Liest sich Folgendes wie ein Auszug aus einem Bestseller? "Um diese Frage richtig zu verstehen und zu begreifen, in welchem Zusammenhang sie mit dem Konvergenzprozess und der Dynamik der Ungleichheit steht, sollte das Wachstum der Produktion in zwei Teile aufgeteilt werden: das Wachstum der Bevölkerung einerseits und das Pro-Kopf-Wachstum der Produktion andererseits." Nicht?
Der Satz stammt aus Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert". Das 800 Seiten starke Werk ist voll von Fußnoten, Diagrammen und Ökonomenlyrik. Ein Ladenhüter, der nur aus dem Regal geholt wird, wenn VWL-Studenten gequält werden sollen? Kaum. Das Buch schaffte es auf den Spitzenplatz sowohl bei Amazon als auch auf der New-York-Times-Bestsellerliste für gebundene Sachbücher.
Piketty ist die jüngste Verkörperung eines Phänomens, das man schon seit einiger Zeit beobachten kann: der Ökonom als Popstar. Der Franzose unterstützt die linke Partei Podemos im spanischen Wahlkampf als Berater. Für die Parlamentswahl im Dezember soll er das Wirtschaftsprogramm mitausarbeiten.
Piketty ist nicht der einzige Wirtschaftsprofessor mit Kultstatus. Yanis Varoufakis brachte es sogar zum griechischen Finanzminister. Auch nach seinem Rücktritt Anfang Juli bleibt Varoufakis allgegenwärtig: Interviews, Leitartikel, Porträts und ein Buch, in dem er seiner Tochter die Wirtschaft erklärt. Vor allem für die europäische Linke ist der Grieche eine Ikone.
Politische Erfolge bleiben aus
Trotz seiner Beliebtheit blieb Varoufakis' Ausflug in die Politik erfolglos. In den Verhandlungen mit Griechenlands Gläubigern forderte er einen Schuldenerlass. Vergebens. Er weigerte sich, den Reformforderungen der Geldgeber nachzukommen. Die Gläubiger blieben hart, das griechische Parlament verabschiedete die Reformen. Es kam zum Bruch zwischen dem Finanzminister und Ministerpräsident Alexis Tsipras. Varoufakis trat zurück.
"Gebührenfrei eine längere Vorlesung zu bekommen, das war etwas, was wir alle vermisst hatten", kommentierte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in einer ARD-Dokumentation das Auftreten von Varoufakis bei den Finanzministertreffen der Eurozone. "Ich bin ein alter, etwas müder und manchmal mürrisch aussehender Mensch. Da kann ich nicht mit einem solchen Popstar konkurrieren." Schäubles Sarkasmus erinnerte bisweilen an den Bundestagswahlkampf 2005, als Gerhard Schröder den Staatsrechtler und Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhoff als "Professor aus Heidelberg" verspottete.
In den USA zeigt sich ein ähnliches Bild: Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman erreicht seit Jahren ein breites Publikum - von der Meinungsseite der New York Times aus und auf seinem Blog "The Conscience of a Liberal". Seine Forderungen nach mehr staatlichen Investitionen in Infrastruktur und Sozialprogramme bleiben aber vergebens. Die Republikaner im US-Kongress lehnen höhere Staatsausgaben kategorisch ab.
Krugmans Landsmann Jeffrey Sachs nimmt ebenfalls rege an den großen wirtschaftspolitischen Debatten teil - auf beiden Seiten des Atlantiks. In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung forderte er Mitte Juli Griechenlands Gläubiger zu einem Schuldenschnitt auf. Das Ergebnis war das gleiche wie bei Varoufakis.
Piketty schreckt das Beispiel seiner Kollegen nicht ab. Im spanischen Wahlkampf verfolgt der Franzose gesamteuropäische Ziele. "Wir brauchen einen Regierungswechsel in Spanien, um das gegenwärtige politische Gleichgewicht in Europa zu verändern", sagte Piketty der spanischen Tageszeitung "El Mundo". Dazu wolle er nicht nur Podemos beraten, sondern auch die sozialistische PSOE unterstützen.
Ob Piketty mehr Erfolg in der politischen Arena haben wird als seine Kollegen, muss sich noch zeigen. Die Umfragewerte von Podemos sind seit Anfang des Jahres eingebrochen. Die Partei erreicht mittlerweile nur noch 15 Prozent. Die Sozialisten von der PSOE kommen auf 24 Prozent. Zum Vergleich: Die regierende konservative PP liegt bei 28 Prozent, die andere Mitte-rechts-Partei "Ciudadanos" bei elf Prozent.
Piketty macht sich für ein Linksbündnis von Podemos und PSOE stark. Nur dann hätten die beiden Parteien eine Chance auf den Wahlsieg, sagt der Franzose. Bei der Wahl gehe es darum, ein Gegengewicht zu der aktuellen Europolitik zu schaffen, die von Deutschland geprägt werde. "Das ist für mich das Wichtigste."