Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 35/2022.
ZEIT Campus: Frau Forell, der Song "Layla" ist der Sommerhit des Jahres und seit vielen Wochen an der Spitze der Charts. Auf Spotify wurde er mehr als 70 Millionen Mal gestreamt. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Marina Forell
27, Musikwissenschaftlerin an der Uni Leipzig. Sie hat das Buch "Das verdächtig Populäre in der Musik. Warum wir mögen, wofür wir uns schämen" geschrieben.
Marina Forell: Das klingt vielleicht böse, aber ich glaube, viele, die Layla hören, denken: Wir müssen im Alltag so sehr darauf achten, dass wir uns politisch korrekt äußern, wir wollen jetzt in der Freizeit mal so richtig die Sau rauslassen. Für mich zeigt das, dass Überzeugungen wie Gleichberechtigung und Feminismus bei vielen noch immer Fassade und nicht im Herzen angekommen sind. Sonst wäre das Bedürfnis nach diesem Song nicht so groß und eine ablehnende Haltung zu dem Text auch nach drei Bier noch vorhanden.
ZEIT Campus: DJ Robin und Schürze singen: "Ich hab 'n Puff, und meine Puffmama heißt Layla. Sie ist schöner, jünger, geiler". Warum schämen sich die Leute nicht, solche Sätze mitzugrölen?
Marina Forell: In dem Moment, in dem sie mit Freund:innen auf einem Volksfest oder einer Party auf dem Tisch tanzen und den Song mitgrölen, finden sie das wahrscheinlich selbst "geil". Mit dem Alkohol fallen die Hemmungen, und Sätze, die man normalerweise höchstens mal denken würde, grölt man einfach mit. Die Songs überschreiten ja permanent Grenzen. Nüchtern und allein zu Hause nimmt man das natürlich anders wahr.
ZEIT Campus: Was macht den Song denn so erfolgreich?
Marina Forell: Der Song trifft den musikalischen Zeitgeist: Er baut sich langsam auf und hat einen elektronisch produzierten, fast schon EDM-artigen Drop. Das ist auch bei Musiker:innen wie Rihanna, David Guetta oder Calvin Harris angesagt und macht den Song leicht zugänglich. Textlich ist Layla nicht besonders komplex. Der Refrain La-La-La-La-La-La-La-Layla ist bestens zum Mitsingen geeignet, auch noch mit zwei Promille. Die Kombination aus Melodie und Text führt dazu, dass man sofort einen Ohrwurm bekommt, auch wenn man solche Songs eigentlich nicht mag. Und so eine Debatte macht den Song noch mal besonders anziehend.
ZEIT Campus: Weil die Leute sexistische Texte in der Öffentlichkeit mitgrölen wollen?
Marina Forell: Ich würde nicht sagen, dass alle Menschen Sexisten sind, die dieses Lied hören. Aber wenn man besoffen ist, was auf Partys, auf denen Ballermann-Hits laufen, durchaus normal ist, dann geht es um einfache Botschaften. Nach drei Bier hat man keinen Bock mehr, über Feminismus und Geschlechterrollen zu diskutieren.
ZEIT Campus: Welche Zutaten braucht es noch für einen erfolgreichen Schlager?
Marina Forell: Entscheidend ist, dass er eingängig ist. Im Deutschpop, nehmen wir Tim Bendzko, Max Giesinger oder Namika, wird oft ein Halbsatz vernuschelt. Schlagertexte hingegen sind klar verständlich. Viele Texte sind ironisch und lustig. Guildo Horn hat fast nur solche Lieder. Dazu gibt es eine simple Melodie, die den Oktavraum in der Tonhöhe nicht überschreitet. Das macht es einfacher, halbwegs treffsicher mitanzustimmen. Das ist auch bei Layla der Fall, der Song ist in g-Moll geschrieben. Und ein ordentlich schneller Takt mit 130 Beats pro Minute macht das Ganze zudem tanzbar.
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ZEIT Campus: Vor zehn Jahren waren Hits wie "Du bist mein Glück" von Matthias Reim in den Charts. Da hieß es: "Du bist mein Glück / Groß wie ein Planet / Du bist die Sonne / Die niemals untergeht". Wie hat sich der Sound von Schlager verändert?
Marina Forell: Es gibt nicht den einen Schlager, sondern mehrere Gesichter, die zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich populär waren. Der klassische Schlager aus der Nachkriegszeit war lustig, romantisch oder auch sozialkritisch, wie Griechischer Wein von Udo Jürgens. Im Song geht's um die Lebenswelten der Gastarbeiter:innen. Später, in den Neunzigerjahren, war der volkstümliche Schlager das vorherrschende Subgenre. Stars waren zum Beispiel Marianne und Michael, die auch im Fernsehen sehr präsent waren. Sie moderierten die Superhitparade der Volksmusik und Lustige Musikanten. Da ging es viel um Liebe, Heimat und Familie. Später, so ab 2012, kam der Popschlager, den Helene Fischer perfektioniert hat.
ZEIT Campus: Und was hat es mit den Ballermann-Hits auf sich?
Marina Forell: Der Mallorca-Schlager ist durch den Massentourismus entstanden, der in den Siebzigerjahren aufgekommen ist, als Flüge und Hotels erschwinglicher wurden. Auf Mallorca wurden Bettenburgen hochgezogen - und eigene Stars wie Mickie Krause, Antonia aus Tirol oder Ikke Hüftgold, der an Layla mitgeschrieben hat, wurden groß. Natürlich gibt es auch Schlager, die sich in der Rezeption überschneiden. Helene Fischers Atemlos läuft auch auf dem Ballermann, aber eigentlich sind das verschiedene Welten.
ZEIT Campus: Das klingt, als sei das Publikum ganz unterschiedlich.
Marina Forell: Eine Untersuchung der Hochschule Hannover hat 2017 herausgefunden, dass der durchschnittliche Helene-Fischer-Fan 31 Jahre alt ist, weiblich, Single und einen mittleren Bildungsabschluss hat. Der Mallorca-Schlager hat eine andere Zielgruppe. Da handelt es sich um eine männerdominierte Welt. Da laufen beispielsweise Zehn nackte Friseusen von Mickie Krause - oder Mia Julia, die manchmal komplett nackt auftritt und in ihren Texten mit der männlichen Sicht auf weibliche Körper spielt. Das Publikum auf Mallorca ist erlebnisorientiert und vergleichsweise jung. Man braucht entsprechend Energie, um tagelang exzessiv feiern zu können.