Der privaten griechischen
Kulturstiftung Neon ist ein Coup gelungen: Sie richtet eine Ausstellung mit
Werken des britischen Künstlers Antony Gormley auf der unbewohnten Insel Delos
aus. Delos, das zum Weltkulturerbe zählt, war im alten Griechenland die
heiligste aller Inseln. Heute ist dort nur Tagestourismus erlaubt, und es ist
das erste Mal, dass der Archäologische Rat einem solchen Projekt zustimmt.
Mittags, wenn die Touristen wieder abgefahren sind, zurück aufs hektische Mykonos, wird es still auf Delos. Es bleiben: der Duft nach Jod und Gräsern, das harte Licht und eine Sonne, die gnadenlos auf die Ruinen herabbrennt und die das Blumenmeer, in das sich die Insel im Frühling verwandelt hat, bald ausgedörrt haben wird. Gleichzeitig ist kaum ein besseres Setting für eine Ausstellung mit zeitgenössischen Skulpturen vorstellbar. Vor zwei Jahren hat Antony Gormley den Vorschlag erhalten, die Insel mit seiner Arbeit zu bespielen. Er war begeistert von der Idee und von der Herausforderung. Denn Delos ist ein mythischer Ort, findet der Bildhauer.
Delos lässt einen nicht unberührt. Diese Zeitlosigkeit, dieses Licht machen die Insel zu einem idealen Ort, um Skulpturen zu testen. Denn Skulpturen stehen ebenfalls außerhalb der Zeit, sie sind stumm, und sie laden uns - genauso wie diese Insel - dazu ein, der mechanischen Zeit und unserer Welt mit ihren Zwängen für eine kurze Weile zu entkommen und sie aus einer gewissen Distanz zu betrachten.
Vor
rund 1500 Jahren haben die Bewohner die Insel aufgegeben, nach über dreitausendjähriger
Besiedelung. Deren Spuren sind überall auf der Insel erkennbar. Zysternen, Tempelruinen,
Statuen, die Ruinen einer Stadt mit Häusern und Geschäften - in einem davon
stehen noch die Marmortische, die dort verkauft wurden. In seinen besten Zeiten
haben bis zu 30.000 Menschen auf Delos gelebt. Zwischen diese Spuren der
Vergangenheit setzt Antony Gormley 29 Skulpturen. Stumme Mahner oder Fragende.
Wer weiß? Als Akupunkturstiche bezeichnet der Bildhauer seinen Eingriff auf der
Insel. Der Kontext, sagt Antony Gormley, macht mehr als die Hälfte eines Werks
aus. Seine Skulpturen nehmen die Strukturen ihres Umfelds auf, akzentuieren es
und multiplizieren seine Stille. Die meisten Arbeiten sind abstrakt, doch für
alle ist der menschliche Körper die Referenz. Kauernd, sitzend, liegend, sich
zum Himmel streckend - ein Palimpsest der conditio humana. Manche Skulpturen
sind pixelartig wie das Mauerwerk auf der Insel, andere filigran wie die Gräser,
die sie umgeben. Und dann gibt es Menschenfiguren, überlebensgroß, die in der
Landschaft stehen, auf Felsvorsprüngen, im flachen Wasser der Küste, auf
Erhebungen. Man entdeckt sie plötzlich hinter einer Wegbiegung. Halten sie
Ausschau? Und wonach?
Mich interessieren die großen Fragen: was bedeutet es, Mensch zu sein, einen menschlichen Körper zu haben, was ist Kunst, was ist Skulptur, und wozu sind sie gut? Hier auf Delos war die Skulptur in die Polis integriert - da wird einem schlagartig deutlich, was heute aus der Kunst geworden ist. Sie ist zur Ware verkommen, sie ist institutionalisiert, sie ist Teil einer Kultur-Industrie. Für die Menschen, die hier einst lebten, waren die Skulpturen dagegen imaginative Objekte, die sie mit Mythologien und Narrativen verbanden.
Während die Statuen und Monumente der Insel aus weißem Marmor sind, arbeitet Antony Gormley ausschließlich mit Eisen. Für die Ausstellung hat er seine Arbeiten mit einem speziellen Lack überzogen - die Archäologen fürchteten Rostspuren an den Standorten der Skulpturen. Das macht schon deutlich, welche Logistik hinter der Ausstellung steckt. Weil die gesamte Insel archäologisches Schutzgebiet ist, haben sich die Ausstellungsmacher einiges einfallen lassen, um die tonnenschweren Kunstwerke sicher aufzustellen, ohne der Insel Schaden zuzufügen. Sie haben verdeckte Sockel ersonnen und artifizielle Felsen - und dann haben sie die Skulpturen per Hubschrauber abgesetzt. Anderthalb Jahre haben die Vorbereitungen in Anspruch genommen, sagt Elina Kountouri, Direktorin der privaten Kulturstiftung Neon, die die Ausstellung ausrichtet.
Die Ausstellung hatte eine ganze Reihe von Besonderheiten. In der Phase der Vorbereitung mussten wir ein exaktes Verständnis des Ortes und der einzelnen Standorte entwickeln, um unsere Vorschläge beim Archäologischen Rat einzureichen. Dazu waren sehr viele Experten nötig: Ingenieure, Architekten, Konservatoren und so weiter. Bei der Umsetzung hatten wir dann mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen: die Wetterbedingungen und die plötzlichen Wetterumschwünge, die Abgeschiedenheit der Insel und die Distanzen. Von einem Standort zum nächsten sind es schnell mal 500 Meter. All das hat die Arbeit besonders anstrengend gemacht, gleichzeitig aber auch sehr reizvoll.
Das Budget der Ausstellung erfährt man auch bei Nachfrage nicht, sicher ist nur: das griechische Kulturministerium hätte sich die Schau nicht leisten können, fehlt doch sogar das Geld, kleinere archäologische Stätten - Delos gehört nicht dazu - ausreichend zu bewachen. So hat sich in den vergangenen Jahren eine Kultur der privaten Kunstinitiativen entwickelt. Oft mit herausragenden Ergebnissen, allerdings gibt der Staat damit auch die Kontrolle aus der Hand. Was einst Aufgabe pluraler Entscheidugsträger war, wird heute dem Wohlwollen privater Mäzene überlassen. Die nehmen auch über weitreichende Bildungsangebote Einfluss auf die Gesellschaft. Der Gründer von Neon zum Beispiel, ein griechischer Industrieller, hat inzwischen auch einen politisch-gesellschaftlichen thinktank ins Leben gerufen.
Auch Delos hat viele Phasen durchlaufen. Florierender Hafen, Pilgerort und spirituelles Zentrum, geplünderte und gebrandschatzte Stadt. Zwischen ihren Überresten heute: Blindschleichen und ein paar Katzen, die sich über die Gesellschaft der Besucher freuen. Proviant und Wasser muss man selber mitbringen, denn auf der Insel gibt es nichts, nicht einmal eine Quelle. Auf diese Weise bepackt, erläuft man sich die dreieinhalb Quadratkilometer große Insel. Die Skulpturen sind über das gesamte Gelände verteilt - nur die Tempel bespielt Gormley nicht. Eine bewusste Entscheidung, deren Beweggründe der Künstler dennoch nur erahnt.
Hatte ich Angst, in den heiligen Bezirk der Götter zu treten? Vielleicht. Vielleicht hatte ich das Gefühl, dass das nicht mein Platz ist, denn das, wofür die Tempel gemacht wurden - und wie sie genutzt wurden - ist jenseits unserer Erfahrung. Und es wäre eine Zumutung gewissermaßen und eine Hybris. Ich wollte dieses Glaubenssystem, das ich nicht teile und das ich nicht in seiner Gänze verstehen kann, respektieren.
Wenn das letzte Boot geht, muss man Delos verlassen. Übernachtungen sind auf der Insel nicht erlaubt. Zurück bleiben die Ruinen - und die Skulpturen - in ihrem stummen Zwiegespräch.