also packte er seinen Koffer und machte
sich nach England auf. 2004 war das. Vier Wochen Praktikum standen auf
dem Programm – eigentlich. Dann kam alles ganz anders. Die Geschichte
hinter Michaels erstem „richtigen“ Job könnte genauso gut in einem der
vielen Drehbücher stehen, die sich heute auf seinem Schreibtisch türmen:
Noch während seines Praktikums schmeißt die Assistentin der
Geschäftsleitung überraschend hin. Ob Michael nicht übernehmen wolle,
fragt die Chefin kurzerhand. Michael will – und legt damit den
Grundstein für seine Karriere im Ausland. Ein Karrierestart, der
amerikanischer nicht sein könnte.
Glamourös war der Assistenzjob nicht: Michael musste rund um die Uhr
Launen ertragen, Sonderwünsche erfüllen, Ruhe bewahren. Und wurde mit
18.000 Pfund im Jahr nicht einmal gut dafür bezahlt. Trotzdem: für ihn
war die Zeit „absolut spannend und eine super Erfahrung.“ Michael, der
Arthaus-Filme liebt, war seinerzeit regelmäßig zu Gast auf den
Filmfestspielen in Cannes. 2005 hat er Ideen für Animationsfilme im
Gepäck – und den Plan gefasst, einen bekannten Filmemacher für seine
Entwürfe zu begeistern. Michaels Mut wird belohnt: Kein geringerer als
Harvey Weinstein beißt an – und Michael zieht als dessen Assistent nach
New York. Auch bei seinem neuen Chef schlägt Michael sich vor allem mit
Problemen herum – „kleine Probleme, große Probleme, Probleme, die
wichtig sind und Probleme, die mich überhaupt nicht interessieren“ – und
das macht ihm Spaß. Er kann das gut: Ruhe vermitteln, wenn die, denen
er zuarbeitet, längst eine Katastrophe herbeiziehen sehen. „Ich war
eigentlich schon immer so“, sagt Michael, „ich habe viel Energie und
kann gut mit schwierigen Leuten.“
Dass er mal beim Film landen würde, konnte Michael sich als Jugendlicher
nicht vorstellen. Seine Mutter ist auch Produzentin, sein Ziehvater
Regisseur. Seine Kindheit verbringt Michael in Dortmund, mit 16 geht er
auf das Internat Schloss Salem. Nach dem Abitur studiert er BWL, erst an
der Universität zu Köln, dann in Halifax, Kanada. Dort fragt ihn ein
Kommilitone, ob er nicht seinen Kurzfilm produzieren wolle. Michael
macht das, „weil ich den Kommilitonen mochte.“ Er findet Spaß an dem
Job, den er vorher abtat, und macht ernst: An einer Filmhochschule will
er sich für den Beruf wappnen. Ludwigsburg war nicht seine erste Wahl;
die fünf Jahre an der Filmakademie empfindet er umso mehr als großen
Gewinn. „Das war eine klasse Zeit. Eine gute Energie, nette Leute und
guter Unterricht. Ich war immer glücklich an der Aka.“ Die Filmakademie
war für ihn ein gutes Experimentierfeld: „Es war so anti-bürokratisch,
und das war gut so. Es war schwer, gestoppt zu werden.“ Die Projekte,
die er an der Filmakademie produziert hat, waren eine gute Schule, sagt
Michael heute: „Es ist völlig egal, ob du wenige Tausend Euro Budget
hast oder 160 Millionen: Die Probleme sind immer dieselben. Es ist genau
das Gleiche, jedes Mal!“
Doch wie hat Michael es zu den großen Budgets geschafft, wie ging es
nach dem ersten Job in London weiter? Seine nächste Etappe: Filme groß
machen bei Summit, einer kleinen Produktionsfirma in Kalifornien, die
mittlerweile von einer größeren geschluckt wurde. „Summit war völlig
unbekannt, als ich dort anfing“, erzählt Michael, „mit den
TWILIGHT-Filmen hatten sie ihren Durchbruch.“ Michael erweitert das
Portfolio um zwei anspruchsvolle Produktionen, die sich beide als
Glücksgriff erweisen: Er kauft die Rechte an TÖDLICHES KOMMANDO - THE
HURT LOCKER, einem Spielfilm, der wenig später mit dem Oscar
ausgezeichnet wird, und zeichnet für DIE UNFASSBAREN – NOW YOU SEE ME
als ausführender Produzent verantwortlich.
Über mehrere Ecken lernt er Ridley Scott kennen, den Kultregisseur, der
mit Filmen wie BLADE RUNNER, GLADIATOR und THELMA UND LOUISE einen
festen Platz in jeder Top10-Liste Hollywoods genießt. Scott und Schaefer
verstehen sich auf Anhieb gut, der Altmeister lädt zum Frühstück. „Aus
einem Frühstück wurden fünf, sechs Frühstücke und irgendwann hat er
gefragt, ob ich für ihn arbeiten will.“ So wurde er Ridley Scotts rechte
Hand. Und darf jetzt die Probleme für dessen Produktionsfirma Scott
Free Productions lösen.
Das einzig Schlimme, das passieren kann, erzählt Michael, sei, wenn die
Leute einen Film nicht sehen wollen. Das passiert den Besten, Filme zu
produzieren ist ein modernes Risikogeschäft. Mit Ridley Scott hat
Michael seinen vierten Film produziert, zwei weitere sind in der Mache.
Ein Flop ist darunter und drei Erfolge. 2015 war ein aufregendes Jahr
für Scott Free Productions. Michael hat das Drehbuch zu DER MARSIANER
entdeckt, seinem Chef vorgeschlagen und mit Matt Damon in der Hauptrolle
verfilmt. Die Eckdaten des Dramas verdeutlichen es: Das ist ein ganz
großer Film. 108 Millionen Euro Budget, Drehorte wie die Wüste
Jordaniens und erstklassige Schauspieler- und Crew-Besetzung. Gedreht
haben sie nur 70 Tage lang. „Von 8 bis 18 Uhr, so wie immer mit Ridley.“
Geregelte Drehzeiten, perfekte Organisation und „flying lunch“,
Mittagessen im Stehen, wenn es gerade reinpasst: So strukturiert geht es
beim Film selten zu. Umso genauer muss Michael im Vorfeld planen.
Nach dem Dreh ist jedes Mal Bangen angesagt: Wollen die Zuschauer den
Film sehen, dafür Geld ausgeben? Im Fall von DER MARSIANER wollten sie.
Er hat Scotts Einspielergebnisse allesamt überflügelt. Stand heute
liegen die weltweiten Einnahmen bei über 630 Millionen Dollar. Das
Budget von rund 100 Millionen Dollar wurde damit bei weitem übertroffen.
Und auch die Kritiker waren auf der Seite von Schaefer und Scott: Über
100 Nominierungen für internationale Preise hat der Film eingefahren. In
sieben Kategorien war DER MARSIANER für den Oscar nominiert; zwei
Golden Globes (in den Kategorien beste Komödie bester Hauptdarsteller)
hat er gewonnen. Bei der Verleihung fragte Scott seinen Chefproduzenten,
ob er auch was sagen wollte. Michael Schaefer wollte nicht. Direkt
daneben, aber nicht in der Mitte – da fühlt er sich wohl.
Text: Ana-Marija Bilandzija
Foto: AP via FAZ