Um den Bedarf zu decken, bräuchte es in Bayern 600 bis 800 Studienanfänger jedes Jahr. Doch davon ist man weit entfernt - begonnen haben dieses Wintersemester rund 100. An vielen Hochschulen bleiben die Studienzahlen hinter den Erwartungen zurück. In Deggendorf sind von 80 möglichen Plätzen nur fünf belegt.
Zwar gab es deutlich mehr Bewerber, viele hätten es sich aber auf dem Weg von der Bewerbung bis zur Immatrikulation anders überlegt. In Regensburg ist das Studium auf 40 Plätze ausgelegt, doch nur 16 konnten besetzt werden - weil sich nicht genug Pflegedienste finden, bei denen die Studierenden die Praxisstunden absolvieren können. Denn die Einrichtungen bekommen kein Geld dafür.
Für Pflege-Studierende: Kein Anspruch auf PraktikumsgeldDie geringe Nachfrage dürfte auch an der Finanzierung liegen. Die Studierenden müssen insgesamt 2.300 Praxisstunden absolvieren - etwa im Krankenhaus oder Heim. Doch einen Anspruch auf Bezahlung haben sie nicht. "Unsere Studierenden sind darauf angewiesen, dass sie freiwillig eine Praktikumsvergütung von der Praxiseinrichtung bekommen", sagt Herold-Majumdar von der Hochschule München.
Nicht jeder könne sich über Bafög finanzieren und neben dem Studium bliebe kaum Zeit für Nebenjobs. Viele entschieden sich deshalb für die klassische Ausbildung an der Berufsfachschule mit einer Vergütung. Oft kritisiert am Studium wird auch, dass die Zukunft der Absolventinnen und Absolventen auf wackeligen Beinen steht. Denn viele Pflegedienste, Heime und Krankenhäuser sind nicht bereit, mehr für die studierten Pflegekräfte zu bezahlen.
Holetschek: "Wir müssen dem System eine Chance geben"Die Probleme sind nicht neu. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek wollte sich bereits im Mai beim Bund für Verbesserungen einsetzen - doch geändert hat sich seitdem nichts. Erneut mahnte Holetschek den Bund an zu handeln, zeigte sich aber auch optimistisch über die Zukunft des Pflegestudiums. "Wir sind jetzt am Start", sagte er dem BR. Neue Vergütungsstrukturen oder Stipendienprogramme könnten helfen: "Wir müssen dem System auch eine Chance geben und nicht gleich sagen, es funktioniert nicht." Auch das bayerische Wissenschaftsministerium zeigt sich zufrieden. Die Immatrikulationszahlen seien im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen.
Kaum Studierende - und harte KritikAllerdings war das Niveau schon vorher recht niedrig. Im vergangenen Jahr begannen nur rund 80 Studierende. Im Vergleich: Beim Vorgänger-Modell, dem dualen Studium, fingen jährlich rund 300 an. Wie viele Studienplätze insgesamt zur Verfügung stehen würden, lässt sich nicht exakt sagen, da manche Studiengänge nicht zulassungsbeschränkt sind.
Hinter vorgehaltener Hand übt eine verantwortliche Person aus dem Umfeld einer bayerischen Hochschule heftige Kritik. Das System sei eine "Totgeburt", die Studierendenzahlen eine "Katastrophe". Die Probleme seien schon lange bekannt, jetzt müsse die Politik endlich handeln. "Ich mache hier Trockenübungen. Wir haben ein tolles Schiff, aber wir bekommen es nicht ins Wasser." Mindestens eine Hochschule überlegt intern, das Programm wieder einzustellen.
Deutschland hinkt international hinterherDas Problem betrifft nicht nur Bayern, sondern ganz Deutschland, sagt Christel Bienstein vom Deutschen Pflegerat. "International stehen wir ganz katastrophal da", sagt sie. "Wir haben im Grunde keine Akademisierung." Etwa 1,7 Prozent der Pflegenden seien akademisch qualifiziert, man bräuchte aber mindestens 20 bis 50 Prozent. Bei der Akademisierung in der Pflege sind andere europäische Länder viel weiter - etwa die Niederlande, Frankreich oder Staaten in Skandinavien.
Die Gründe sind vielfältig: Im Ausland bieten sich oft bessere Möglichkeiten für Pflegekräfte: mehr Kompetenzen im Berufsalltag, mehr Selbstbestimmung oder eine bessere Bezahlung. Das spiegelt sich teils auch in den Studierendenzahlen wider. Im Nachbarland Österreich ist die Akademisierung weiter fortgeschritten. An der FH Campus Wien haben dieses Semester rund 500 Studierende begonnen. Man habe etwa zweieinhalb Mal so viel Bewerber wie Studienplätze, erklärte der Geschäftsführer in einem Interview mit dem ORF.
Christel Bienstein wünscht sich eine Quote an akademisch ausgebildeten Pflegekräften. Die dürfte aber zumindest noch nicht realistisch sein. Studierte Pflegerinnen und Pfleger gibt es einfach noch zu wenig.