Vom Gipfel des Bukhansan, Seouls höchstem Berg, sieht die Stadt eigentlich ganz friedlich aus. Der Dunst verschluckt alles Grelle und die Entfernung lutscht die Ecken der Hochhäuser rund, rauschen tut hier nur der Wind.
Steht man mittendrin, eingequetscht zwischen 25 Millionen Menschen, ist Seoul anders: da sind glitzernde Rauchglasfassaden, windschiefe Wellblechhütten, parfümierte Shoppingmalls, nach Trockenfisch stinkende Markthallen, plastikbestuhlte Soju-Kneipen und lederbecouchte Karaokekeller. Da liegt das schnellste Internet der Welt in der Luft und Brücken, von denen so viele Menschen in den Tod springen, wie in keinem anderen entwickelten Land der Welt. Südkoreas Hauptstadt ist ein Moloch, und es ist kaum zu glauben, wie leicht man ihm entkommt: nach oben.
Denn in Seoul kratzen nicht nur die Häuser am Himmel, sondern auch ein Dutzend Berge. Der Bukhansan ist der höchste von ihnen, 836 Meter, sein Gipfel aus sandfarbenem Granit ragt weithin sichtbar aus dem Grün ringsum. Auf halber Höhe trotzt eine Burg der Zeit, die vor fast 2.000 Jahren zur Verteidigung Seouls angelegt wurde, über den Bergrücken schlängelt sich ein Teil der Stadtmauer. Und im buddhistischen Tempel am Fuß des Massivs steht ein Schrein, der dem lokalen Berggeist, dem Sanshin, gewidmet ist.
Wer den Bukhansan bezwingt, entsteigt dem Heute und klettert in ein längst vergangenes Korea.
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