Er ist in Sicherheit, und er ist am Ende seiner Kraft. Er weint. Er hat einen Arm schützend um den Kopf seines neunjährigen Sohnes Taha gelegt, die Tochter Nour, 7, klammert sich an seinen Hals.
Dieses Foto ging um die Welt. Erstmals Mitte August in der "New York Times" veröffentlicht, wird es tausendfach in sozialen Netzwerken geteilt. Der Mann auf dem Foto heißt Laith Majid Al-Amirij, er ist 44 Jahre alt.
In der Bildunterschrift heißt es: "Laith Majid, ein syrischer Flüchtling aus Deir ez-Zor, bricht in Freudentränen aus, er hält seinen Sohn und seine Tochter, nachdem sie sicher auf Kos angekommen sind." Damals, vor bald vier Wochen, wäre die Familie Amirij bei der Überfahrt vom türkischen Bodrum auf die griechische Insel fast ertrunken.
Heute sitzen Laith Majid und seine Frau Neda, 43, auf einer Holzbank zwischen anderen Flüchtlingen auf dem Gelände der ehemaligen Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Berlin-Spandau. Sie erzählen von der Flucht, die sie eigentlich nur noch vergessen wollen.
Gleich zu Beginn wird klar: Laith Majid Al-Amirij, Sinnbild aller syrischen Flüchtlinge, ist gar kein Syrer.
"Wir kommen aus Bagdad", sagt Neda und berichtet: Sie, die Englischlehrerin, und ihr Mann, der Kfz-Mechaniker, fliehen mit ihren vier Kindern aus der irakischen Hauptstadt - sie sind Sunniten und hatten Morddrohungen bekommen. Sie verkaufen alles, was sie besitzen. Mit dem Flugzeug geht es zunächst nach Arbil im kurdischen Norden des Irak, dann per Bus quer durch die Türkei. Drei Tage brauchen sie für diese Etappe.
Der Schlepper warf das Gepäck weg
In Bodrum an der türkischen Mittelmeerküste zahlen sie einem Schlepper 1250 Dollar pro Person. "Er hat das Geld genommen, unser Gepäck aber weggeworfen", sagt Laith Majid. Heute trägt er eine Schalke-04-Trainingsjacke, die selbst jemandem mit seinem Körperbau zu groß ist. Die Jacke ist eine Spende der Berliner Bevölkerung.
In der Nacht zum 16. August steigt die Familie in ein Schlauchboot. "Ein kleines Gummiboot, wie es Kinder im Swimmingpool benutzen", sagt Neda. Das Foto der "New York Times" zeigt: Nedas Worte sind eine Überspitzung, aber kaum eine Übertreibung. Das Motorboot ist auf drei bis vier Personen ausgerichtet, es wäre schon für eine sechsköpfige Familie wie die Amirijs zu klein. Es sind aber insgesamt 13 Personen an Bord. Darunter eine Handvoll Syrer und ein Pakistaner. "Er musste nichts zahlen, weil er das Steuer übernahm", sagt Amirij.
Nachts kurz raus an die Luft
Zwei Stunden sind sie unterwegs, als das Boot beginnt, Luft zu verlieren. Es ist dunkel, die Kinder weinen. Wasser läuft ins Boot. Wenig später säuft der Motor ab. Mit letzter Kraft retten sich die Flüchtlinge. Als sie im Morgengrauen den Strand von Kos betreten, macht der deutsche Fotograf Daniel Etter das Foto, das in den nächsten Tagen die Welt rührt.
Etter gegenüber geben sie sich als Syrer aus. "Ich habe Neda, Laiths Frau, gefragt, wo sie herkommen. Sie sagte mir: aus Deir ez-Zor in Syrien", sagt Etter. "Tatsächlich kamen aber andere Menschen auf dem Boot von dort, und weil sie der Schmuggler gewarnt hatte, dass sie als Iraker zurück in die Türkei geschickt werden, hat sie ihre Familie auch als syrisch ausgegeben."
Erst hinterher, als die Familie in Berlin Asyl beantragt hatte, erfährt der Fotograf aus den Berichten deutscher Medien, dass sie aus dem Irak stammte. "Dafür kann ich ihnen keinen Vorwurf machen", sagt Etter. "Sie hatten während der Überfahrt Angst um ihr Leben. Ich hätte wohl das Gleiche gemacht."
Sieben Tage verbringt die Familie auf Kos, bekommt dort ihre Papiere. 30 Euro zahlen sie für die Überfahrt nach Athen. Der älteste Sohn Mustafa, 18, hat die Überfahrt mit der Handykamera gefilmt. Es ist das eine Stück ihrer Reise, auf dem die Amirijs glücklich wirken: wie eine Familie im Sommerurlaub. Um sie herum gebräunte Menschen, die Kinder lachen.
In Athen aber macht der nächste Schlepper Kasse: 1500 Euro pro Person zahlt die Familie für einen Platz auf der Ladefläche eines Kleinlasters. "Darin fuhren wir direkt nach Berlin", erzählt Neda. "Fast ohne Pause. Angehalten wurde nur selten, wenn die Kinder die Toilette benutzen mussten. Nachts durften wir kurz raus an die Luft." Wie lange die Fahrt gedauert hat, könne sie nicht sagen.
Warten auf die Registrierung
"Dann wurden wir einfach irgendwo rausgelassen. Wir haben gefragt, wo wir sind. Der Fahrer sagte: In Deutschland. Wir waren tatsächlich in Berlin." Dort seien sie zur nächsten Polizeiwache gegangen.
Die Familie will in Deutschland bleiben, sehr freundlich seien die Menschen. Nur das Warten auf die Registrierung fällt ihnen schwer. Sobald wie möglich wollen sie sich frei bewegen, wollen irgendwann eine Arbeit finden, die Kinder in die Schule schicken. Kurz: sich ein Leben aufbauen.
"Die Menschen hier in der Kaserne sind den Deutschen und Angela Merkel sehr dankbar", sagt Neda. Sie und die anderen Flüchtlinge auf dem Gelände wollten bald ein Fest für die Deutschen und für die Bundeskanzlerin feiern. "Sie hat uns ihr Wort gegeben. Ich hoffe, dass sie es hält."