Neulich blieb ich im Nachrichtenstrom an einem Bild hängen: Es zeigt eine alte, ganz außergewöhnliche Darstellung der "heiligen Familie". Denn was Maria auf diesem Bild in ihren Armen hält, ist nicht ihr Neugeborenes, sondern ein Buch. Sie liegt im Wochenbett, hat eine große rote Decke über sich gezogen, ein Kissen im Rücken, um eine bequeme Leseposition einzunehmen. Der heilige Josef sitzt vor ihr auf dem Boden - und in seinen Armen liegt der in Tücher gewickelte Säugling.
Zahlreiche erfreute Frauenstimmen finden sich in den Kommentaren unter dem ikonenhaft gemalten Bild, das wohl aus dem 15. Jahrhundert stammt und heute im Fitzwilliam-Museum der Universität Cambridge zu bestaunen ist. Was Maria liest, sieht man nicht - ist es die Thora? Ein Hinweis, dass sich mit der Geburt ihres Kindes, des Messias, die alte Schrift erfüllt? Eigentlich ist es gar nicht so wichtig, was Maria liest, sondern dass sie liest!
Der Grund, warum dieses Bild von Frauen so euphorisch im Internet geteilt wird und auch ich es gespeichert habe, ist doch der, dass Maria einmal in einer anderen "Mutterrolle" gezeigt wird. Als eine Mutter, die sich Zeit für sich nimmt zur Lektüre, zur geistlichen Erbauung, zur Erholung und das Kind in dieser Zeit guten Gewissens dem Mann überlässt. Eine für heutige katholische Augen ungewohnte Darstellung - ist es gar eine Provokation?
Gerade in Deutschland, wo man so viel über "gute Mütter" schreibt und streitet, wird einer jungen Ehefrau von katholischer Seite gerne einschlägige Lektüre zugesteckt, in der die Mutterschaft glorifiziert und die Vaterschaft vergessen oder, schlimmer noch, tatsächlich abgewertet wird. Natürlich mit innigen Mutter-Kind-Darstellungen der Gottesmutter, die natürlich schön sind!
Es beschleicht einen dabei das Gefühl, den Frauen damit auch ein vermeintlich traditionelles Rollenbild schönreden zu wollen, welches die Vielfalt der Rollen von Frauen in der Kirche verkürzt. Die alte Darstellung entlarvt das auf wunderbare Weise, indem sie den berühmtesten Adoptivvater der Welt zeigt und eine Mutter, die sich nicht selbst vergisst. Zumindest ist es dieser Eindruck einer anderen Maria, der bei mir kurz Schmunzeln hervorgerufen hat. Wenn Marias mütterliches Opfer als übersteigertes Ideal beschworen wird, das von Frauen die Selbstverleugnung gerade auch ihres Intellekts verlangt, hat mich das dagegen immer sehr befremdet. Natürlich: Christsein ohne Opferbereitschaft geht nicht. Nur, wenn das eingesetzt wird, um speziell Frauen auszubremsen und auf niedrigen Rängen zu halten, macht mich das wütend.
Das alte Bild der "heiligen Familie" stellt dazu einen so schön entspannten Gegenpol dar, dass ich verstehen kann, warum es die Runde macht. Die katholische Bilderwelt war früher um so viele Mariendarstellungen reicher. Ich wünsche mir, dass solche Bilder irgendwann keine Sensation mehr sind.