Elisabeth Werder

Freie Journalistin & Texterin, Diespeck

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Artikel

Ein Gefühl des Scheiterns

Egal ob man seinen Job mag oder nicht: Gekündigt zu werden ist eine emotionale Angelegenheit, denn der Ausspruch der Entlassung geht mit Selbstzweifeln und Zukunftsängsten einher. Zwei Arbeitnehmerinnen berichten von ihrer Kündigung und ihrem Umgang damit.


Text: Elisabeth Werder

Nach dem Studium des Journalismus hat Sandra (Name von Red. geändert) Schwierigkeiten, überhaupt einen Job zu finden. Vier Monate dauerte es, bis sie eine Festanstellung fand. Sie erinnert sich noch gut an die anspruchsvolle Jobsuche: „Ich bekam regelmäßig Panikattacken und zweifelte an mir, meiner Berufswahl und dem großen Ganzen." Denn: Zum ersten Mal sei etwas in Sandras Leben nicht geradlinig verlaufen. Abitur, Studium, Job - das war immer der Plan gewesen. Schließlich fand Sandra in einem mittelständischen Unternehmen eine Festanstellung im Marketing. Die ersten drei Monate im Job liefen gut: „Auf Nachfrage habe ich jedem erzählt, wie glücklich ich bin, so frei in meiner Arbeitsgestaltung zu sein, wie nett das Team ist und wie wohl ich mich fühle." Doch zum Ende der Probezeit kam der Dämpfer: Die Geschäftsführung teilte Sandra mit, dass eine Übernahme nicht sicher sei - man sei mit ihrer Arbeitsleistung nicht zufrieden. Zunächst ein Schlag ins Gesicht, dann nimmt sich Sandra der Herausforderung an. Sie übernimmt eine Sonderaufgabe, lässt sich privat dazu coachen und beißt die Zähne zusammen. Statt einer Rückmeldung zur Sonderaufgabe landete ein Schriftstück mit dem Titel „Kündigung" auf ihrem Schreibtisch.


Der erste Job, die erste Kündigung

Im persönlichen Gespräch wurde Sandra versichert, man wolle weiterhin mit ihr zusammenarbeiten. Deshalb werde ihre Probezeit um vier Monate verlängert. Die vorläufige Kündigung sei lediglich ein Schlupfloch, um sich im Bedarfsfall ohne weitere drei Monate Kündigungsfrist von ihr trennen zu können. Das erste Telefonat, welches Sandra nach Erhalten des Schriftstücks führte, war mit einer befreundeten Anwältin für Arbeitsrecht. Deren Aussage: Das Unternehmen bewege sich damit rechtlich in einer Grauzone. In den darauffolgenden Tagen hatte Sandra erneut Panikattacken, die Selbstzweifel kehrten zurück und Zukunftsängste bahnten sich ihren Weg. „Am meisten habe ich mich geschämt, dass ich nicht gut genug bin für den Job. Aber auch das Thema Geld kam auf: Eigentlich wollte ich bald mit meinem Freund zusammenziehen. Stattdessen muss ich jetzt im schlechtesten Fall meine Eltern anpumpen oder wieder in der Kneipe jobben. Nach dem Studium war ich mir sicher: nie wieder Gastro."


Rückblickend empfindet Sandra die fehlende Unterstützung seitens des Arbeitgebers als Grund für das Scheitern: Die von ihr angetretene Stelle wurde zu dieser Zeit neu geschaffen, wodurch Sandra keine etablierten Arbeitsweisen übernehmen konnte, sondern die Stelle und ihre Arbeitsweisen eigenständig aufbauen musste - eine ohnehin anspruchsvolle Aufgabe für Berufseinsteiger*innen, die im ersten „richtigen" Job nach dem Studium das erste Mal eigenverantwortliche Projekte übernehmen und im Berufsleben ankommen müssen und wollen. „Anstelle der Info, dass man nach fünf Monaten nicht zufrieden mit meiner Arbeit sei, hätte ich viel früher konstruktives Feedback und einen Austausch auf Augenhöhe gebraucht", erklärt Sandra.


Unterstützung von der Agentur für Arbeit

Nach einem Monat meldete sie sich fristgerecht arbeitslos. „Es war so surreal. Ich hätte nie gedacht, dass mir das passiert", erzählt Sandra. Das Beratungsgespräch hilft, ihre Lage zu akzeptieren: Dort erfährt sie, dass sie mit ihrer Situation nicht allein ist. „Gerade Berufseinsteiger*innen Mitte 20 haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, weil viele Unternehmen ein paar Jahre Berufserfahrung einfordern und gar nicht sehen, welches Potenzial in einem jungen Berufseinsteiger steckt. Das hat gutgetan, zu hören, weil viele bei ‚arbeitslos' ja gleich ein Klischee im Kopf haben. Stattdessen geht es offenbar vielen so wie mir", erklärt sie. Aber nicht nur Berufseinsteiger*innen machen diese Erfahrungen. 


Auch Petra (Name von Red. geändert), Mitte 50, wurde mitgeteilt, dass ihr befristeter Arbeitsvertrag als Fachkraft im öffentlichen Dienst nicht verlängert wird - fünf Minuten vor Beginn ihres Urlaubs. Vorangehend war ein Lob der Vorgesetzten, weil ein wichtiges Projekt zu einem guten Abschluss gekommen war. „Rückblickend hätte ich meine Chefin in der Situation gerne gefragt, ob ihr eigentlich klar ist, wie verletzend diese Worte und dieser Zeitpunkt für mich sind. Stattdessen habe ich es zur Kenntnis genommen, das Büro verlassen und in den folgenden drei Wochen Urlaub meine Gedanken und Gefühle sortiert", erinnert sich Petra.


Freunde und Familie als kompetente Gesprächspartner*innen

Auch wenn Petra in ihrem Job nicht wirklich zufrieden war und selbst bereits mit dem Gedanken gespielt hatte, zu kündigen, traf sie die Tatsache, dass ihre Chefin ihr zuvorgekommen war: „Es bleibt bis heute der Beigeschmack von ‚Ich war nicht gut genug', der sich bereits durch mein ganzes Leben zieht: Aus einer Arbeiterfamilie kommend waren mein Bruder und ich die ersten, die Abitur machten und studierten. Mein Selbstverständnis war es immer, dass ich deplatziert bin oder dass ich irgendwann entlarvt werde, weil ich eben doch nicht so schlau bin. Jüngere Generationen können mit dieser Denke vielleicht nicht mehr so viel anfangen, aber meine Generation kennt das mit Sicherheit", erklärt sie. Also begann sich nach der Kündigung sofort das Gedankenkarussell in Petras Kopf zu drehen: „Gerade wenn man nicht in diesem Selbstverständnis aufgewachsen ist, natürlich mal eine Führungsposition haben zu können, hat man nicht automatisch die Resilienz, eine Kündigung an sich abprallen zu lassen. Auf der intellektuellen Ebene konnte ich das schon anders deuten, aber das ist eben nicht so wirksam wie das Emotionale. Die Gefühle kommen zuerst und dann erst die Gedanken", erzählt Petra.


Umso hilfreicher war es für Petra, dass ihr Urlaub unmittelbar mit einer Reise begann, auf der sie zwei Freundinnen begleiteten. Die drei Frauen lernten sich im beruflichen Kontext kennen und waren deshalb kompetente Gesprächspartnerinnen: „Natürlich tut es gut, wenn Freunde oder Familie einem sagen, dass man was auf dem Kasten hat. Gleichzeitig ist es etwas anderes, wenn dir das jemand sagt, mit dem du schon konkret zusammengearbeitet hast, weil so jemand wirklich Ahnung von deinen Kompetenzen hat."

Mit etwas zeitlichem Abstand begann Petra, sich auf neue Jobs zu bewerben und die ersten Gespräche zu führen. Ihr Wunsch ist es, selbst zu kündigen bevor die Entlassung wirksam wird: „fürs Gewissen." Aus dieser Erfahrung hat sie die Konsequenz gezogen, dass das nächste Arbeitsverhältnis auf anderer Basis stehen soll: „Menschlichkeit und Weitblick sind in der Verwaltung keine Prioritäten. Stattdessen hat jeder klare Aufgaben und Zuständigkeiten. Es gibt ein festes System, in welches man sich einfügt und für Zwischenmenschliches ist da bewusst kein Raum. Deshalb kehre ich mit meinem nächsten Job zurück in einen beruflichen Kontext, den ich kenne und einschätzen kann, wo die Kommunikation mit den Vorgesetzten von Tag eins an anders läuft und wo New Work funktionieren kann", erklärt sie.


Unterstützung und Weitblick

Für Petra war es besonders wichtig, in den Austausch zu gehen, statt sich innerlich von den Problemen und dem Druck einer Kündigung auffressen zu lassen. „Beratungsstellen, Coachings, vielleicht sogar ein Seelsorgetelefon wenn man sonst niemandem zum reden hat - Hauptsache nicht mit den Gedanken alleine sein", ist ihr Rat für jene, denen es genauso geht. „Am Ende gilt immer: Jede Person ist gut und richtig, so wie sie ist, und das sollte über allem stehen. Auch über einer Kündigung, auch über einem Gefühl des Scheiterns", weiß sie.


Wer ohnehin unglücklich in seinem Job war, kann die Kündigung als Chance deuten, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln: Ein Branchenwechsel, eine Weiterbildung oder gar der Schritt in die Selbstständigkeit können jetzt genau richtig sein. Wer hingegen unglücklich über die Kündigung ist und gerne in seinem Job geblieben wäre, kann in die Analyse gehen: Was genau hat mir an meinem Job so viel Freude bereitet? Wie kann ich diese Erfüllung vielleicht woanders finden? Und dann, nach einer Phase der Trauer und Akzeptanz, kommt auch wieder eine Zeit für beruflichen Fortschritt.

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