Sunitha Krishnans Initiative Prajwala für verkaufte Mädchen und Frauen ist weltweit einmalig. Alexandra Eul hat sie in Indien besucht.
von Alexandra Eul
Helles Mädchenlachen hallt durch den Schulflur. Es dringt aus einem kleinen Klassenraum. Darin ein Dutzend Mädchen, die jüngste ist vier Jahre alt. Sie singen und tanzen und werfen ihre schmächtigen Ärmchen jauchzend in die Luft, ganz wie das Nilpferd in dem Trickfilm vor ihren Nasen. Erst als sie sich umdrehen, sieht man die Traurigkeit in ihren Augen. Denn das luftige Schulgebäude mit seinen mit bunten Kinderzeichnungen tapezierten Wänden steht in maximalem Kontrast zu der Welt, aus der die Mädchen kommen: ein illegaler Rotlichtbezirk, nicht weit entfernt von der südindischen Metropole Hyderabad.
Wie eine Pizza konnten Männer sich bisher die Mädchen bestellen und sie vergewaltigen. Und es ist gar nicht lange her, dass die Mädchen bei einer Polizei-Razzia entdeckt und an einen Ort gebracht wurden, der nicht nur in Indien, sondern auf der ganzen Welt einmalig ist. Er trägt den Namen „Prajwala", das heißt „ewige Flamme". Ein Zufluchtsort für verkaufte Mädchen und Frauen.
In dem Klassenraum neben dem Kindergarten pauken Teenagerinnen Dreisatz und Englisch. Auch ihre Vergangenheit ist ein Albtraum. Aber heute hoffen sie auf eine Zukunft: als Pilotin, Architektin oder Software-Entwicklerin. Als der Schulunterricht endet, strömen sie aus dem Gebäude auf den weitläufigen Hof. Dort wartet eine Frau, die so klein ist, dass manche der Schülerinnen sie sehr bald überragen werden. Die Mädchen werfen sich in ihre Arme. „Wo warst du so lange, Mami?"
Diese Frau heißt Sunitha Krishnan. Prajwala ist ihr Werk. 600 Frauen, darunter 200 minderjährige Mädchen, leben derzeit in den Schutzunterkünften auf dem durch hohe Mauern geschützten Gelände. Rund 20.000 Frauen und Mädchen hat Krishnan aus der Sexsklaverei gerettet und davor bewahrt, dass sie erneut in die Prostitution abrutschen. „Wir sind das einzige Modell weltweit, das beweist: Es ist möglich, Frauen da rauszuholen und sie auf den Weg der Genesung zu schicken. Ich denke nicht, dass wir zu 100 Prozent erfolgreich sind. Aber wir sind sehr erfolgreich", sagt Krishnan stolz. „Von zehn schaffen acht den Ausstieg und beginnen ein neues Leben."
Laut offizieller Kriminalstatistik wird in Indien stündlich eine Frau verkauft. NGOs schätzen, dass es eher minütlich passiert. Die meisten Fälle werden niemals angezeigt. Die offiziellen Zahlen sind also nur eine Annäherung an das tatsächliche Ausmaß des Elends. Ein weltweites Elend. Gemäß des „Global Slavery Index" sind 71 Prozent der 40 Millionen Menschen in der modernen Sklaverei weiblich. In der Sexsklaverei ist es die überwältigende Mehrheit. Das Problem habe „erschreckende Dimensionen" angenommen, erklärten unlängst die Vereinten Nationen. Nicht nur die UN, sondern auch die EU-Kommission warnte in einem Report vor der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Mädchen in Europa. Alleine in den Jahren 2015 und 2016 sind 9.759 in den Statistiken aufgetaucht. Die Dunkelziffer beträgt auch hier ein Vielfaches. In Ländern, in denen die Prostitution legal ist, hätten es die Frauenhändler besonders leicht, berichtet die EU-Kommission. (...)