Bislang müssen Jugendliche in Pflegefamilien oder Einrichtungen bis zu 75 Prozent ihres Einkommens ans Jugendamt zahlen. Das trifft sie etwa dann, wenn sie eine Ausbildung machen oder neben der Schule kellnern. Nicht immer wird der volle Betrag tatsächlich eingezogen - aber es liegt im Ermessen des Jugendamts. Nach einem neuen Gesetzesvorhaben, das noch durch den Bundesrat muss, sollen die Jugendlichen künftig nur noch maximal ein Viertel abgeben müssen.
Viele finden, dass die Kostenheranziehung falsche Anreize setzt: Sie bestrafe Leistung, behandle Pflegekinder anders als andere Jugendliche und suggeriere indirekt, dass sie schuld an ihrer eigenen Situation sind. Das Argument der Befürworter: Der Staat müsste zumindest einen finanziellen Beitrag für seine Hilfe erhalten. "Wir tragen ja auch die Kosten einer Unterbringung", sagte etwa der Abgeordnete Marcus Weinberg (CDU) bei der Debatte im Bundestag letzte Woche. Außerdem würden auch Jugendliche in leiblichen Familien häufig Kostgeld an ihre Eltern abtreten.
Vom Ausbildungsgeld oder dem Ferienjob bleibt oft nicht vielFür die Hilfe des Staates ist Annika Tomaras dankbar: Ihre Kindheit im Kinderheim und die anschließende Zeit in einer Wohngruppe und im betreuten Wohnen beschreibt sie als schön. Erst jetzt, mit 20, zieht sie aus der Jugendhilfe aus - damit wurde ihr bislang auch die Unterkunft gezahlt. Aber dass sie im Rahmen der Ausbildung 75 Prozent abgeben musste, konnte sie nie vollziehen. "Ich habe mir das ja nicht ausgesucht, dass ich hier sein muss." Das abgezogene Geld fehlt ihr jetzt, wo sie auf eigenen Füßen stehen will. Auf ihr Bett habe sie lange sparen müssen. Und für die Kaution der neuen Wohnung, in die sie bald ziehen wird, muss sie vermutlich sogar einen Kredit aufnehmen.
Manche Jugendliche brechen deshalb die Ausbildung abWas die Kostenheranziehung bedeuten kann, hat Alexander Merz von 'Pfad für Kinder', dem Landesverband der Pflege- und Adoptivfamilien in Bayern, selbst erlebt. Sein Pflegesohn war mitten in der Zimmererlehre, als er von seinen rund 900 Euro drei Viertel abgeben sollte. "Das war so demotivierend für den jungen Mann, dass er die Lehre glatt ein halbes Jahr vor Ende abgebrochen hat."
Auch für die Pflegeeltern sei es schwer zu erklären oder rechtfertigen, sagt Merz - er selbst findet die Regelung sehr unfair. "Die Kinder kommen sich zum Teil vor wie Bettelknaben, die auf das Wohldünken einer Behörde angewiesen sind."
Neues Gesetz will Kostenbeteiligung senkenJugendlichen in Pflegefamilien und Einrichtungen soll künftig mehr von ihrem Geld bleiben. Gemäß dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz sollen sie nur noch maximal ein Viertel abgeben müssen. Einkommen aus Ferienjobs wird nicht angetastet - bei Schülerjobs, Praktika und Ausbildung sind geringe Freibeträge vorgesehen.
Verwaltungsaufwand frisst die EinnahmenAus Sicht der Koalition eine faire Balance zwischen Anreiz und Mitverantwortung. Aus der Opposition scheiterten zwei Anträge, die Kostenheranziehung ganz abzuschaffen. Deutschland könne und solle sich das leisten, findet etwa die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Suding. In der FDP schätzt man, dass sich die 25 Prozent Kostenheranziehung wegen der Verwaltungskosten nicht einmal wirtschaftlich lohnen würden.
Annika freut sich darüber, dass Änderungen geplant sind - einerseits.
"Ich finde es sehr gut, weil einfach den Jugendlichen viel mehr übrig bleibt und es ein Schritt in die richtige Richtung ist und weil es vielleicht auch nicht mehr so herabwürdigend ist." Annika, Ex-PflegekindVielleicht, hofft sie, steige dadurch auch die Motivation, einen Nebenjob anzunehmen. Sinnvoller hätte Annika es freilich gefunden, die Kostenbeteiligung ganz zu streichen.
Sprung in die Selbständigkeit bleibt schwierigSie hofft, dass nun mehr über die Situation der "Careleaver" gesprochen wird: So nennen sich junge Erwachsene, die auf dem Sprung von der Jugendhilfe in die Selbstständigkeit sind. Viele hätten es nicht leicht, in ein gutes Leben zu starten. "Manche werden wieder wie ihre Eltern oder rutschen auf die schiefe Bahn, weil sie Drogen konsumieren, um ihr Schicksal zu verarbeiten. Da spielen viele Faktoren mit, aber auch irgendwo Glück", sagt Annika Tomaras. "Ich würde mir einfach wünschen, dass es mehr Leute schaffen, weil sie es einfach verdient haben."