Koblenz/Edinburgh. Man erreicht Udo Seiwert-Fauti zwischen den einzelnen Sendungen. Er ist auf dem Sprung: Es geht heute nach Edinburgh, in die schottische Hauptstadt. Dort wird der gebürtige Schängel vom britischen EU-Referendum berichten. Wie es ihn nach Schottland verschlagen hat, erzählt er der RZ im Interview.
Herr Seiwert-Fauti, von Koblenz nach Edinburgh- woher kommt Ihre Liebe zur Insel?
Ich bin eigentlich überzeugter Koblenz-Goldgrubler, und ich fühle mich auch immer wohl, wenn ich dorthin zurückkehre. Nachdem meine schulischen Leistungen auf dem Eichendorff-Gymnasium nicht unbedingt die besten waren - dort stand ich ausgerechnet in Englisch bei einer 5 - wurde an den Berufsbildenden Schulen daraus eine 2 und eine 1. Während der Zeit war ich häufig in Kent, zum Schüleraustausch. Die Schüler habe ich auch oft besucht und kam dadurch nach London - damit war in den 60er- und 70er-Jahren das Fieber weckt. Plötzlich stand ich als großer Rock- und Popmusikfan meinen Bands gegenüber: die Kinks live, Donovan live. Und ich dachte: Wow, das ist das Land, wo du hinwillst.
Wie kamen Sie denn beruflich nach Schottland?
Nach der Schule musste ich ja zur Bundeswehr und landete beim Sender der Bundeswehr in Andernach. Das war der Startschuss meiner Karriere. Ich merkte zum ersten Mal: Radio, das ist es! Ohne den Sender in Andernach hätte ich diese Radiokarriere nie hinbekommen. Alles das, was Radio ausmacht, habe ich dort von der Pike auf gelernt - zwei Jahre lang. Während der Zeit hatte ich einen Vorgesetzten, der Moderator beim damaligen Südwestfunk in Baden-Baden war. Durch ihn kam ich zum SWF. Nach zehn Jahren beim Süddeutschen Rundfunk und zwölf Jahren beim Hessischen Rundfunk hatte ich irgendwann die Nase voll und wusste: Du musst jetzt einfach nach Großbritannien. Die Liebe ist immer geblieben. Ich war bestimmt vier- bis fünfmal im Jahr in Großbritannien, vor allem in London und Edinburgh. Der Hessische Rundfunk konnte mich nicht schicken, und so habe ich gesagt: Hier ist meine sofortige fristlose Kündigung. Denn jetzt mache ich das alles ganz allein.
War das eine spontane Entscheidung, oder hatten Sie sich das vorher überlegt?
Ich wollte dahin und habe mir überlegt: Hier werde ich zunehmend unglücklich. Das war Anfang Mai 1998, im August bin ich mit vollgepacktem Auto auf die Fähre nach Edinburgh, dann ging es los.
Und Sie sind dort geblieben.
Bis 2008 habe ich in Edinburgh gewohnt und gearbeitet.
Sie kennen ja beide Städte sehr gut: Koblenz und Edinburgh. Gab es Sachen, die Sie vermisst haben, als Sie in Schottland wohnten?
Kaiser Wilhelm und der Zusammenfluss von Rhein und Mosel sind schon ein Ding! Und während meiner ganzen Jahre - egal, wo ich war - gab es einen Tag, den ich nie verpasst habe: den Rosenmontag. Ich bin selbst von Edinburgh freitags immer nach Deutschland geflogen und dienstags wieder zurück. Ich stehe jeden Rosenmontag an der Roonstraße, Ecke Löhrstraße, mit Blick auf den Eingang der Goldgrube. Das gehört für mich dazu.
Sie werden am 23. Juni von Edinburgh aus über den Ausgang des EU-Referendums berichten. Wie ist im Vorfeld die Stimmung in Großbritannien - gerade nach dem Mord an der Politikerin Jo Cox?
Ich glaube, so schlimm das auch klingt, der Mord an der Labour- Abgeordneten hat dazu beigetragen, dass sich viele zum ersten Mal ohne Emotionen überlegen, über was sie da abstimmen. Diese Abstimmung ist keine übliche Wahl, bei der sie in fünf Jahren wieder die Regierung wechseln können oder die Partei. Diese Abstimmung ist etwas, das Auswirkungen über Jahrzehnte hinaus hat. Meine Wette läuft, dass am Donnerstag einigen erst so richtig bewusst wird, was sie wählen. Sie werden am Donnerstag zwischen 9 Uhr morgens und 22 Uhr abends in die Wahlkabine treten und dann sehen, dass da nur steht: "Will you remain or leave? Yes or no?" Da stehen nicht die Namen der Parteien, wie SNP, Labour Party oder Konservative, sondern nur die konkrete Frage: "Yes or no?" Und da entscheidet es sich.
Was ist Ihre Prognose?
Die Schotten sind überwiegend pro Europa, die Zustimmung kann bei bis zu 60 Prozent liegen. Nordirland und Wales liegen im Moment bei bis zu 61 beziehungsweise 51 Prozent. Es gibt ein Rechenmodell, das besagt, dass die drei keltischen Nationen für Europa wählen werden. Wenn die Engländer nicht zu sehr für den Ausstieg sind, könnten diese drei Nationen die Engländer zwingen, drin zu bleiben. Wenn die englischen Brexit-Befürworter aber zulegen, könnten sie die drei keltischen Nationen überstimmen. In beiden Fällen wird es nach meinem Empfinden eine konstitutionelle Krise im Vereinigten Königreich geben. Wenn die Schotten gezwungen werden, aus der EU auszutreten, garantiere ich Ihnen, dass es ein zweites Unabhängigkeitsreferendum geben wird.
Wo werden Sie das Abstimmungsergebnis verfolgen?
Ich werde bei der Auszählung der Edinburgher Abstimmung mit 50, 60 Journalisten in Edinburgh vor Ort sein. Wir werden uns die Nacht um die Ohren schlagen und werden miterleben, wie Schottland abgestimmt hat. Das sind für mich Highlights. Nächte, in denen man nicht schläft und man am nächsten Morgen erlebt, wie die Stadt gerade aufwacht. Dieses Feeling ist unglaublich. Ich bin mittendrin.
Das Gespräch führte Agatha Mazur
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