Brüssel, vergangenen Montag. Ein weiteres Eurogruppen-Treffen. Limousinen fahren vor. Aus einer steigt Yanis Varoufakis. Er lächelt ein wenig gequält und geht wortlos und ungewohnt unlässig an den Journalisten vorbei, hinein ins Tagungsgebäude. Varoufakis weiß, was auf ihn zukommt. Eurogruppenchef Dijsselbloem gibt in seinem Kommentar den Zuchtmeister. Schäuble setzt eins drauf. Das Rudel heult: Der da ist keiner von uns.
Die Unbill hat sich schon vor den Wahlen abgezeichnet. Damals hat Yanis Varoufakis dem britischen Journalisten Paul Mason ein Interview gegeben. Mason spekulierte: Gesetzt den Fall, Sie werden Finanzminister, was würden Sie Ihren Kollegen in der Eurogruppe sagen? Wir müssen endlich der Wahrheit ins Gesicht sehen, so Varoufakis Antwort, und: die bisherige Krisenpolitik habe versagt.
Was für eine verwegene Idee! Schließlich hat man sich in Brüssel auf einen Kodex geeinigt. Es soll keine Alternative geben zum eingeschlagenen Weg. Was tut es da zur Sache, wenn sich Ökonomen in aller Welt, manche von ihnen mit Nobelpreis, an den Kopf greifen. Aber was ist ein Nobelpreis gemessen am Master in Agrarökonomie von Eurogruppenchef Dijsselbloem? Und da kommt also ein Yanis Varoufakis daher und stellt die Spielregeln in Frage. Weist dezent auf den makroökonomischen Irrsinn des Rettungsprogramms hin. Auf die Rezession der griechischen Wirtschaft. Auf die Deflation in der Eurozone. Und darauf, dass Griechenland ohne Wirtschaftsaufschwung seine Schulden nie wird abbezahlen können.
Das Rudel fletscht die Zähne, so etwas sagt man nicht. Varoufakis ist ein Spielverderber, ein Unfall, eine Störung des Systems. Ausgelöst durch Wahlen, die man in Brüssel und Berlin am liebsten vermieden hätte, denn, Wahlen ändern zwar nichts, wie wir in Eurpa inzwischen gelernt haben, aber sie können viel Ärger verursachen.
Den gilt es nun zu korrigieren. Wer nicht ins Bild passt, wird medial vernichtet. Demontiert. Varoufakis sei unvorbereitet, heißt es. Er lege keine belastbaren Zahlen vor, er sei arrogant, unfähig, ein Anfänger. Yanis Varoufakis sei in der Kommunikation stärker als in der Substanz, gibt Wolfgang Schäuble in einer Pressekonferenz süffisant zum besten. Der Finanzminister gibt sich gerne bemüht geduldig, wenn es um Varoufakis geht. Der gütige Vater und das ungezogene Kind. Die Journalisten lachen und machen sich an die Arbeit.
„Gescheitert nach nur sechs Wochen“, schreibt die Zeit. Er inszeniere sich als Ökonom, schreibt die Süddeutsche und erklärt Varoufakis linke politische Überzeugungen als logische Lehre aus der Diktatur, in der Varoufakis groß wurde. Dass der Ökonom auf einer der nobelsten Privatschulen des Landes, gemeinsam mit den Sprösslingen des Athener Großbürgertums, der griechischen crème de la crème, ausgebildet wurde, wird dezent unterschlagen. Dann kommt der Spiegel. Der Auftritt der Syriza-Leute lasse sich nur psychopathologisch erklären, heißt es dort in einer Kolumne mit der Überschrift: „Holt den Psychiater!“
Aber auch in den griechischen Medien rumort es seit Wochen: Wolfgang Schäuble fordere die Absetzung von Varoufakis, die Demontage erfolge gezielt. Varoufakis sagt, darauf angesprochen, ungewöhnlich kurz: ja, dieses Gerücht habe er auch gehört. Und - nein, er möchte das nicht kommentieren. Bezogen auf die Gespräche in Brüssel fügt er hinzu: Es sei seine politische Überzeugung sowie eine Frage des Takts und der guten Manieren, bei Verhandlungen nicht in einen Wettstreit zu treten.
So viel zum rüpelhaften Benehmen, das ihm das Rudel attestiert. Und so kann es schon sein, dass Yanis Varoufakis am Ende aufgibt, frei nach dem Motto: der Klügere gibt nach. Varoufakis hat entgegen aller Raison seinen Job in Cambridge an den Nagel gehängt, als Margaret Thatcher zum dritten Mal wiedergewählt wurde, erzählt er gerne. Er hat seinen Posten an der Athener Universität verlassen, weil seine Familie Morddrohungen erhielt, Anlass war eine Recherche zu zwielichtigen Geschäften einer griechischen Bank. Er kann auch das Büro im Finanzministerium und den Sessel im Brüsseler Verhandlungssaal räumen. Machen wir uns nichts vor: Varoufakis hat Europa nicht nötig. Europa braucht Varoufakis. Jeden Varoufakis, der sich traut, den Finger in die Wunde zu legen. Der sich traut, dem Rudel entgegen zu treten. An unserer, an der Bürger statt.
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