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Special

Willy Maywald. Fotograf und Kosmopolit. Ein Fotograf erinnert sich

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Jugendfoto von Willy Maywald. Bis zu seinem Tod hat Willy Maywald in Paris, in der Rue de la Grande Chaumière ein Atelier bewohnt. Dort hat er in den frühen 1980er Jahren Auskunft über sein Leben und seine Kunst gegeben. Damals sind ausführliche Tonband-Interviews entstanden. Sie wurden zur Grundlage für mehrere Radio-Features, die in den 1980er und 1990er Jahren zunächst im RIAS und später im Deutschlandradio Kultur (damals noch Deutschlandradio Berlin) gesendet wurden. So am 29. September 1994, als in der Reihe „Lebendige Geschichte“ der Beitrag „Willy Maywald. Das Auge Diors“ zu hören war.

Hintergrund: Es war Anfang der 1980er Jahre, als ich Kontakt zu Willy Maywald bekam. Freunde kannten Willy aus Südfrankreich, wo er ein Ferienhaus in der Parfümstadt Grass hatte. Es wollte der Zufall, dass ein befreundeter Galerist in Berlin eine Ausstellung mit Fotos von Willy Maywald organisierte. Die „Galerie Werner Kunze“ gehörte damals für ein paar Jahre zu den besten und innovativsten Galerien von West-Berlin. Damals habe ich Willy Maywald auf der Vernissage kennengelernt. Ein lebhafter älterer Herr mit Seidenstrümpfen und fröhlichem Naturell. Willy erwies sich als passionierter Geschichtenerzähler mit einem Schatz von Anekdoten, die alle auf ein Pointe aus waren.

Er war damals dabei, seine Memoiren zu schreiben. Es war etwas problematisch, weil Willy gleichzeitig an einer französischen und an einer deutschen Fassung schrieb. Willy Maywald hatte sich ein wenig verheddert und wusste mit seinem Manuskript nicht so recht weiter. Ich habe ihm damals meine Hilfe angeboten, die er dankbar annahm.

In Paris diktierte er Sophie Ruiz-Pipo, einer deutschen Fotografin, die einen spanischen Maler geheiratet hatte und bis heute in Paris lebt, seine Memoiren auf Deutsch. Später habe ich in Paris und in Grass diese deutsche Fassung durchgesehen und für das Manuskript einen Verleger gesucht. Das Buch ist dann 1985 unter dem Titel „Die Splitter des Spiegels“ im Verlag Schirmer Mosel erschienen. Eine französische Ausgabe fehlt bis heute.

In seinen Memoiren beschreibt Willy Maywald sein Leben, seine Kindheit in Kleve, die Zeit in Berlin. Er schreibt über Paris, die Stadt, in der er bis zu seinem Tod 1985 lebte. Die Kriegsjahre waren eine Zäsur, Willy Maywald wurde interniert, später gelang ihm die Flucht in die Schweiz, wo er bei einer Pfarrersfamilie unterkam. Dann die erfolgreichen Jahre als Modefotograf in Paris, vor allem die Arbeit bei Christian Dior. Das und vieles mehr ist in seinem Buch „Die Splitter des Spiegels“ nachzulesen.
Einige dieser Stationen werden auch in dem hier zu hörenden Beitrag erzählt. Es sind fast immer Geschichten, die mit seiner Arbeit als Fotograf in Beziehung stehen.

Sendemanuskript:

Willy Maywald. Das Auge Diors

Ein Modell mit extrem dünner Taille lehnt auf der Champs-Élysées an dem gerundeten Kühler einer Luxuslimousine. Traumkleider vor Traumkulissen. Fotograf Willy Maywald wusste den Glanz der 50er Jahre in Szene zu setzen. Er fotografiert die Modelle von Jacques Fath und Christian Dior vor der Schlosskulisse in Versailles, auf pompösen Treppen und in herrschaftlichen Salons.
Im Oktober 1928 ging Maywald nach Berlin. Dort besuchte er die "Kunstschule des Westens" und arbeitete beim Film. Drei Jahre später, im Oktober 1931, sieht er zum ersten Mal Paris. "Der Abend war warm, ein leichter Dunst lag in der Luft, und alles schien geheimnisvoll." Maywald verliebt sich in die Stadt.

"Also, Berlin war natürlich etwas ganz anderes gewesen als Paris, Berlin war viel, viel fortschrittlicher. Paris war noch altmodisch. Vielleicht das Altmodische hat mich angezogen, weil es mich an meine Kindheit und an unser Hotel erinnerte."

Am 15. August 1907 wurde Willy Maywald in Kleve am Niederrhein geboren. Seine Eltern führten ein luxuriöses Hotel, das sich seit Generationen in Familienbesitz befand. Die Hotelhalle, das Entree, die Auffahrt werden für Maywald zur Bühne seiner kindlichen Phantasie.

"Mein Vater hatte immer sehr viel Sinn für Humor und neckte uns gerne. Und eines Tages sagte er zu meiner Schwerster, die vier Jahre älter ist als ich: 'Heute Nachmittag kommen Prinzessinnen angefahren', und schon lange natürlich standen wir an der Hoteltüre, um zu sehen, da kam schließlich der Hotelautobus, aus dem stiegen zwei hagere, ältere Jungfern aus, denn wir hatten geglaubt, eine goldene Karosse käme angefahren und Damen mit Kronen auf dem Kopf und schleppenden Kleidern wären gekommen."

Erst spät, Anfang der 70er Jahre, wird Maywald mit seinen Fotografien weltberühmt. Plötzlich reißen sich Museen und Galerien von Tokio bis New York um die Schwarzweißaufnahmen aus den 50er Jahren. Seitdem sind Maywalds Künstler- und Modefotos aus Posterläden und Postkartenständern nicht mehr wegzudenken.

In Paris beschließt Maywald, Fotograf zu werden. Er bekommt eine Anstellung bei Harry Meerson, der ein Studio in Auteuil hatte. Das Atelier machte Standfotos für den Film und fotografierte Modelle für die führenden Modeblätter, für "Haper's Bazaar" und "Vogue", sowie Künstlerportraits für die amerikanische Zeitschrift "Vanity Fair".

"Paris war Anfang der 30er Jahre viel kleiner als Berlin, vor allem, es war viel kleiner gebaut, dass alles viel mehr zusammen war. Und wenn man Bekanntschaften machen wollte, dann gab es nur einen einzigen Ort und das war das Café du Dóme am Montparnasse. Den ersten Tag ging man durch und sah sich die Leute an, am zweiten Tag hatte man schon welche erkannt und am dritten Tag ging man schon von Tisch zu Tisch. Und ich lernte damals sehr viel Maler und Künstler kennen, die jetzt Weltruhm haben. Dort saß Vieira da Silva und ihr Mann Szenès, mit dem wir gleich bekannt wurden, da saß Hartung mit seiner Frau, da saß Picasso in der anderen Ecke, und da fing ich auch schon an, sie in ihren Ateliers zu fotografieren, was mir dann die Grundlage gab zu der großen Kollektion der Künstler-Fotos, die ich jetzt besitze."

1933 verließ Maywald das Atelier Meerson, um sein eigenes Studio zu eröffnen, seine Eltern finanzierten das Inventar. Betty Stern, die in Berlin einen Salon geführt hatte, wo Joseph von Sternberg die Dietrich kennenlernte, lebte nun in Paris und vergab an Maywald Aufträge, während der jüdische Emigrant Löwenherz sein Agent wurde.

"1935 fuhr ich mit meiner Schwester zum ersten Mal an die Côte d'Azur und fotografierte den Renoir-Garten und die südlichen Gärten. Erst war Herr Löwenherz ganz entsetzt über die Fotos, die ich gemacht hatte, weil er sagte, wer will denn Fotos von Gärten haben? Aber schon kurz darauf gab es kaum eine Zeitschrift, die diese Fotos nicht kaufte, da bis heute niemand in dieser Art Gärten fotografiert hatte. Selbst die amerikanische Vogue, alle brachten diese Fotos, die bis auf den heutigen Tag für mich ein großer Erfolg sind."

In Deutschland waren damals schon seit zwei Jahren die Nationalsozialisten an der Macht.

"Wie ich 1931 nach Paris kam, hatte ich von Hitler und dem Nationalsozialismus fast überhaupt gar keine Ahnung. Man sprach mal davon, aber das hat niemand ernst genommen, und darum habe ich auch gar nicht zugehört. Und wie dann natürlich der Krieg kam, wurde ich natürlich, weil ich ja einen deutschen Pass immer noch hatte, wurde das für mich natürlich schlimm, denn alle Deutschen kamen damals in Lager, als Zivilinternierte. Und bis zum Waffenstillstand, den Pétain dann gemacht hat, war man einigermaßen, verhältnismäßig gut aufgehoben. Obwohl man in Scheunen im Stroh lag, das nahm man immerhin hin, man dachte, das ist immer noch besser als an der Front. Aber wie Pétain die Regierung übernahm, wurden die Lager, in denen ich war, nachher Deportationslager, wo hunderttausende dann nach Auschwitz und in die deutschen Konzentrationslager deportiert wurden."

Maywald landete schließlich in Südfrankreich, nachdem die deutschen Truppen in Holland eingerückt waren.

"Wieder in Viehwagen fuhren wir nach Südfrankreich, kamen wir in Marseille an, und von Marseille kam man dann in einen kleinen Ort, Les Milles, wo eine alte Ziegelei war, und in dieser Ziegelei waren Feuchtwanger, Werfel, Hasenclever, Max Ernst und weiß ich, wer noch alles auch eingesperrt. Und als die Deutschen nun immer schneller vorrückten, hatten einige sich dann zusammengefunden und gingen zu dem Lagerkommandanten und erklärte ihm unsere Lage. Dass wir absolut nicht - vor allem aber die Anderen, die politisch verfolgt waren - nicht in die deutschen Hände fallen durften. Und der Lagerkommandant, der schließlich Verständnis hatte, hatte einen Zug beordert, der uns nach Bayonne an den Atlantik fahren sollte, um uns dann auf Schiffen nach Nordafrika zu bringen."

Ende September 1942 flüchtete Maywald von Südfrankreich in die Schweiz, dort lebte er bis Kriegsende zunächst in einem Lager in Lausanne, einem früheren Mädchenpensionat, später bei einer Pfarrersfamilie in Winterthur.

"Erst hatte ich große Bedenken, wieder nach Paris zurückzugehen, denn ich dachte zuerst, mein Gott, wie werde ich da als Deutscher wieder aufgenommen werden, und wie werde ich da überhaupt mein Leben machen können. Es war aber vollkommen anders, denn am ersten Tag hatten mich Leute gesehen, die mich kannten und schickten mich gleich zu der Zeitschrift ‘Femina‘, für die ich vor dem Krieg gearbeitet hatte und wurde dort empfangen und bekam sofort Arbeit. Und fing dann gleich an, Modefotos zu machen. Ich habe mir dann eine kleine Wohnung gemietet, in der ich dann wohnen konnte."

In Paris traf Maywald Bekannte aus der Vorkriegszeit. Ein Freund nahm ihn mit in das Modehaus Lelong, wo die Herbst- und Winterkollektion gezeigt wurde.

"Ich zog mich dann etwas besser an, und ging dann in das Modehaus und sah eine sehr elegante Gesellschaft da schon sitzen. Und nach der nüchternen Schweiz flogen dann bei mir die seidenen Kleider vorbei, und ich war vollkommen bezaubert von dem, was ich sah, und der Serge Guérin setzte sich neben mich und sagte: 'Weißt Du, wir haben hier bei Lelong, da ist auch ein Modellist, der heißt Christian Dior und der wird im Januar sein eigenes Haus aufmachen, und das soll eine Sensation werden. Du musst absolut versuchen, ihn kennenzulernen, denn wenn Du den kennst, und für den fotografieren kannst, dann bist du überhaupt in Paris sofort gemacht'.“

Nachdem die Kollektion zu Ende war, schrie die Menge: 'Christian Dior, Christian Dior!' und im Hintergrund öffnete sich eine Tür, und da kam ein junger Mann heraus, und da sagte mir der Serge: 'Das ist er, das ist er', und ich konnte nur sagen: 'Ja, ja, ja doch,' dann dachte ich: 'Mein Gott, da werde ich nie etwas erreichen', denn 1936, wie die Volksfront war, hatte ich diesen jungen Mann auf dem Montparnasse kennengelernt. Er hatte mich nach Hause begleitet, und ich hatte ihm gesagt: 'Wenn es Sie interessiert, meine Fotos mal anzusehen, dann kommen Sie mal nachmittags'.

„Da für uns die Volksfront eine sehr große Bedeutung hatte, wurde bei uns davon geredet, und da saß dann auch die Tatjana Barbakoff und Valeska Gert, die saßen bei mir und tranken Tee, und man redete über die Volksfront, und auf einmal schellte es an der Tür, und der junge Mann kam herein.

Ich klebte in einer Ecke Fotos auf Kartons auf und hörte nur von weitem der Unterhaltung zu, bis plötzlich der junge Mann sagte: 'Ich glaube, für Frankreich wäre jetzt die beste Lösung, wieder einen König zu bekommen'. Wie der das sagte, da fingen wir natürlich alle nur an zu lachen, und ich sagte: 'Wissen Sie, was soll man heutzutage überhaupt mit Königen anfangen'. Darauf habe ich mich um den überhaupt nicht mehr gekümmert, und der ist dann auch aufgestanden und ist gegangen.

Einen Monat später ging ich mit einer Bekannten in eine Ballettpremiere, im Theater Champs-Élysées, und sah plötzlich in der Pause im Foyer Christian Dior, der immer umgeben war von einem Hofstaat von alten Frauen, die mit ihm arbeiteten, auf der oberen Etage. Plötzlich sah ich, dass er herunterguckte, mich erkannte, die Treppe herunterrannte, auf mich zu, mich in seine Arme nahm und sagte: 'Mein Gott, wie glücklich bin ich, dass sie noch leben, wie glücklich bin ich, dass sie noch da sind, sie werden natürlich mein Fotograf werden'."

Es war ein glücklicher Neubeginn. Für seine Modefotos wurde Maywald weltberühmt. Im Frühjahr 1947 fuhr er erneut an die Côte d'Azur. Er hatte den Auftrag, Picasso zu fotografieren. Aber am Abend vor der Verabredung fiel die Rolleiflex von einem Mäuerchen und war nicht mehr zu gebrauchen. Eilig wurde ein Ersatz beschafft.

"Als ich diesen Apparat sah, stellte ich fest, dass es zwar ein Reflexapparat war, aber für Kinder. Picasso saß schon am Stand, als ich kam, mit dem Maler Balthus und der schönen Françoise Gilot, mit der er damals zusammenlebte. Er war sofort bereit, für mich zu posieren, und da es sehr grell am Stand war, und ich die Fotos lieber etwas weich haben möchte für Porträts, setzte ich ihn unter große Sonnenschirme. Und dachte immer dabei: 'Schade eigentlich, dass diese Fotos nun nichts werden, es sah eigentlich alles so sehr schön aus', kam nach Paris zurück, entwickelte die Fotos etwas kürzer, indem ich dachte: 'Sie sind wahrscheinlich etwas überbelichtet und dann werden sie nicht so hart'. Und als ich die Fotos dann vergrößerte sagte mir jeder: 'Mein Gott, wie hast du das nur fertig gebracht, diese wunderbaren Fotos zu machen'."

In jener Zeit fotografiert Maywald die gesamte Künstlerelite Frankreichs. Fotografien von Le Corbusier, Henri Matisse und anderen füllen einen Band mit meisterhaften Fotografien. Maywald erweist sich als sensibler Beobachter, mit Sinn für Details und klare, strenge Linien. Fernand Léger steht zwischen seinen überdimensionalen Bildern, als sei er von der Leinwand gesprungen; bei Maurice Utrillo sind Verzweiflung und Trauer fast körperlich spürbar, während Marc Chagall mit hellen, offenen Augen in die Kamera blickt.

"Durch den Tod von Fath und Dior war die Mode eine andere geworden, es waren nicht mehr diese Persönlichkeiten zugegen, und durch de Gaulle und den algerischen Krieg wurde Paris unruhig. Die Ausländer verließen fluchtartig Paris, und das Leben wurde ein völlig anderes."

Das Paris der sechziger und siebziger Jahre hatte an Glanz verloren. Maywald hielt sich mit Aufträgen für Dekorationszeitschriften, wie "Schöner Wohnen" oder "Film und Frau" über Wasser. Statt Picasso fotografierte Maywald nun Einbauküchen und Schrankwände, statt Haute Couture Gemüsebeete und Einmachgläser, bis sich Maywald entschloss, nach New York zu fliegen.

"Schließlich, im Frühjahr 1981, entschloss ich mich doch, eine sehr gute Bekannte aufzusuchen, die mich dringend eingeladen hatte. Ich wollte es schließlich einmal doch für 14 Tage gesehen haben und glaubte, das wäre dann für mich genügend. Schon bei der Ankunft war alles anders. Ich wurde von einem wunderbaren Wagen abgeholt in die Wohnung meiner Bekannten gebracht, die auf der Park Avenue wohnte und eine Aussicht über die ganzen Wolkenkratzer hatte. Schon am anderen Morgen riefen andere Bekannte an, die mich mit Amerikanern aufsuchen wollten und mich fragten, ob ich Fotos mitgebracht hätte. Ich hatte natürlich eine kleine Kollektion bei mir, und als sie sie sahen, stießen sie direkt Schreie aus und sagten: 'Die wollen wir haben'. Nach wenigen Minuten hatte ich schon 1000 Dollar auf dem Tisch liegen. Ich konnte mich überhaupt nicht beruhigen, denn ich war ja noch nicht einmal auf der Straße gewesen. Als ich mir dann New York ansah, kam ich von einem Erstaunen ins andere. Ich fand plötzlich mich gar nicht in einer anderen Welt, sondern in Berlin der 20er Jahre wieder. Die ganze Park Avenue, die ganzen Galerien zeigen die deutschen Expressionisten, sie zeigen die französischen Maler und alles nur in allerbester Qualität. Selbst das Leben in New York ist genauso wie in den 20er Jahren in Berlin war. Man wird eingeladen, es gibt Partys und man ist vor allem außerordentlich pünktlich."

1985 starb Willy Maywald in einem Pariser Krankenhaus. Seine Autobiographie "Die Splitter des Spiegels", bei Schirmer Mosel im selben Jahr erschienen, hielt er kurz zuvor noch in den Händen.