Maschine schlägt Mensch: Ein Computer hat das komplexeste Spiel der Welt („Go") gewonnen. Pünktlich zur CeBIT stellen sich viele Fragen. Yvonne Hofstetter kennt die Antworten. Die Big-Data-Expertin entwickelt seit 17 Jahren Systeme mit Künstlicher Intelligenz. Im Gespräch mit EMMA erklärt sie, warum sie kein Smartphone hat und ein altes Auto fährt. Und warum die Macht der Daten ein Thema ist, das Frauen besonders betrifft.
Frau Hofstetter, sind wir noch zu retten?
(Yvonne Hofstetter lacht.) Schwierige Frage. Wenn Sie auf die digitalen Technologien anspielen, muss ich Ihnen leider sagen: Bei vielen Dingen ist der Zug abgefahren.
Warum?
Was können wir heute noch dagegen tun, dass wir überwacht werden? Und zwar nicht nur von NSA und BND, sondern auch von Google - heute Alphabet -, Facebook oder Amazon. Sprich, Unternehmen aus dem Ausland, die aus unseren Daten Profit schlagen. Zum Glück hat Europa mittlerweile begriffen, dass man sich langsam mal mit dem Thema beschäftigen sollte.
Sie haben deshalb ein Buch über „Big Data" geschrieben.
Ja. Bei Big Data geht es in erster Linie um die riesigen Datenmengen, die wir seit Mitte der Nullerjahre produzieren. Genauer: Seit 2007, als Apple-Chef Steve Jobs das erste iPhone vorgestellt hat. Seither tragen wir eine Wanze mit uns herum. Wir verbinden uns mit so genannten sozialen Plattformen und veröffentlichen alle möglichen Daten über uns. Würden diese Daten nur in irgendwelchen Datensilos abgespeichert, ohne dass sie in Beziehung zueinander gesetzt werden, dann wäre die Debatte über Privatsphäre überflüssig.
Und was passiert stattdessen?
Hinter Big Data verbirgt sich mehr als nur das Erzeugen und Speichern großer Datenmengen. Es handelt sich um eine Technologie und auch eine Philosophie. Sie besteht aus drei Stufen. Erstens: Unsere Daten werden gesammelt. Zweitens: Die Behörden oder Unternehmen, die Zugriff auf diese Daten haben, machen sich ein so genanntes Lagebild von uns. Dafür nehmen sie die Rohdaten, führen sie zusammen und leiten daraus weitere, für sie relevante Informationen ab. Darüber erstellen sie dann Profile von uns. Auf Basis dieser Profile bekommen wir im einfachsten Fall personalisiert Werbung zugespielt. Aber jetzt kommt der dritte Schritt: die Kontrollstrategie. Das ist die Manipulationskomponente. Internetgiganten setzen ständig Anreize, um unser Verhalten zu steuern. Dieses Verhalten überwachen und analysieren sie immer wieder aufs Neue und justieren dann nach, damit sie uns noch besser beeinflussen können. Das klingt verschwörungstheoretisch, ist aber ein eigenes wissenschaftliches Feld: Die Kybernetik, also die Wissenschaft von Information und Kontrolle, begründet im letzten Jahrhundert von dem Mathematiker Norbert Wiener.
In der Kybernetik geht es auch um Künstliche Intelligenz.
Ja, Kybernetik kann am besten durch lernende Maschinen umgesetzt werden. Die Maschine versucht, auf Basis unserer Daten unser Verhalten zu verstehen. Als nächstes wird sie direkt auf uns losgelassen, um uns in Echtzeit zu beobachten und zu vergleichen, ob wir uns auch so verhalten, wie es die Analyse der Daten ergeben hat. Und dann wird die Maschine damit anfangen, entsprechende Impulse zu setzen, um unser Verhalten zu steuern.
In welchen Bereichen wird das heute denn schon eingesetzt?
Bei der Google-Suche. Aufgrund Ihrer Such-Historie, der Inhalte Ihrer E-Mails, die Sie über Google-Mail verschicken, Ihres Google-Plus-Accounts und der Gesundheitsdaten, die Sie womöglich auch noch über „Google Fit" abgeben, erstellt Google ihr Profil. Dieses Profil wird über die Suchergebnisse wieder zurückgekoppelt. Sie erhalten für ein und denselben Suchbegriff also ganz andere Suchergebnisse als ich und haben deshalb auch einen anderen Informationshorizont. Kontrollstrategien finden sich aber heute auch bei der Steuerung von Stahl- oder Aluminiumwerken. Oder bei der Verteilung von Strom.
Und zukünftig?
Zukünftig wird es zum Beispiel darum gehen, den Energieverbrauch eines Hauses intelligent zu steuern. Wir sprechen von Smart Homes. In so einem schlauen Zuhause misst ein intelligentes Heizungsthermostat die Luftfeuchtigkeit. Erhöhte Luftfeuchtigkeit bedeutet: Es ist jemand da, ich fahre die Heizung hoch. Gleichzeitig speichert das Thermostat ihr Heizverhalten ab. Drehen Sie die Heizung eher auf oder nicht? Aus solchen Daten wird Ihr Energieverbrauch profiliert, bis die Maschinen die Energiesteuerung des Hauses besser erledigen als der Mensch. Sie könnten ein Smart Home quasi komplett sich selbst überlassen. Jetzt denken Sie bestimmt: Toll! Aber der Preis dafür ist die totale Überwachung. Wo landen die Daten aus Ihrem Haushalt? Und wer wird sich dann noch alles ein Bild von Ihrem Energieverbrauch machen?
Wer denn zum Beispiel?
Etwa ein Vermieter, der das Wohnverhalten seines Mieters profiliert, um Beweise dafür zu sammeln, dass der Mieter zu wenig lüftet und heizt und deshalb Schimmel verursacht. Oder Energie-Konzerne, die Ihnen personalisierte Tarife anbieten. Viele halten das für praktisch, weil sie denken, dass sie so einen günstigeren Tarif bekommen. Aber so wird das nicht laufen! Haben sie sich mal Ihre Telefonkosten aus den vergangenen Jahren angeschaut? Sind die gesunken oder gestiegen? Das ist unser gedanklicher Fehler: Wir glauben, dass jemand unser Leben besser machen will. Aber wer uns solche Technologien anbietet, will nur eines optimieren: sein Bankkonto!
Die Smart Homes sind ja in erster Linie Frauenwelten.
Und wissen Sie, was in dem Zusammenhang interessant ist? Dass vor allem Männer verrückt auf diese Smart Homes sind. Die Männer wollen alles verkabeln, hochrüsten und auf das neueste technische Niveau bringen. Nicht die Frauen. Viele dieser Technologien und Geschäftsmodelle, die auf Überwachung basieren, kommen aus dem Silicon Valley. Dort sind wir mit einem neuen Typ Unternehmer konfrontiert: aggressiv agierende, zumeist weiße, junge Männer. Ich denke an den Uber-Chef Travis Kalanick oder Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Frauen sind eher rar in dem Bereich. Das Silicon Valley hat einfach ein „Arschlochproblem", wie der amerikanische Internetpionier Jaron Lanier richtig sagt. Und es hinkt in Sachen Gleichberechtigung Jahrzehnte hinterher.
Dennoch wird Ihr Buch erstaunlich oft von Frauen gekauft.
Ich glaube, dass Männer denken: Pah, das wissen wir doch alles schon! Frauen haben mehr Neugierde. Und vielleicht haben sie auch die Hoffnung, dass ihnen eine Frau das alles besser erklären kann als ein Mann mit Macho-Gehabe. Ich bekomme aber tatsächlich mehr Rückmeldung von Männern. Das ist eine Erfahrung, die ich auch in meiner Branche gemacht habe. In meinem Unternehmen bin ich seit zehn Jahren die einzige Frau unter Männern.
Wieso?
Das frage ich mich auch. 52 Prozent der Studierenden in der Mathematik sind Frauen. Nur: Wo bleiben die Frauen nach Ende ihres Studiums? Der deutlich größere Anteil der erfolgreichen Startups in Europa wird von Männern gegründet. Und die wenigen Startups von Frauen beschäftigen sich mit typisch weiblichen Themen. Aber Hochtechnologien bauen heißt nicht, Büstenhalter übers Internet zu verkaufen. Oder Schmuck mit Sensoren zu basteln.
Sie selber nutzen viele der technologischen Errungenschaften aus Prinzip nicht, ganz wie die Jungs im Silicon Valley. Sie haben noch nicht einmal ein Smartphone.
Ja, und ich fahre auch ein altes Auto. Das kriegt alles von mir! Hauptsache, es fährt noch sehr lange! Ich möchte nicht in einer dieser Datenschleudern auf Rädern sitzen. Glauben Sie mir, in 20, 30 Jahren wird es einen riesigen Markt für Oldtimer geben, genau aus dem Grund. Natürlich hat meine Abstinenz ihren Preis: Ich kommuniziere nicht mit Freunden über Facebook oder E-Mail. Wer etwas mit mir besprechen möchte, muss mich persönlich treffen. Wichtige Dokumente werden bei uns nur noch per Post verschickt. Wir sind komplett auf die analoge Welt zurückgefallen. Weil wir den Missbrauch in der digitalen Welt genau kennen. (...)