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Hass auf die sexuelle Orientierung: Gewalt ist für queere Menschen in Sachsen Alltag

„So etwas wie euch müsste man erhängen", tönt es plötzlich aus der benachbarten Sitzreihe in der Straßenbahn. Auf dem Weg nach Hause von einer Party traut eine Gruppe junger Frauen ihren Ohren nicht, als sie nur kurz ihre Köpfe auf den Schultern ihrer Nachbarinnen ablegen.

Das ist nur ein Fall von verbaler Gewalt gegenüber nicht heterosexuellen Menschen in Sachsen, von dem Vera Ohlendorf, Autorin der Studie „Gewalterfahrungen von LSBTTIQ-Menschen in Sachsen", berichtet. Diskriminierung und Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen (LSBTTIQ) sei in Sachsen leider Alltag und keine Seltenheit - das ist der zentrale Befund der ersten wissenschaftlichen Studie, die sich diesem Thema gewidmet hat.

1672 Gewalterfahrungen in den letzten fünf Jahren

Durchgeführt von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen, wurden 369 Menschen befragt, die sich alle der Gruppe der LSBTTIQ-Menschen zugehörig fühlen. Der Befund ist erschreckend: 267 Personen berichten von insgesamt 1672 Fällen vorurteilsmotivierter Gewalt in den vergangenen fünf Jahren. Darunter fallen 198 Erfahrungen mit schwerer oder leichter Körperverletzung, 868 Fälle von Beleidigungen sowie Eigentumsdelikte, Bedrohungen und Stalking.

Geringe Anzeigebereitschaft der Opfer

Die Zahl zeigt, dass die Gewalt gegenüber LSBTTIQ-Menschen in Sachsen deutlich weiter verbreitet ist, als bisher angenommen: Zwischen 2001 und 2007 registrierte der Kriminalpolizeiliche Meldedienst im Bereich „Hasskriminalität" für das Unterthema „Sexuelle Orientierung" gerade einmal 55 Fälle in ganz Sachsen. „Ein Grund für die hohe Differenz ist die geringe Anzeigebereitschaft der Opfer", erklärt Vera Ohlendorf, die in Kooperation mit der Fakultät Soziale Arbeit an der Hochschule Mittweida und Martin Wunderlich vom LAG Queeres Netzwerk Sachsen sowie zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen an der nicht-repräsentativen Studie arbeitete. Nur elf Prozent der von Gewalt Betroffenen erstatteten Anzeige bei der Polizei. Die Gründe dafür lägen oftmals im fehlenden Vertrauen und schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit.

Freistaat plant umfangreiche Studie zum gleichen Thema

Um die Studie überhaupt durchführen zu können, startete die LAG Queeres Netzwerk Sachsen eine Crowdfunding-Aktion, bei der rund 10.000 Euro zusammen kamen. „Es spricht für sich, dass die queere Community die Studie auch selbst finanziert hat", kritisiert Tammo Wende vom Verein Rosalinde Leipzig, der sich für Menschen aller sexuellen Orientierungen einsetzt. Auch deshalb fordern die Autoren der Studie eine umfangreichere und vom Freistaat finanzierte Studie zur Erfassung der Lebenslage von nicht-heterosexuellen Menschen.

Frank-Peter Wieth (CDU), Landesbeauftragter für Belange von LSBTTIQ im Freistaat, kündigte auf der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Studienergebnisse an, dass eine solche Studie geplant sei und kurz vor der Auftragsvergabe stehe. In welchem Umfang die Erhebung stattfinden wird und wann genau mit den Ergebnissen zu rechnen ist, konnte der Politiker jedoch nicht sagen.

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