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Schnäppchen Startup Lesara: "Wir haben eine Blackbox mit Algorithmen, die sagen, was sich verkaufen wird."

Ob das jetzt eine gute Idee war? Dem Typen mit dem Skype-Namen SugarCandy aus Shenzhen in Südchina einfach so Tausende Euro anzuweisen? Aber Roman Kirsch hatte keine Wahl, als einem Wildfremden am anderen Ende der Welt auf gut Glück sein Geld zu geben. Er brauchte die Ware für sein frisch gegründetes Onlineverkaufshaus Lesara von dem Mann. Und SugarCandy fertigt nur gegen Vorkasse. „Nicht so vertrauenswürdig, das alles", erinnert sich Kirsch jetzt, drei Jahre später, in seinem Berliner Firmensitz an den skurrilsten Deal der jungen Geschichte von Lesara. Doch Risiko hin oder her, SugarCandy lieferte, pünktlich sogar. So ging das ein paar Wochen und Monate, irgendwann wurden die Bestellsummen größer und größer, und Kirsch dachte sich: Lernen wir die Leute mit den Linkedin-untauglichen Namen doch mal richtig kennen. Er flog nach China, um sich nach neuen Produzenten für Lesara umzusehen. Womit Kirsch einen Schritt dahin machte, wovon man als Gründer gerne fabuliert, wenn man nachts nicht schlafen kann: ernste und tatsächliche (Achtung, Inflationswort) Disruption. Kirschs Mittel dazu besteht in extrem beschleunigtem Handel - von der Produktidee bis zum Kunden in wenigen Tagen. Seit drei Jahren arbeitet Kirsch an einer komplett neuen Art des Produzierenlassens, die den Onlinehandel von Grund auf aufriss und neu ordnet.

Erfolge stellten sich schnell ein: Im Mai 2016 wurde Lesara auf der Next Web in Amsterdam als das am -schnellsten -wachsende Startup Europas gekürt. Lesara hat 1,5 Millionen aktive Kunden, 200 Mitarbeiter, die meisten sitzen in Berlin, etwa 40 in Guangzhou und Shenzhen. Im laufenden Jahr konnte Lesara den Absatz seiner Produkte um 175 Prozent steigern. Wie? „Tech", sagt Kirsch. „Forbes" setzte ihn Anfang 2016 in der Kategorie „Retail & E-Commerce" auf seine „Europe 30 under 30"-Liste. Nicht nur, weil er die dazu unabdingbaren Zahlen vorweisen kann, sondern vermutlich auch, weil er Visionen in gut klingende Sätze verpackt: „In zehn Jahren", sagte der 28-Jährige einmal, „werden die erfolgreichsten Kleiderhersteller vor allem exzellente Techunternehmen sein, die zufälligerweise Kleidung verkaufen."

Lesaras Ansatz beruht auf zwei Ideen. Einerseits einem Algorithmus, der es seinem Team erlaubt, Trends im Frühstadium zu erkennen: Suchanfragen werden ausgewertet, Produkte identifiziert, Influencer gerankt. „Wir haben eine Blackbox mit Algorithmen, wo alle Daten reinkommen, und daraus ergibt sich eine Vorhersage, wie gut sich ein Produkt für unsere Zielgruppe verkaufen wird", sagt Kirsch. Wie die Sache mit dem Tankini, einer seltsamen Abart des klassischen Bikini, auf die Kirsch und Team im Frühstadium bei Testläufen gestoßen sind. „Wir fragten uns: Wieso suchen die Leute nach so einem Ding? Niemand hatte das im Sortiment, man konnte es nirgends kaufen, weder online noch offline." Sie fanden heraus, dass ein Reality-TV-Mensch davon im Fernsehen erzählt und es aus dem Ausland mitgebracht hatte, wo-raufhin die Suchanfragen explodiert waren. Kirsch fragte sich, warum Lesara die Teile nicht produzierte, erfand ein paar Varianten und hievte die Tankinis asap auf die Seite, bevor es ein anderer tat. Kirsch hat verstanden, dass man mit extrem impulskauftauglichen Produkten auf jeder Hypewelle ganz oben auf dem spitzen Kamm reiten kann, wenn man nur schnell genug ist.

ZAUBERWORT AGILE RETAIL

Dazu - Lesaras zweite große Idee - braucht man die richtigen Partner. Leute wie SugarCandy, die Produkte schnell herstellen können, quasi bis morgen, besser sofort. Agile Retail nennt man das bei Lesara. Außerdem: vertikale Integration. „Ziel war es, die gesamte Wertschöpfungskette abzudecken", sagt Kirsch. „Schon bei der Produktentwicklung arbeiten wir mit den Lieferanten. Wir sind keine bloße E-Commerce-Plattform. Die Herausforderung ist nicht, eine Website mit Bildern von Produkten zu haben, sondern genau zum richtigen Zeitpunkt genau die Produkte anzubieten, die der Kunde will." Das Problem: Leider muss man die meisten Hersteller erst einmal in diese Richtung schubsen. Vielerorts stieß er auf Kopfschütteln und Unverständnis. Von den Großen und Etablierten in der Textilbranche waren sie es gewohnt, großzügige Lieferzeiten bedienen zu dürfen, weil alle anderen Marken ihr Programm ein gutes Jahr im Voraus planen. Ein komplett neues Denken war nötig. Kirsch erinnert sich, dass er in langen Meetings in China seine Idee vom Agile Retail präsentierte und die einzige Frage am Ende stets lautete: „Also 100 Prozent Vorkasse und 90 Tage Lieferzeit?" „Eben nicht!", rief er, immer und immer wieder. Bis ein paar junge, hungrige Assistenten der Fabrikanten ihn beiseitenahmen: Wir verstehen deine Idee. Wenn du uns Aufträge gibst, machen wir selber Fabriken auf. „Die haben es wirklich begriffen, sind mit Risiko reingegangen", sagt Kirsch. Die Neu-Fabrikanten standen voll hinter der Idee, Bestellungen und Produkte in Echtzeit zu verknüpfen. Weiterer Vorteil für Lesara: kein Overstock. Fast keine Abschreibungen. „90 Prozent der Produkte verkaufen wir. Bei anderen Händlern sind es 30 oder 40 Prozent", sagt Kirsch.

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