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Interview

"Dass klar von Rassismus gesprochen wird, ist neu für Deutschland": Aminata Touré im NOIZZ-Interview

NOIZZ hat mit der Grünen-Politikerin Aminata Touré (27) darüber gesprochen, wie es seit George Floyd um die deutsche Rassismus-Debatte steht, wie sie Rassismus politisch bekämpfen will – und über die Frage, ob wir ein Rassismus-Problem in der deutschen Polizei haben.


Aminata Touré bringt mit ihren 27 Jahren gerade ordentlich neuen Wind in die deutsche (Landes-)Politik. Die Grünen-Politikerin aus Neumünster ist nicht nur die erste Schwarze Parlamentarierin Schleswig-Holsteins, sondern seit 2019 auch die erste Schwarze (und jüngste) Vizepräsidentin eines deutschen Landtags. Als Sprecherin der Grünen Fraktion setzt sie sich im Kieler Landtag unter anderem für Antirassismus, Migration, Gleichstellung und Queerpolitik ein.


Aminata verstellt sich weder im Landtag noch bei uns im NOIZZ-Talk: Sie sagt Wörter wie reinziehen und krass, schafft es, gleichzeitig Expertise und Relatability auszustrahlen. Vielleicht ist sie deshalb bei jungen Menschen auch außerhalb Schleswig-Holsteins so beliebt. Vielleicht ist der Grund für ihre Beliebtheit aber auch, dass sie keine Scheu davor hat, unbequeme Wahrheiten anzusprechen, keine Scheu davor hat, Emotion in die Debatte einzubringen, und keine Scheu hat vor richtigen Veränderungen.



Sollte man brutale Videos von Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen teilen? Wenn Schwarze Menschen und PoCs in Polizeigewahrsam in Deutschland sterben – müsste es nicht jedes Mal einen Aufschrei und eine Untersuchung geben? Befinden wir uns an einem Wendepunkt? All diese Fragen und mehr haben wir uns im NOIZZ-Interview von der jungen Politikerin beantworten lassen.


Grünen-Politikerin Aminata Touré im NOIZZ-Interview


NOIZZ: Du sprichst öffentlich nicht mehr über deine persönlichen Erfahrungen mit Rassismus. Kannst du erklären weshalb? 


Aminata Touré: Ich glaube, dass es zu einer Entpolitisierung der Debatte führt, wenn man Menschen, die politisch oder als Expert*innen zu diesen Themen arbeiten, immer nur aus einer Perspektive der Betroffenen befragt und sie dazu nötigt, traumatische Erlebnisse darzustellen.


Seit dem Mord an George Floyd und dem Wiederaufflammen der "Black Lives Matter”-Bewegung – wie hast du die Rassismus-Debatte in Deutschland wahrgenommen? 


Aminata Touré: Am Anfang der Debatte hatte ich das Gefühl, dass wir tatsächlich über Rassismus diskutiert haben. Es gab aber auch viele entpolitisierende Debatten, wie zum Beispiel nach persönlichen Rassismus-Erfahrungen zu fragen oder die Frage zu stellen, ob es Rassismus gibt. Nicht nur bei mir, sondern bei vielen Menschen, die Expert*innen zu diesen Themen sind, hat sich dann auch eine krasse Müdigkeit eingestellt. Ich mache seit zwei, drei Jahren politisch diese Arbeit, andere machen sie seit Jahrzehnten und die stellen sich natürlich die Frage: Wieso sind wir eigentlich immer noch an dem Punkt, zu diskutieren, ob es Rassismus gibt und nicht an dem Punkt, wie wir ihn bekämpfen können?


Wie war das nach Hanau?  


Aminata Touré: Wir haben nach Hanau sogar eine noch weniger intensive Debatte darüber geführt, wie es um Rassismus in Deutschland steht. Nicht weil Leute sich dazu nicht positioniert haben, sondern weil es gar nicht so aufgegriffen worden ist. Das gibt es ganz oft: Dass man es als Einzelfall abtut und nicht über das strukturelle Phänomen dahinter spricht. Wie oft wurde der Täter als Einzeltäter benannt? Dabei wissen wir, dass es Teil eines strukturellen Problems ist, dass Menschen erschossen werden aufgrund der Tatsache, dass jemand rassistisch und rechtsextrem unterwegs ist.


Woran liegt das? Verstehen sich die Deutschen einfach nicht als rassistisch? 


Aminata Touré: Ja, ich denke schon, dass man glaubt, dass das etwas ist, das woanders stattfindet, aber nicht hier in Deutschland. Die Debatte um George Floyd fing ja auch so an. Man hat mit dem Finger auf die USA gezeigt und sich weniger die Frage gestellt: Was hat das eigentlich mit uns zu tun? Viele Menschen – gerade auch aus der Zivilgesellschaft – haben dann ganz schnell deutlich gemacht: Das ist durchaus ein Problem, das auch wir angehen müssen.


Auf Social Media werden momentan viele Bilder und Videos von Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen geteilt. Du sprichst dich gegen das Teilen dieser Videos und Bilder aus. Es gibt aber auch Leute, die sagen: Wenn das brutale Video von George Floyds Verhaftung nicht viral gegangen wäre, hätte es nicht diesen großen, globalen Effekt gehabt. Was ist deine Meinung dazu? 


Aminata Touré: Die Bürgerrechtsbewegung hat auch ohne YouTube, Instagram und Facebook und ohne Videos stattgefunden. Was ich damit sagen möchte, ist: Die Ungerechtigkeit, die Schwarze Menschen erfahren, der Rassismus, den Schwarze Menschen erfahren, ist seit über 400, 500 Jahren der Fall. Uns fehlt es nicht an Beweisen, es fehlt uns einfach nur am Zuhören, am Bewusstwerden von diesen gesellschaftlichen Konflikten. Wenn die Mehrheitsgesellschaft wirklich sehen muss, wie jemand acht Minuten lang ermordet wird, damit sie begreift, dass das wahr ist – dann ist das schon Teil des Problems. Natürlich hat diese Debatte oder dieses Filmen dazu geführt, dass viele Leute begriffen haben, worum es geht. Aber ehrlich gesagt reden Schwarze Menschen seit 400 Jahren darüber.



Die Frage ist: Ist tatsächlich das Teilen dieses Videos der Anlass dafür gewesen, dass viele Menschen das begreifen oder thematisieren? Oder ging es dabei nur um eine Mehrheit, die es vorher einfach nicht wahrhaben wollte? Kann man in unterschiedliche Richtungen diskutieren, ob man das für sinnvoll erachtet oder nicht. Ich persönlich bin vehement dagegen, Schwarze Körper und Schwarze Ermordungen so darzustellen. Man muss sich immer die Frage stellen: Was hat das auch mit Rassismus zu tun, dass es völlig normal ist für viele Menschen die Dehumanisierung Schwarzer Körper zu zeigen. Wie viele Videos kennst du, wo weiße Menschen ermordet werden oder wo weiße Menschen degradiert werden. Die Frage muss man sich einfach einmal stellen.


Das sind Bilder, die traumatisieren und re-traumatisieren. Wenn man schon der Meinung ist, so etwas zu zeigen, dann muss man Menschen, die Wahl lassen: Möchte ich mir das anschauen oder nicht. Es tut weh, Schwarzen Menschen unter solchen Umständen zu sehen. Ganz oft wurde dieses Video ohne jegliche Trigger-Warnung oder jeglichen Hinweis gezeigt. Du gehst durch deinen Insta-Feed und bist vielleicht gerade beim Mittagessen und ziehst dir auf einmal solche Szenen rein. Das finde ich unverantwortlich. Man kann auch über dieses Thema berichten ohne Leuten – gerade Schwarzen Menschen – zuzumuten, dass sie sich das achteinhalb Minuten lang reinziehen müssen. Etwas anderes ist die Beweisaufnahme in dieser Situation, die ist wichtig.


Durch den Einfluss der Entwicklungen in den USA diskutieren wir aktuell auch in Deutschland vermehrt über Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen und PoCs. Haben wir ein Problem mit latentem Rassismus und rechtem Gedankengut in der deutschen Polizei? 


Aminata Touré: Ich beteilige mich nicht an Debatten, bei denen es nur darum geht, einzelne Institutionen festzumachen und zu sagen, ausschließlich dort haben wir ein Problem. Ich führe die Debatte genau andersherum: Es gibt keinen Ort, an dem Rassismus nicht wirkt. Deswegen erübrigt sich auch die Frage, ob es auch in der Polizei Menschen gibt, die dieses Gedankengut haben. Wir haben Fälle, in denen das klar deutlich gemacht wird.


Es geht nicht darum, das festzustellen und stehenzubleiben, sondern es geht darum zu sagen: In allen Strukturen unserer Gesellschaft – das beutet struktureller Rassismus – überall wirkt Rassismus. Das ist der Punkt. Wir müssen in allen gesellschaftlichen und institutionellen Bereichen über dieses Thema sprechen – gerade, wenn es um eine Institution geht, die das Gewaltmonopol innehat. Als Legislative sind wir in der Verantwortung Exekutiv-Organe zu kontrollieren und uns Gedanken darüber zu machen, wenn irgendetwas falsch läuft.


Die Polizei wehrt sich vehement gegen den Rassismus-Vorwurf und einen angeblichen Generalverdacht – aber wir wissen ja, dass rassistische Handlungsweisen passieren. Besteht in der Polizei eine Insensibilität, was das Thema Rassismus angeht? 


Aminata Touré: Ich glaube, dass das nicht nur bei der Polizei, sondern übrigens auch bei Politiker*innen so ist. Die meisten Politiker*innen sind es ja gewesen, die sich in diese Debatte eingeschaltet haben und gesagt haben: Das alles gibt es nicht. Wir haben einfach keine Grundlage bei dieser Debatte um Rassismus. Wenn Leute sagen, es gibt keinen strukturellen Rassismus in Deutschland, dann haben sie nicht verstanden, was struktureller Rassismus bedeutet. Der Fokus der Debatte muss sein, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, dass es überall ist und niemand fern davon ist.


Ich bin Patin für das Projekt "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage". Bei der Polizeischule in Eutin und habe da sehr kritisch über das Thema gesprochen und die Erfahrung gemacht, dass die Polizeischüler*innen sich auch ganz selbstkritisch dazu verfahren haben. Ich kann nicht für die ganze Polizei und deren grundsätzliches Verhalten sprechen, aber es gibt natürlich Polizist*innen, die das selbstkritisch wahrnehmen, annehmen und darüber diskutieren.


Viele junge Menschen und darunter insbesondere Schwarze Menschen und PoCs sehen die Polizei nicht als Freund und Helfer, sondern eher als Bedrohung. Was wird da getan, um das Vertrauen in die Polizei wiederherzustellen, beziehungsweise die Polizei vertrauenswürdiger zu machen für diese Menschen? 


Aminata Touré: Das sind genau die Debatten, die wir als Politiker*innen und gerade auch Innenminister*innen führen müssen. Zu sagen: Ok, wir haben hier anscheinend auch Menschen in dieser Gesellschaft, die kein Vertrauen in diese Institution haben. Das ist ein Problem, wenn Menschen kein Vertrauen in staatliche Institutionen haben.


Als Gegenwehr kann man natürlich einfach behaupten, das stimme alles gar nicht – oder man handelt im Interesse einer parlamentarischen Demokratie und setzt sich dafür ein, dass Menschen vertrauen in diese Institution haben. Wir in der Politik sind in der Verantwortung, zu sagen: Wie können wir dieses Problem am besten lösen? Das ist zumindest der Weg, den ich gehe und deshalb fordere ich ja die Fortbildungen und Auseinandersetzung in staatlichen Institutionen.


Die Rassismus-Forschung weiß nicht viel über die Polizei. Die Polizei lässt sich nicht gerne in die Karten schauen und macht die meiste Forschung an den Polizeihochschulen selbst. In der polizeilichen Kriminalstatistik gibt es aber keine Zahlen dazu, wie oft Polizeibeamt*innen rassistisch handeln. Wie erfährst du die Kooperationsbereitschaft der Polizei beim Thema Rassismus in den eigenen Reihen? (Anm. d. Red.: Das Interview wurde vor dem Streit um die "Racial Profiling"-Studie geführt.)


Aminata Touré: Das ist auch eine Aufgabe der Politik: Was lässt sie zu und was bringt sie selbst auf den Weg? Es gibt Institutionen wie zum Beispiel PolizeiGrün, aber auch andere Teile von Polizeigewerkschaften, mit denen man selbstkritischere Debatten darüber führen kann. Die Frage ist, ob ein Innenministerium oder ein Parlament dann sagt: Lass uns so eine Studie doch einmal machen. Oder machen wir so etwas nicht, weil wir grundsätzlich der Meinung sind, das ist nicht notwendig. Wir müssen offener darüber sprechen und eine Fehlerkultur zulassen, um tatsächlich voran zu kommen. Als Parlamentarierin geht es mir darum, Lösungen für unser gesellschaftliches Zusammenleben zu finden.


Auch in Deutschland sterben Schwarze Menschen und PoCs in Polizeigewahrsam. Müsste es da nicht jedes Mal einen Aufschrei und eine Untersuchung geben? 


Aminata Touré: Das sind auch Fragen, die wir bewegen. Wenn Corona nicht gewesen wäre, hätte ich eine Veranstaltung gemacht, genau zu dem Thema im Rahmen des Aktionsplans gegen Rassismus – mit Polizist*innen und Menschen, die dazu forschen. Das mussten wir verschieben. Ich glaube, dass es total notwendig ist, diese Debatten zu führen. Denn genau das Nicht-Aufklären solcher Taten führt zu einem Misstrauen. Deshalb ist es wichtig, da Licht ins Dunkle zu bringen und wenn man weiß, dass da ein Fehlverhalten stattgefunden hat, das dann auch verfolgt.


 

Die Debatte um "Rasse" im Grundgesetz und rassistische Monumente


Du setzt dich für eine Streichung des Begriffs "Rasse" aus dem Grundgesetz ein. Was würde sich dadurch verbessern? 


Aminata Touré: Für uns geht es um eine Ersetzung des Begriffs, nicht um eine Streichung. Dass es Rassismus gibt, muss im Grundgesetz festgeschrieben sein. Wir wollen aber, dass sich in unserem Grundgesetz widerspiegelt, dass wir keine rassistische Sprache verwenden oder kein rassistisches Gedankengut. Natürlich war die Intention der Mütter und Väter des Grundgesetzes, genau das zu manifestieren. Leider haben sie sich aber einer Sprache bedient, die problematisch ist. Es gibt auch immer noch Menschen, die argumentieren, dass es menschliche "Rassen" gibt.


Denen sollten wir es nicht so einfach machen, indem wir das dann auch noch in unseren größten Gesellschaftsvertrag hineinschreiben. Robert Habeck und ich haben aber ja nicht nur diese Forderung gestellt, das ist nur die, die medial aufgegriffen worden ist. Wir haben zum Beispiel auch die Forderung gestellt nach Polizeibeauftragten auf Bundesebene und in allen Bundesländern. 


Aktuell findet auch eine große Debatte um rassistische Straßennamen, Monumente, Statuen et cetera statt – wie hier in Berlin zum Beispiel die "Mohrenstraße". Sollten derartige Straßennamen und Monumente geändert werden? 


Aminata Touré: Das ist eine berechtigte Debatte, die geführt wird, die auch von vielen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen geführt wird. Bei der Benennung von Straßen und Errichten von Monumenten geht es immer um eine Ehrung und da muss man sich die Frage stellen, möchte man solche Menschen ehren?


Was mir total wichtig ist: Ich weiß, der Großteil der Gesellschaft wünscht sich am liebsten fünf Punkte, wie man Rassismus bekämpft und dann ist er morgen weg. So funktioniert das aber nicht. Auch wenn die Straße umbenannt sind, auch wenn “Rasse” aus dem Gesetz gestrichen ist und die Monumente nicht mehr da sind, ist der Rassismus nicht bekämpft. Das sind wichtige, symbolische Akte – aber das viel Wichtigere ist, in die Strukturen hineinzugehen. Das sind berechtigte Debatten, aber nicht die Hautpunkte im Kampf gegen Rassismus.


Du setzt dich schon seit Jahren für den Kampf gegen Rassismus ein. Oft hat man das Gefühl, es dauert so lange, bis sich etwas verändert und verbessert. Ist das nicht frustrierend? 


Aminata Touré: Wenn man sich die Geschichte der Menschen anschaut, dann gab es ganz andere Zustände. Wenn man Politik macht oder sich für gesellschaftliche Veränderungen einsetzt, dann darf man keine naive Vorstellung davon haben, dass sich in drei Wochen alles ändert. Auch wenn eine große Mehrheit jetzt einmal von Rassismus gehört hat, kämpfen da seit Jahrhunderten Menschen dafür. Es ist immer nach vorne gegangen, es gibt immer wieder Rückschläge – trotzdem glaube ich, dass es immer weiter nach vorne geht. Sonst würde ich das auch nicht machen.


Du musst immer wieder Anzeigen erstatten wegen Hassnachrichten, die dich auf verschiedenem Weg erreichen. Haben die Anzeigen Erfolg?  


Aminata Touré: Ja, unterschiedlich. Einige Verfahren laufen einfach noch, weil jetzt in den letzten Wochen eine Menge dazugekommen ist. Bei einigen werden die dann ausfindig gemacht und es gibt dann entsprechende Konsequenzen. Es ist auch sehr wichtig, dass das in den Statistiken auftaucht.


Ich versuche auch immer Menschen – unabhängig davon, ob sie in der Öffentlichkeit stehen oder nicht, dazu zu animieren, solche Verbrechen zur Anzeige zu bringen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, wenn Leute sich da daneben benehmen, gibt es strafrechtliche Mittel, um dagegen anzugehen.


Ich habe mit einer Kollegin eine Petition gestartet, um das rassistische Stadtwappen der Stadt Coburg zu ändern. Wir hören oft: "Das war schon immer so. Das ist nicht rassistisch. Punkt." Du kennst das sicher auch. Wie geht man mit solchen Menschen um, die gar keinen Angriffspunkt für eine Diskussion lassen?  


Aminata Touré: Das ist das Schicksal, das viele Menschen teilen, die von Rassismus betroffen sind: Dass ihnen nicht geglaubt wird. Je nachdem, ob sich das lohnt, diskutiere ich weiter mit Leuten und kämpfe politisch weiter. Manchmal macht es aber auch keinen Sinn zu diskutieren, wenn Leute wirklich allergisch gegen Fakten sind. Dann muss man sich fragen, ob man gerade die Zeit und auch die Kraft hat, diese Debatte zu führen.


Ich persönlich bin in einer Position, in der ich mit vielen Menschen weiter diskutiere, auch mit denjenigen, die sich abwertend verhalten oder die keine Lust auf Fakten haben – bis zu einem Punkt, wo es strafrechtlich relevant wird. Das mache ich dann nicht mehr.


Was können weiße Menschen konkret tun, um Schwarze Menschen und PoCs jetzt zu unterstützen? 


Aminata Touré: Vor allem nicht immer darauf hoffen, dass PoCs einem immer Antworten auf diese Fragen geben. Ich beobachte, dass viele Menschen dasitzen und sagen: Ja, aber was soll ich denn jetzt machen? So als ob das ein Thema und Problem wäre, das wir uns ausgedacht haben und wir deshalb auch Antworten parat haben. Es geht darum, sich gemeinsam auf die Suche zu machen und zu fragen: Was kann ich aktiv tun? Viele Menschen setzen sich nicht damit auseinander: Weil sie nicht davon betroffen sind und sich denken: So schlimm wird das schon nicht sein. Es gibt so viele Werke, Bücher, Musik, Filme … Der erste Schritt ist, sich selbst weiterzubilden.


Was ich echt auch problematisch finde, ist, wenn man das Gefühl hat, das hat nichts mit einem selbst zu tun. Wir leben alle gemeinsam in einer Gesellschaft und wenn du mitbekommst, dass es Rassismus gibt – und das gilt nicht nur für Rassismus, sondern für andere Formen von Menschenfeindlichkeit auch – dann ist es wichtig, dass man sich die Frage stellt: Was ist mein Job in dieser Gesellschaft – und nicht immer darauf wartet, dass Leute einem mundgerecht Antworten geben und einem sagen: Diese Schritte musst du gehen, damit es bekämpft wird.


Was kann man gegen Rassismus tun? Aminatas Forderungen


Was kann man gegen Rassismus tun – gesellschaftlich und politisch? Was sind deine Forderungen? 


Aminata Touré: Die Forderung, die ich schon vor drei Jahren im Rahmen der Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein gestellt habe, ist, einen Aktionsplan gegen Rassismus auf den Weg zu bringen, um konkrete politische Maßnahmen zu benennen. Wir sind derzeitig an dem Punkt, dass die Landesregierung in Schleswig-Holstein eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet hat. Die wird im nächsten Jahr die Ergebnisse präsentieren. Jeder Bereich muss konkrete Maßnahmen benennen – wie zum Beispiel im Bildungsbereich den Lehrplan dahingehend zu bearbeiten, dass Kolonialismus intensiver bearbeitet wird, um die Ursachen von anti-Schwarzem Rassismus besser greifen und dagegen angehen zu können.


Für den Bereich Inneres stelle ich mir zum Beispiel vor, dass wir innerhalb der Polizei eine Stelle haben – so wie wir das in Schleswig-Holstein auch für LGBTQI haben – eine Anlaufstelle, die nach außen für Bürger*innen wirkt, aber auch für die Polizei nach innen wirkt. Ich wünsche mir auch, dass in der Ausbildung und Fortbildung der Polizei über solche Themen gesprochen, weitergebildet und sensibilisiert wird.


Für den Justizbereich haben wir da schon etwas auf den Weg gebracht. Ich habe mich im letzten Jahr während der Haushaltsverhandlung dafür eingesetzt, dass das Justizpersonal im Hinblick auf Rassismus geschult wird. Das machen wir in Schleswig-Holstein als Pilotprojekt gemeinsam mit dem Institut für Menschenrechte. Das könnten alle Bundesländer machen – oder auch ein Anti-Diskriminierungsgesetz schaffen.


Wie kommt man bei den Bürger*innen am besten mit dem Thema an? 


Aminata Touré: Diese Debatte musst du mit der Zivilgesellschaft auf jeden Fall führen. Als Politik hat man da die Aufgabe, auf Themen aufmerksam zu machen und sie zu diskutieren. Wir haben im letzten Jahr eine große Anti-Rassismus-Konferenz mit über 500 Schleswig-Holsteiner*innen gemacht. Die Teilnehmer*innen haben Workshops gemacht bei uns und dann hatten wir abends eine Podiumsdiskussion mit Samy Deluxe, Yasmine M’Barek und Hajdi Barz.


Jede*r einzelne*r ist in der Verantwortung, sich selbst auf eine anti-rassistische Reise zu begeben – gerade, wenn unsere Strukturen noch nicht ausreichend ausgestattet sind, um für Rassismus zu sensibilisieren.


Hast du das Gefühl, dass deine Forderungen momentan auf viel Gehör stoßen? 


Aminata Touré: Ja. Erst einmal haben wir es in den Koalitionsvertrag hinein verhandelt, damit ist der wichtigste Schritt schon gegangen. Das muss man dann schon erklären, warum man einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag nicht umsetzt. Die Landesregierung arbeitet derzeit daran. Das ist ein Thema, das wir breit diskutieren in Schleswig-Holstein.


Dein Kernprogramm ist der Versuch, staatliche Institutionen von innen heraus umzukrempeln und sie dazu zu bringen, Rassismus "zu verlernen". Was meinst du damit? 


Aminata Touré: Wir sind in einer Gesellschaft, in der Rassismus existiert und wirkt. Um dem Problem zu begegnen, müssen wir uns genau damit auseinandersetzen, um es dann zu entlernen. Wir bekommen das von Anfang an beigebracht und denken gar nicht reflektiert darüber nach, sondern verstehen das einfach als Status Quo. Wir haben rassistische Stereotypen, die in Kinderbüchern bis hin zu Musik oder politischen Debatten und Institutionen einfach da sind.


Hast du das Gefühl, dass die aktuelle Diskussion Veränderung schaffen kann? Befinden wir uns an einem Wendepunkt? 


Aminata Touré: Es ist immer schwierig, aus einer aktuellen Situation heraus von Wendepunkten zu sprechen, weil man das meiner Meinung nach abschließend erst bewerten kann, wenn man zurückblickt. Aus einer Momentaufnahme heraus kann man sagen, dass wir definitiv die Debatte ein Stück weit anders geführt haben als sonst. Wir sind einen kleinen Schritt nach vorne gegangen. Wir haben zum ersten Mal über Dinge wie Weißsein geredet. Das klingt total absurd, aber das sind Debatten und Diskurse, die in den USA schon 200 Jahre alt sind. Hier in Deutschland wird das fast als Beleidigung wahrgenommen, wenn man zum Beispiel darüber spricht, dass Leute weiß sind und dadurch bestimmte Privilegien haben, die mit Weißsein einhergehen.


Es ist wichtig, da sprachlich präzise zu sein, weil es sonst oft so dargestellt wird, als würden das nur Menschen erfahren, die nicht Teil dieser Gesellschaft sind oder neu dazugekommen sind. Das ist einfach nicht wahr. Auch Leute, die hier geboren sind, aufgewachsen sind oder länger hier leben, Deutsch sind und sich auch als Deutsch verstehen, machen diese Erfahrung. Allein das Benennen von Rassismus hat vorher nicht stattgefunden und das kann man als Entwicklung in der Debatte feststellen.