1 subscription and 3 subscribers
Article

Lehren aus der US-Wahl: Der Erfolg fängt unten an

Um Mehrheiten zu gewinnen, muss man sich nicht den Rassist:innen anbiedern. Die Demokratin Stacey Abrams etwa hat es es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Wählerunterdrückung zu bekämpfen. © Ethan Miller

Jahrelange Graswurzelarbeit und die Mobilisierung neuer Wählergruppen haben entscheidend zu Joe Bidens Sieg bei der US-Wahl 2020 beigetragen. Was heißt das für den Kampf gegen Rechtspopulisten bei uns?


Ein ernst dreinschauender Donald Trump ist auf dem Cover des „Spiegels" von Ende Juli zu sehen, die MAGA-Kappe in der einen Hand, die andere wie zum Abschied erhoben. Daneben die Worte: „Wie den Populisten Donald Trump entzaubert."

Das Magazin war keineswegs alleine mit seiner Einschätzung, im Gegenteil. Dass die Pandemie die Trumps, Bolsonaros und Salvinis dieser Welt entzaubere, ihre Lügen und schmissigen Parolen entlarve, hofften viele. Es war, neu aufgewärmt, die alte These, nach der es den Ultrarechten ergehen müsse wie dem Herrscher im Märchen „Des Kaisers neue Kleider", sobald sie in Regierungsverantwortung kommen: Plötzlich stünden sie nackt da, ohne Lösungen für die komplexen Probleme der Gegenwart.

Wenn es nach den politischen Erfolgen von Berlusconi, Orban, Kaczynski und Co. noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dass diese Hoffnung unberechtigt und zudem riskant ist, dann war es diese US-Präsidentschaftswahl. Denn dass Donald Trump verloren hat, lag keineswegs daran, dass die Wählerinnen und Wähler, die ihn 2016 ins Amt gebracht hatten, sich massenhaft enttäuscht von ihm abgewendet hätten, im Gegenteil. Trotz seines Umgangs mit der Pandemie, trotz seiner Flirts mit Rechtsradikalen, trotz all der tausend Lügen und Peinlichkeiten, mit denen wir in den vergangenen vier Jahren auf allen Kanälen bombardiert worden sind, hat Donald Trump sogar etwa zehn Millionen Stimmen dazugewonnen.

Rechtspopulisten wie Trump werden nicht trotz, sondern wegen ihrer Hetze gewählt

Seinen Erfolg sollten sich demokratische Kräfte auch in Deutschland und Europa ganz genau anschauen - genauso wie die Strategie, mit der die Demokraten dennoch den Sieg eingefahren haben. Denn bei allen Unterschieden im politischen System und der Kultur ähneln sich die Strukturen hinter dem Aufstieg von Ultrarechten hier wie dort.

Die erste Lehre ist: Kommen Rechtspopulisten an die Macht, werden sie oft noch erfolgreicher. Denn viele Menschen wählen sie nicht trotz, sondern wegen ihrer Hetze und Menschenfeindlichkeit, wegen ihrer Missachtung von demokratischen Institutionen und Wissenschaft. Im Fall von Trump werden diese Verhaltensweisen umgedeutet in einen heroischen Kampf des einfachen Mannes gegen die technokratischen Eliten in Washington. Und: Die Wahrscheinlichkeit, überzeugte Rechtsautoritäre mit Argumenten umzustimmen, geht gegen null. All die Enthüllungen über Trumps Verfehlungen, all die Fakten-Checks, sie haben seine Fans nicht erreicht.

Das bedeutet keineswegs, dass demokratische Kräfte alle, die Rechtspopulisten gewählt haben, einfach abschreiben sollten. Es bedeutet zunächst einmal, dass niemand sich der US-amerikanischen Trump-Landwirtin anbiedern sollte, die der Qanon-„Bewegung" anhängt und die Maskenpflicht für Sklaverei hält. Genauso wenig wie dem gutsituierten Zahnarzt, der die AfD wählt, weil sie gegen Muslime hetzt.

Einen anderen Weg haben die Demokraten in diesem Wahlkampf aufgezeigt: Mehr als auf der Abwerbung von Trump-Anhängerinnen und Anhängern beruhte ihr Erfolg darauf, dass es gelang, viele Millionen Menschen zu mobilisieren, die bei der vergangenen Wahl zu Hause geblieben waren - oder sogar noch nie gewählt hatten. Diese Strategie hat - neben der extremen Polarisierung dieser Wahl - dazu beigetragen, dass Joe Biden in absoluten Stimmen das beste Ergebnis in der Geschichte der USA feiern konnte.

US-Wahl 2020: Demokraten konnten Millionen neue Wähler:innen mobilisieren

Wie dieser Erfolg zustande kam, illustriert etwa das Beispiel Georgia. Wie viele andere Südstaaten galt Georgia als „red state", als ein Staat also, den die Republikaner sicher für sich verbuchen konnten. Bis jetzt. Im Vergleich zu 2016 gewannen die Demokraten unglaubliche 600.000 Stimmen dazu, die meisten von neu registrierten Wählerinnen und Wählern.

Angerechnet wird dieser Erfolg nicht nur Biden und seiner großen Versöhnungserzählung, sondern in erster Linie der jahrelangen Arbeit von Graswurzel-Organisationen, die in den unterprivilegierten Communities Georgias nicht nur Hunderttausende Menschen bei der Wählerregistrierung unterstützten, sondern sie auch für politische Bewegungen mobilisierten, die ihr Leben direkt betreffen - von höheren Mindestlöhnen bis hin zum Ausbau öffentlichen Wohnungsbaus. Es gibt solche Initiativen an vielen Orten in den USA, getragen werden sie oft vor allem von Schwarzen Frauen. In Georgia wird der Erfolg etwa einem Netzwerk um die Demokratin Stacey Abrams zugesprochen.

Auch wenn es in Deutschland und Europa keine vergleichbaren Mechanismen gibt, mit denen in den USA systematisch große Bevölkerungsteile von den Wahlurnen ferngehalten werden: Auch hierzulande schlummern riesige Wählerpotenziale. Millionen von Menschen haben sich vom politischen System abgewendet, und wie in den USA und eigentlich überall auf der Welt sind es in erster Linie die Armen, die mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Angehörige von Minderheiten. Wenn es gelingt, sie dennoch zu mobilisieren, können sie bei Wahlen einen echten Unterschied machen. Allerdings ist das keineswegs ein Selbstläufer für progressive Kräfte. In Deutschland beispielsweise hat in den vergangenen Jahren von höherer Wahlbeteiligung vor allem die AfD profitiert.

Lehren aus der US-Wahl 2020: Geringverdienende unterstützen

Doch trotzdem oder gerade deswegen sollten die Politikverdrossenen viel stärker in den Blick genommen werden. Denn sie weisen auf einen der größten Fehler hin, den die etablierten Parteien in den vergangenen Jahrzehnten gemacht haben, vor allem jene links der Mitte.

Wenn große Teile der Gesellschaft den Eindruck haben, dass sie von der Politik nichts erwarten können, dann ist das keineswegs nur ein diffuses Gefühl. Nein, sie haben damit schlicht und ergreifend recht. Sowohl für die USA als auch für Deutschland haben Studien gezeigt, dass die Interessen von armen Menschen und Angehörigen der unteren Mittelschicht in der Regierungspolitik in den vergangenen Jahrzehnten so gut wie nicht berücksichtigt worden sind - jedenfalls dann nicht, wenn sich diese Interessen signifikant von denen der Wohlhabenden unterscheiden.

Nachgewiesen ist das etwa für Themen wie die Absenkung des Rentenniveaus, die Blockade einer Vermögenssteuer, die Deregulierung der Finanzmärkte, aber auch für die Frage nach Militäreinsätzen im Ausland - gegenüber denen Geringverdiener viel häufiger kritisch eingestellt sind.

Fachleute sprechen von einer „Krise der Repräsentation", man könnte es aber auch ein Armutszeugnis für alle Staaten nennen, die sich als demokratisch bezeichnen. Ein Armutszeugnis, das den Aufstieg rechtsextremer Kräfte mitbegünstigt hat.

Zwar warnen Fachleute davor, diesen einfach mit sozialen oder ökonomischen Entwicklungen zu erklären - weil Rassismus und autoritäre Tendenzen alle Schichten durchziehen. Dazu passt, dass Trump 2020 mehr reiche als arme Wählerinnen und Wähler hinzugewonnen hat - und auch etwa die AfD oder der Front National haben viele Fans im großbürgerlichen Milieu.

Lehren aus der US-Wahl 2020: Um jene, die die Politik jahrzehntelang vergessen hat, muss man kämpfen

Doch zugleich ist unbestritten, dass bei denjenigen, die man einmal „die Arbeiterklasse" nannte, im Gros eine Verschiebung stattgefunden hat. Ihr politisches Zuhause sehen sie längst nicht mehr automatisch bei der Linken, sondern wählen immer öfter entweder gar nicht oder rechte Autoritaristen. In den USA galt das 2020 in überwältigendem Maß bei Weißen. Aber auch unter Latinos und wohl auch unter Schwarzen konnte Trump im Vergleich zu 2016 zusätzliche Stimmen sammeln. Angehörige dieser Gruppen leben öfter in Gegenden, deren öffentliche Infrastruktur kaputtgespart wurde, verloren in der Pandemie als Erste ihre Jobs, und als Ladenbetreiber:innen wurden sie vom Lockdown am härtesten getroffen. Offenbar waren nicht wenige von ihnen bereit, jemanden zu wählen, der zwar offen mit der Ideologie der White Supremacy flirtet, von dem sie sich aber eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation versprachen - ob durch Protektionismus, Steuersenkungen oder den Kampf gegen strengere Corona-Regeln.

Für all jene, die den Aufstieg der Rechtspopulisten stoppen wollen, bedeutet das vor allem eines: Um diejenigen, die sich aus berechtigten Gründen von der Politik vergessen fühlen, muss man kämpfen. Es führt kein Weg drumherum.

Die Politik hat die Interessen der unteren Mittelschicht zu lange ignoriert

Wenn Arbeitsmigration von Unternehmen ausgenutzt wird, um Löhne zu drücken, oder wenn aus der Corona-Pandemie die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher herauszugehen drohen, dann sind das keine Argumente gegen Migration oder gegen entschiedene Corona-Regeln. Aber es sind Argumente für eines der wichtigsten Prinzipien linker Politik: Bei allen Entwicklungen die Interessen der potenziellen Verliererinnen und Verlierer zu berücksichtigen. Es sind Argumente für besseren Arbeitnehmerschutz und höhere Mindestlöhne, für eine Stärkung demokratischer Teilhabe und für eine Krisenpolitik der mutigen öffentlichen Investitionen, die Existenzen sichert und zukunftsgerichtete Transformationen anstößt.

All das könnten Teile einer mobilisierenden Zukunftsvision sein, eines Gegenentwurfs zur Katastrophen-Erzählung der Rechtspopulist:innen. Die Progressiven unter den US-Demokraten setzen dabei auf den Green New Deal, Medicare for All und den Kampf gegen Rassismus. Der Gegenwind, der ihnen auch aus der eigenen Partei entgegenschlägt, zeigt, dass das keine kleine Herausforderung ist - insbesondere in einer Phase, in der Depression und Zukunftsangst um sich greifen.

Doch wer den selbsternannten starken Männern und Frauen etwas entgegensetzen will, kann keine Rückkehr zu einem Status quo wollen, in dem große Teile der Bevölkerung einfach ausgeblendet wurden.

Original