Elisabeth Stuppnig

Freie Journalistin (Online und Print), Wien

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Endzeitstimmung auf der Bühne

Klimawandel, Erbschaftsfragen, Kapitalismus: Es sind die großen Fragen unserer Zeit, die Thomas Köck in seinem Text „paradies fluten" aufgreift. Das Werk des preisgekrönten oberösterreichischen Dramatikers läuft am Wiener Akademietheater in einer Inszenierung von Robert Borgmann.

Einen „ungeplanten Österreich-Schwerpunkt" gebe es in dieser soeben angelaufenen Saison. Das vermeldete die Direktorin des Burgtheaters, Karin Bergmann, vor wenigen Monaten anlässlich einer Pressekonferenz. Tatsächlich sind unter den elf Ur- bzw. Erstaufführungen Werke sechs österreichischer Autoren. Darunter „jedermann (stirbt)" des jungen, bachmannpreisgekrönten Grazer Dramatikers Ferdinand Schmalz, der Hugo von Hoffmansthals Kassenschlager im Auftrag des Burgtheaters um- und neu geschrieben hat.

Zu sehen ist das Stück ab Februar in der Regie des Nestroy-Preisträgers Stefan Bachmann. Das zweite Auftragswerk der Saison stammt vom Büchner-Preisträger Josef Winkler. „Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreiben" ist ein Kampf gegen das Vergessen und Verstummen und wird im November uraufgeführt.


Endzeitstimmung am Akademietheater


Eingeläutet wurde der „Österreich-Schwerpunkt" jedoch von Thomas Köck mit „paradies fluten". Zum ersten Mal in Österreich aufgeführt, handelt das Werk von Kolonialismus, Globalisierung und Demenz und versprüht dabei Endzeitstimmung: Die Sonne hat ihre Wechseljahre erreicht. Sämtliche Kontinente werden zur Wüste. Auf dem Meeresboden Flugzeugwracks, Plastikschnitzel und Playmobil-Pferde. Diese düstere Prophezeiung überbringt die von der Prophezeiung Vergessene der von der Vorhersehung Übersehenen gleich zu Beginn von „paradies fluten".


Dabei ist der Klimawandel nur eines der Themen, das in Köcks „verirrter Sinfonie", so der Untertiel von „paradies fluten", abgehandelt wird.

Da bangt eine Mutter um die Familie und will dem Vater die Selbstständigkeit ausreden, während die Tochter erfolglos Tänzerin werden möchte. Da strebt ein Architekt gemeinsam mit einer Entwicklungshelferin danach, den brasilianischen Dschungel um ein Opernhaus und westliche Gedanken reicher zu machen.


Befreiende Sprache


So gut wie komplett ohne Satzzeichen und in Kleinschreibung schafft Köck eine Welt, in der Ehestreit, Generationenkonflikt und Ausbeutung ihren Platz finden. Die interpunktionslose Sprache nütze der Autor, um Geschwindigkeit herzustellen, und den Text von Rhythmus und grammatikalischen Strukturen zu befreien. Nur an wenigen Stellen finden sich Rufzeichen, schließlich gehe es Köck nicht um Hebungen oder Senkungen, sondern ausschließlich um Intensität: „Für mich ist das erste Element der Sound, aus dem ich Geschichte, Sinn und Figuren entwickle. Ich möchte eine Sprache finden, die materialistisch wird."


Schmutz, Nässe, Widerstand

Die Inszenierung von Robert Borgmann fordert das Ensemble rund um Elisabeth Orth, Sabine Haupt, Katharina Lorenz, Sylvie Rohrer oder Philipp Hauß, das in Schlamm, Regen und Nebel spielt. Köck sagt, er habe die Probenarbeit mit Regisseur Borgmann genossen. Er habe eine eigene Ästhetik und belaste den Text bis zur Schmerzgrenze.


„Ad libitum" steht in der Besetzungsliste von „paradies fluten". Der Autor, der von sich behauptet, Musik habe ihn sozialisiert, gibt Regieanweisungen in seinem Text, die „wie Kriegsgeräusche zu lesen" seien. Dabei schlägt er vor, dass „unmöglich oder einfach schlecht erinnerte Erinnerungen" die Bühne überfluten dürfen und auch Tänzer und Tänzerinnen eingeladen sind, sich den Text anzueignen.


Unbeeindruckter Preisträger

Der studierte Philosoph und Literaturwissenschaftler Köck wurde 1986 in Steyr geboren und ist Bernhard-Stipendiat für junge Dramatiker. Für „paradies fluten" erhielt er einen der wichtigsten Auszeichnungen für junge Dramatiker: den Kleist-Förderpreis. Zuvor gelangte in Österreich bereits ein anderes seiner Werke zur österreichischen Erstaufführung: „Isabelle H. (geopfert wird immer)" wurde 2016 im Volkstheater uraufgeführt.

Ob es besonders sei, „paradies fluten" im Akademietheater aufzuführen? Der Autor gibt sich zurückhaltend. „Dass der Text, der mir Spaß macht, in diesem wahnwitzigen Raum aufgeführt wird", freue ihn. Er selbst allerdings lasse sich nicht davon beeindrucken.


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Elisabeth Stuppnig, für ORF.at

Publiziert am09.09.2017

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