Henning Beck ist Neurowissenschaftler, bekannter Wissenschaftsautor und erklärt in seinem neusten Buch "Irren ist menschlich" warum es richtig ist, nicht mit angezogener Handbremse durchs Leben zu gehen und wie wir die raffinierten Eigenheiten unseres Verstands optimal nutzen können. Auch bietet er spannenden Blick auf unseren Bildungssektor, welcher noch ein großes Entwicklungspotential hat. Ein Interview.
Herr Beck, Sie schreiben in Ihrem Buch "Irren ist nützlich", dass es paradoxerweise eine Gute Sache ist sich von seinem Handy ablenken zu lassen, da das Gehirn kreativ werden kann. Sollte man Schülern in den Schulen dann nicht sogar erlauben, im Unterricht auf ihre Handys zu schauen? Was würden Sie Lehrer für eine kreative Unterrichtsgestaltung empfehlen?Also, dass eine Handyablenkung prima ist, schreibe ich so nicht ;-). Denn wenn man sich auf etwas konzentriert oder ein Problem lösen will, gibt es einen Unterschied zwischen Ablenkung und Inspiration.
In der Tat ist eine clevere Ablenkung mitunter besser als ein permanentes effizientes Scheuklappenarbeiten. Denn wer Probleme neuartig lösen will, darf nicht nur auf dem Problem hängenbleiben, sondern muss über die Grenzen des Problems hinausdenken. Das gelingt jedoch nicht, wenn man permanent konzentriert arbeiten will. Umgekehrt hilft eine ständige Ablenkung von außen nicht, um ein Problem substanziell zu bearbeiten. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Sich zunächst konzentriert einer Sache zu widmen und dann die Ablenkung bewusst einzukalkulieren. Wer dann mal von dem Problem zurücktritt, für den ist eine Ablenkung dann keine Störung mehr, sondern Inspiration.
Sie sagen auch, dass man Informationen nicht in einfacher Weise präsentieren soll, sondern dass das Gehirn nach ungewöhnlichen Informationen sucht und sich diese besonders gut merkt. Wie lautet Ihre Empfehlung für einen spannenden, lehrreichen Unterricht?Die besten Lehrer, die ich hatte, haben mir nicht die besten Antworten gegeben, sondern die besten Fragen gestellt. Wer zu schnell Antworten auf Fragen gibt, suggeriert, dass man Wissen schnell ergoogeln kann, dass es permanent verfügbar ist. Doch erst, wenn man sich selbst mit einem Problem ein bisschen auseinandersetzt, bleibt das Wissen dauerhaft hängen. Jeder 13-Jährige, der sich für Fußball begeistert und alle Torschützen der letzten Saison runterbeten kann, aber nicht die Vokabeln aus dem letzten Test weiß, kann das bestätigen: Erst wenn du ein Ziel hast, erkennst wofür du lernen musst, beschäftigst du dich selbstständig damit. Du veränderst die Information, trägst sie anderen vor, gestaltest sie für dich neu - und dann bleibt sie hängen. Das ist nicht neu, steht schon im Faust: „Erquickung hast Du nicht gewonnen, wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt."
Sie stehen zu der Aussage, dass Wissen vor allem dann entsteht, wenn man selber denkt und bereits vorhandenes Wissen nutzt. Das ist bereits als Konstruktivismus in der Lernpsychologie bekannt. Wie ergänzt die Neurowissenschaft diese Erkenntnis?Die selben Hirnregionen, die unsere Erinnerung verfremden, unser Gedächtnis verändern, vergangene Informationen verfälschen und neu gestalten, sind die selben Hirnregionen, die es uns ermöglichen, Was-wäre-wenn-Hypothesen aufzustellen, sich in neue Situationen hineinzuversetzen, die Zukunft zu planen. Denn das ist der Unterschied zwischen Informationen und Wissen: Informationen kann man wiedergeben - Wissen verändert die Welt.
Wenn Irren nützlich ist, ist es richtig und wichtig eine "Fehlerkultur" zu etablieren. Fehler sollten gemacht werden dürfen. Stattdessen wird in unserer Gesellschaft darauf geachtet, möglichst fehlerfrei durchs Leben zu kommen. Wie
Nicht jeder Fehler ist gut. Wer ein Flugzeug fliegen will, sollte keine Fehler machen. Doch wer ein neues Fluggerät erfinden möchte, muss sich manchmal trauen zu denken, wie nie zuvor. Und das bedeutet immer, dass man mit einer bestehenden (Denk-)Regel brechen muss. Ähnlich auch im Bildungsumfeld: Nicht jeder Fehler ist gut - und wer einen Mathetest bestehen will, sollte keine Fehler machen. Dennoch sollte man nicht ausschließlich zu Fehlerfreiheit erziehen, sondern manchmal auch die Möglichkeit des Ausprobierens und Testens bieten. Warum nicht in einem geschützten Umfeld mit neuen Lösungsmöglichkeiten rumspinnen und dann untersuchen, warum diese falsch oder richtig sind? Denn Perfektionismus ist nichts, was uns besonders macht. Fehlerfreiheit ist kein Alleinstellungsmerkmal des Menschen. Es ist die Balance zwischen fehlerfrei, wenn es drauf ankommt, und verrückt genug, wenn man es sich erlauben kann, die uns von einer unkreativen Maschine unterscheidet.
Geben Sie das Stichwort Idee bei Google ein, werden Ihnen ca. 326.000.000 Ergebnisse in 0.5 Sekunden angezeigt. Was sagen Sie bspw. den "Digital Natives", die alles googeln?Keine einzige Idee, die die Welt in Zukunft verändern wird, wird man sich ergoogeln können. Google zeigt an, was es schon gibt, nicht das, was man selbst erschaffen könnte. Natürlich ermöglichen es uns digitale Technologien, miteinander in besserem Austausch zu stehen. Deswegen sind wir momentan in einer der kreativsten Zeiten der Menschheitsgeschichte. Nicht weil wir cleverer sind als die Leute vor 500 Jahren, sondern weil wir uns schneller austauschen und unsere Ideen überprüfen können. Doch Google ist dafür nur die Krücke, um Informationen zu übermitteln. Das „nächste große Ding" steht nämlich nicht im Internet, sondern wird in diesem Moment ausgedacht. Von einem Gehirn, nicht einem Computer.
Vielen Dank für dieses Interview!