Die Menschheits-Kathedrale
Lothar Schreyer und das christliche Bauhaus
Dieser Beitrag wurden am 16.06. 2019 im Deutschlandfunk Kultur gesendet. Wenn Sie rechts oben auf "Original anzeigen" klicken, können Sie den Beitrag hören.
Zum 100jährigen Bauhaus-Jubiläum wird umfassend über viele Facetten der berühmten Schule berichtet. Aber es gibt auch blinde Flecken. Über christliche Religion wird kaum gesprochen, obwohl es Persönlichkeiten wie Lothar Schreyer in Weimar gab, die prägend für das frühe Bauhaus waren.
In Weimar war der Meister der Bühnenwerkstatt noch ein Suchender, 1933 konvertierte er zum Katholizismus und wurde Mitglied der NSDAP. Adolf Stock zeichnet den ungewöhnlichen Lebensweg nach und gibt Einblick in eine kaum beachtete Facette der christlich geprägten Bauhaus-Geschichte.
Die Sendung:
Sprecher 1:
Als Lothar Schreyer 1921 an das Weimarer Bauhaus kam, konnte der noch junge Schriftsteller, Maler und Dramaturg schon auf eine beachtliche Karriere zurückblicken.1886 in Blasewitz bei Dresden geboren, promovierte er 1910 in Leipzig als Jurist. Später ging er als Dramaturg und Stückeschreiber nach Hamburg und Berlin. Claudia Bestgen, Direktorin des Weimarer Bauhaus-Museums, über Schreyers weiteren Werdegang.
Take 1: (Claudia Bestgen)
„Er kam an die Sturm-Bühne von Herwarth Walden. Die Sturm-Galerie in Berlin, die Galerie, die die wichtigsten Avantgarde-Künstler der Zeit ausgestellt hat, und einige der Bauhaus-Meister waren im Sturm ja auch vertreten, Feininger beispielsweise. Und kam so dann über Itten nach Weimar, hat zunächst einen anderen Lehrauftrag, also ist nicht sofort als Leiter der Bühne berufen worden, sondern hat erst Schriftgestaltung gelehrt.“
Sprecher 2:
Zuvor war Lothar Schreyer wegen seiner expressionistisch gefärbten Theaterstücke gefeiert worden. Sie glichen musikalischen Partituren, was gut zu der psychologisch motivierten Harmonisierungslehre der Bauhaus-Meisterin Gertrud Grunow passte.
Take 2: (Claudia Bestgen)
„Schreyer implementiert eine Bühnenauffassung, die sehr getragen ist, sehr pathetisch auch. Es geht um die ganz zentralen Fragen, es geht um Kreuzigung, um Geburt, um Tod. Und diese Dinge werden in einem sehr expressiven Sprachgestus auf die Bühne gebracht. Er nannte das das sogenannte Klangsprechen, also das Sprechen von Versen in einem bestimmten Sprachrhythmus.“
Sprecher 3:
Schreyer verstand das berühmte Bauhaus-Manifest von Walter Gropius wörtlich. 1919 hatte dieser geschrieben.
Zitator 1:
„Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau. (...) Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft (…), der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.“
Sprecher 4:
Die erstrebte „Menschheits-Kathedrale“, die Gropius wollte, war für Schreyer keine expressionistisch gefärbte Metapher, sondern der konkrete Anspruch, Kunst und Religion zu vereinen. Im frühen Bauhaus wirbelten die Heilslehren wild durcheinander, wie er 1956 in seinem Buch „Erinnerungen an Sturm und Bauhaus“ schrieb.
Zitator 2:
„Der Wanderapostel Häuser mit seinem Vagabundenleben, die Mazdaznan-Lehre, die Johannes Itten mitbrachte. Anthroposophie, Theosophie, Katholizismus, Spiritismus, alles getragen von der Hoffnung auf eine neue Welt.“
Sprecher 5:
Am Bauhaus fand Schreyer Gleichgesinnte, darunter Lyonel Feininger, Tut Schlemmer und einige Schüler. Sie alle wollten einem christlich gefärbten Expressionismus zum Erfolg verhelfen. 1925 probte Schreyer sein Stück „Mondspiel“, das er selbst geschrieben und komponiert hatte. Claudia Bestgen.
Take 3: (Claudia Bestgen)
„Es gibt von diesem Mondspiel heute noch eine Fotografie im Literaturmuseum in Marbach, wo man eine große Figurine sieht, eine Maria. Im Grunde eine Madonna in der Mandola, also eine mandelartige Figur, und zu ihren Füßen ein zweiter Spieler, und der hat diese Sprache dann auch zu deklamieren.
Und das wurde geprobt im Bauhaus und es traf überhaupt nicht auf das Wohlgefallen der Bauhaus-Studierenden. Eine erste Voraufführung geriet völlig zum Fiasko, und das führte dann auch dazu, dass Schreyer das Bauhaus verließ.“
Sprecher 6:
Das geschah sicher mit Billigung von Walter Gropius, der von esoterischer Philosophie und gesteigerter Religiosität am Bauhaus genug hatte. Er wollte nun Kunst und Technologie vereinen. Oskar Schlemmer kommentierte damals die Kehrtwende bissig.
Zitator 3:
„Abkehr von der Utopie. (…) Statt Kathedralen die Wohnmaschine“.
Sprecher 7:
Lothar Schreyers Versuch, die Kunst und den christlichen Glauben in einer neuen Menschengemeinschaft zu versöhnen, war am Bauhaus gescheitert. Doch Schreyer blieb seinen Überzeugungen treu. Er wollte weiterhin das „innere Menschenbild“ formen.
1933 konvertierte er zum Katholizismus und wurde Mitglied der NSDAP. Die Benediktiner-Abtei Maria Laach wurde zu seiner spirituellen Heimat. Dort traf er auf alte Bauhaus-Kollegen, auf Theodor Bogler, der Mönch geworden war, und auf Georg Muche. Auch das kommentierte Schreyer in seinen Erinnerungen.
Zitator 4:
„Rückblickend auf die vielen Bauhaus-Versuche in Weimar, eine Bindung der Kunst an das Metaphysische zu gewinnen, war aber nun Maria Laach eine zwangsläufige Entwicklung – wenigstens für mich wie für den Bauhäusler Theodor Bogler –, die kommen musste, nachdem wir die entscheidenden Fragen an uns wirklich ernst gestellt hatten.“
Sprecher 8:
Bauhaus und Christentum – ein blinder Fleck in der Bauhaus-Rezeption. Dabei würde es auch Claudia Bestgen gern etwas genauer wissen.
Take 4: (Claudia Bestgen)
„Ich denke, das ist ein Thema, da sind wir noch ganz am Anfang. Es wurde die Esoterik gut untersucht, es wurde am Randbereich dann auch mal bei Bauhaus und Religion geschaut, aber das ist noch kein Thema, wo jetzt die Forschung schon mal grundlegend drangegangen wäre.“
Sprecher 9:
Für Lothar Schreyer war die Sache ziemlich klar. Je älter er wurde, umso mehr wurde deutlich: Die neue Menschengemeinschaft war im Grunde die alte. Es war die katholische Kirche.
Ich danke der Thüringer Tourismus GmbH für die Unterstützung bei der Recherche
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