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Angehende Akademiker in Dresden unter Druck

Bereits vor dem Abitur stand für Stefan Lange* fest, dass er Informatik studieren will. Im Alter von gerade einmal sieben Jahren schenkte ihm sein Vater einen alten Computer. Ein Geschenk, das den Werdegang und die nächsten Lebensjahre von Stefan Lange bestimmt.


Zehn Jahre später hat Stefan Lange sein Abitur in der Tasche und schreibt sich für seinen Wunschstudiengang Informatik an der Technischen Universität Dresden ein. Doch die ersten drei Semester in einer neuen Stadt, einem fremden Umfeld und die ungewohnte Eigenverantwortung machen ihm zu schaffen. Während seiner Jugend saß der Student zu Hause selten alleine am Esstisch. „Sich an das alleine leben zu gewöhnen, war für mich zu Beginn sehr schwierig", blickt der heute 20-Jährige zurück.

In der Uni gefällt ihm zwar das Studienfach, das Aufbauen sozialer Kontakte hingegen bereitet ihm unüberwindbare Schwierigkeiten. „In der Schule ist man die ganze Zeit mit seinen Mitschülern auf einem Haufen. An der Uni ist das nicht der Fall. Man ist selbst dafür verantwortlich, neue Kontakte zu knüpfen", erzählt der Student. Das Gefühl, keinen sozialen Anschluss zu finden, belastet ihn täglich.

Rund 1000 Betroffene pro Jahr

Das geht so lange, bis Stefan Lange realisiert, dass er dieses Problem nicht ohne Hilfe lösen kann. Psychische Beschwerden machen ihm zunehmend zu schaffen. Nach einer kurzen Google-Recherche stößt der Student auf die Psychosoziale Beratungsstelle (PSB) des Dresdner Studentenwerks. Damit ist Stefan Lange nicht alleine: Rund tausend Studenten nahmen im vergangenen Jahr an Einzel- und Gruppenangeboten, Workshops oder Vorträgen der PSB teil. Prüfungsangst, depressive Verstimmungen, Schwierigkeiten im Zeitmanagement, Suchtprobleme oder Arbeits- und Lernstörungen: Studenten landen aufgrund verschiedener Probleme während ihres Studiums in der PSB.

Faule Studenten mit Luxusproblemen?

Ist der auf Studenten lastende Druck in den letzten Jahren trotzdem gestiegen? „Wenn ich vergleiche, wie Studenten vor der Reform zum Bachelor-Master-System vielleicht fünf oder sechs Jahre Zeit für einen Abschluss hatten und auch nach dem Prinzip des Versuch und Irrtum in ein neues Fach reinschnuppern konnten - das ist ein Freiheitsgrad, den es so nicht mehr gibt", sagt die Beraterin, die seit 25 Jahren Studenten bei psychischen Beschwerden in Dresden berät und vor zehn Jahren die PSB gründete.

Das Klischee des arbeitsscheuen Studenten ist für sie unbegründet: „Die Studenten gehen doch in großer Zahl arbeiten. Der ganze Dienstleistungsbereich ist voll von arbeitenden Studenten: In jeder Gaststätte und in jedem Supermarkt bedienen oder sitzen Studenten." Überdies erfährt die Beraterin immer häufiger von Studenten, dass Eltern ihren Kindern die finanzielle Unterstützung während des Studiums verwehren, teils sogar das Kindergeld. Daneben nimmt sie einen „Verschuldungswahn" war: Mehr Studenten scheuen sich davor, die Ausbildungsförderung Bafög zu beantragen. „Die Notwendigkeit, neben dem Studium arbeiten zu gehen, ist gestiegen", resümiert Sabine Stiehler.

Dann verweist die PSB an kooperierende Psychotherapeuten, die zentrale Beratungsstelle der TU Dresden oder die städtische Beratung - in besonders akuten Problemlagen sogar direkt an Krankenhäuser. Trotzdem wünscht sich die Leiterin mehr Personalstärke: „Es geht nur so viel Beratung, wie Mitarbeiter da sind." Aktuell beschäftigt die PSB des Studentenwerks fünf Berater, die neben den Sitzungen in Dresden zusätzlich einmal im Monat eine Beratung in der Hochschule Zittau/ Görlitz anbieten.

Mehr Frauen als Männer suchen Beratung

Informatikstudent Stefan Lange ist als vergleichsweise junger Mann, der Beratung beansprucht, statistisch gesehen in der Unterzahl: Mehr Frauen als Männer nehmen die Beratung der PSB im Durchschnitt wahr und sind dabei im Mittel jünger als hilfesuchende Männer.

Häufigster Beratungsanlass sind „Studienabschlussprobleme"

Häufigster Anlass für die Teilnahme am Beratungsangebot sind sogenannte „Studienabschlussprobleme". Gemeint sind Schwierigkeiten, Fristen nicht einzuhalten, das Studienende nicht als machbar anzusehen und vor allem die sich anschleichende Ungewissheit, was eigentlich nach Ende des Studiums kommt.

„Diese Phase und Statuspassage der ersten finanziellen Unabhängigkeit zu meistern, ist für viele Studienabgänger sehr schwierig. Damit verbunden sind oft Zukunftsängste", erklärt Sabine Stiehler. In solchen Szenarien vermittelt die PSB zwischen Studenten, Professoren und Prüfungsämtern, so dass möglichst alle beratenen Studenten ihren Abschluss doch noch erreichen.

Für Stefan Lange waren Sorgen um die eigene Zukunft nicht der Grund für die Suche nach Beratung. Derzeit schreibt der Informatikstudent seine Bachelorarbeit und ist zuversichtlich, nach Ende des Studiums eine Anstellung in Dresden zu finden. Nach über einem Jahr Beratung im Zwei-Wochen-Takt hat der 20-Jährige Anschluss bei seinen Kommilitonen gefunden: „Ich habe gelernt, meine Gedanken zu sortieren und zu strukturieren. Das hätte ich alleine nicht geschafft", bereut er seinen Schritt, Beratung der PSB in Anspruch genommen zu haben, keineswegs.

*Name von der Redaktion geändert

Hilfe bei psychischen Problemen während des Studiums
Original