Jahrelang hat sich Patricia Schüttler nicht ins Schwimmbad getraut. "Ich habe es einfach nicht gekonnt. Es ging einfach nicht, weil ich immer Angst hatte, davor, wie mich andere Leute angucken könnten." Die 48-Jährige ist trans und engagiert sich beim Verein Trans-Ident. Auch Strandurlaub war für sie lange nicht möglich. Ein paar Monate nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation ging sie zum ersten Mal mit ihrer Frau ins Schwimmbad - endlich. Wie sich das angefühlt hat? "Super. Weil es etwas war, was ich mir immer gewünscht hatte."
Mann, Frau? Die Dusche kennt kein dazwischenNackte Haut, viel Bein: An kaum einem öffentlichen Ort ist man exponierter und weniger bekleidet als im Schwimmbad. "Es ist halt ein Raum, wo ich sehr, sehr viel Körper zeige und das ist für viele Transmenschen sehr schwer", sagt Schüttler. Viele sind körperlich als trans erkennbar: Transfrauen haben oft breite Schultern und eine tiefere Stimme, Transmänner vor der Operation eine Brust - und danach oft Narben.
Viele Bäder trennen bei den Umkleiden oder Duschen strikt nach Geschlechtern. Man muss sich also entscheiden - und wer körperlich scheinbar nicht ins Schema passt, fühlt sich manchmal beobachtet. "Wenn ich mir jetzt das Recht herausnehme, vielleicht als Transfrau einen Badeanzug anzuziehen, obwohl ich noch nicht operiert bin, und dann in einer Dusche und eine Umkleide gehe, habe ich halt immer Angst, dass ich da als Voyeur gesehen werde."
Angst vor RauswurfImmer sei da die unterschwellige Angst gewesen, jemand könnte sie schief anschauen oder sogar beim Bademeister einen Rauswurf veranlassen, sagt Schüttler. Auch nicht-binäre Menschen fühlen sich mit der Trennung der Duschen oft nicht wohl, weil sie sich nicht explizit als weiblich oder männlich sehen. Hört man sich in der Community um, berichten manche Transpersonen von abschätzigen Blicken, Getuschel hinter vorgehaltener Hand oder penetranten Hinweise, man sei in der falschen Dusche. Auf Anfrage schreiben die Stadtwerke München, ein eigenes Schutzkonzept gäbe es bei ihnen zwar nicht, ihnen seien aber auch keine Diskriminierungsfälle bekannt.
Regenbogenfamilie wurde Familienkarte aberkanntMichael Plaß von der LGBTIQ*-Fachstelle STRONG! kennt solche Fälle dagegen schon. "Beispiel Diskriminierung: Einer Regenbogenfamilie wird die Familienkarte aberkannt", schreibt er auf BR-Anfrage. Außerdem wisse man von Beschimpfungen, Beleidigungen und Bedrohungen. "Es ist allerdings anzunehmen, dass viele Transpersonen aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit einer negativen Erfahrung gar nicht erst ins Schwimmbad gehen." Verschiedene Umfragen zeigen, dass LGBTIQs ihre Freizeitgestaltung wegen der erwarteten negativen Erfahrungen einschränken.
Nicht alle Transpersonen fühlen sich aber im Schwimmbad unwohl. Sandra Wißgott, die 1. Vorsitzende von Trans-Ident e.V., ist sogar Rettungsschwimmerin bei der Wasserwacht. Und manche Ängste seien auch im eigenen Kopf, sagt Patricia Schüttler. "Ich als Transperson sehe viel mehr Feinde mir gegenüber - also Feinde in dem Sinne, dass jemand mir ansehen könnte, was meine Vergangenheit ist." Sie sieht Betroffene auch in der Pflicht, auf die eigenen Bedürfnisse aufmerksam zu machen - etwa klarzustellen, wie man angesprochen werden möchte.
Extra-Badetage für LGBTIQ* in NürnbergIn Nürnberg soll es bald eigene Badetage für Trans- und intersexuelle Menschen geben, auf Initiative eines Grünen-Mitglieds im Stadtrat. Als öffentliche Badeanstalt wolle man für alle da sein, sagt Matthias Bach von NürnbergBad. Zwar finde man auch im Regelbetrieb Lösungen - etwa, dass man separate Duschen im Saunabereich oder Umkleiden für behinderte Menschen nutzt.
Ein Extra-Badetag sei nicht ganz einfach umzusetzen. Schließlich würden Bäder eigentlich nie leer stehen, sondern auch zu Randzeiten genutzt - von Schulen, Vereinen oder Privatpersonen. Ins Auge gefasst hat man das Katzwangbad, auch deshalb, weil es Betroffenen Schutz vor neugierigen Blicken bietet. "Es ist von außen nicht so einfach einsehbar und wir müssen dort, für die Personen, die das testen, auch keine speziellen Vorrichtungen anbringen."
Unsicherheit bei AngestelltenNach Vorbildern aus Berlin und Köln soll das Bad an einen Verein vermietet werden, der dann den Badetag organisiert. Nicht nur deshalb, weil sich vielleicht Betroffene so wohler fühlen, sondern auch, weil es bei den Mitarbeitenden Unsicherheiten gibt. "Wir haben in der Durchführung einige Probleme gesehen, die schon an der Kasse beginnen", so Bach. "Wie könnten wir erkennen, ob eine Person berechtigt ist oder nicht?" Unsicherheiten gäbe es für Mitarbeitende etwa auch, wenn eine Person in der Dusche ausrutscht und ein Pflaster braucht - ob es besondere Bedürfnisse gibt oder Regionen, die man nicht so gut berühren könne, vielleicht OP-Wunden.
Keine Schulungsangebote für MitarbeiterWäre es nicht sinnvoller, die Mitarbeiter zu schulen, um solche Unsicherheiten abzubauen? "Es gibt keine Schulungsangebote, auch nicht in den Bäderverbänden oder in den Berufsschulen, wo man dieses Berufsbild lernen kann", sagt Bach, der das bedauert: Man lerne gerne dazu.
Auch STRONG! würde Schulungen von Angestellten begrüßen. "Viele Geschädigte erhalten nach Vorfällen keine Unterstützung von den Angestellten; manchmal sind es sogar die Angestellten selbst, die diskriminieren." Denkbar sei auch, gemeinsame Frauen- oder Männerumkleiden aufzulösen - und Einzelkabinen zu schaffen, die von allen genutzt werden können.
Separation statt Inklusion?Patricia Schüttler kann das Bedürfnis nachvollziehen, in einem geschützten Rahmen zu schwimmen. Trotzdem wird das Angebot nicht alle Transpersonen ansprechen, glaubt sie. Extra-Badetage bräuchte es öfter als ein paar Mal im Jahr und auch unter der Woche. Im Regelbetrieb könnten schon kleine Dinge Bädern oder Fitnessstudios helfen, inklusiver zu werden - etwa eine Regenbogenfahne am Eingang oder Unisex-Einzelkabinen statt Sammelumkleiden.
Sie selbst will mithelfen, Schwimmen auch in München LGBTIQ*-freundlicher zu machen. Ein Netzwerk aus Initiativen ist gerade im Gespräch mit den Stadtwerken und einem Sportverein. Ob und was daraus wird, ist noch unklar. Seit ihrer Operation geht Schüttler selbst sonntags regelmäßig ins Schwimmbad. Und hofft, dass der Sport bald für alle das wird, was er eigentlich ist - keine große Sache.
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