Zahlreiche Künstler treten beim Lollapalooza auf - von George Ezra bis zu den Beatsteaks. Kritiken ausgewählter Acts.
Elisa von Hof
Bear's Den
Als die Briten zu den Gitarren greifen, etwa gegen 15 Uhr, da platschen die ersten Regentropfen auf die Rennbahn. Bear's Den, was übersetzt "Bärenhöhle" bedeutet, waren in den vergangenen Jahren einige Male in Berlin. Nicht erst seit sie im Sommer 2015 in der Waldbühne aufgetreten sind, übrigens als Vorband des sonnabendlichen Lollapalooza-Headliners Mumford & Sons, haben die Indie-Musiker eine Fangemeinde in der Hauptstadt. Die Londoner haben sich für den Auftritt nun ein bisschen Verstärkung geholt. Die Songs singt nicht nur Frontmann Andrew Davie, auch Gitarrist Joey Haynes singt mit. Der hat an diesem Sonnabend auch Geburtstag, zumindest behauptet das die Band und lässt das Publikum "Happy Birthday" singen. Und ihn stage-diven. Und der klettert über die Absperrung, auf die Menge zu, lässt sich von den hunderten Händen tragen, und lacht dabei, als wäre da kein Regen, der sein weißes T-Shirt langsam durchnässt. Und seine Jungs singen "Dew in the Vine" vom aktuellen Album, und klatschen dabei, dass da so gut klappt mit dem Bad in der Menge.
Wenn die Jungs Stücke wie dieses singen oder die von ihrem letzten Album "Islands", dann grinsen sie sich beim Singen an. Davie schließt die Augen, bei "Magdalene" zum Beispiel und bei "Pompeji". Er singt vom Lieben und Weitermachen, wenn das mit der Liebe dann eben doch nicht so klappt. Oder wie in "Agape". Dass man nicht mehr weiß, wer man ohne den anderen ist. Dass man sich das Leben nicht denken kann, ohne den anderen. "Es war unglaublich, Danke, wirklich, das war wunderbar", sagt Davie zum Schluss, als immer mehr Tropfen auf die Festivalkids prasseln.
Mike Perry
Während die Österreicher Wanda ihre patzigen Gute-Laune-Musik spielen, lässt DJ Mike Perry eine Bühne weiter die Beats explodieren. "Up, up, up", schreit der DJ und die Zuschauer reißen die Hände in die Luft. Scheinwerfer durchpflügen den grauen Himmel, pink, grün, blau. Wem es bei den Indie-Bands bisher zu melancholisch zuging, zu liebeslastig und zu brav, der findet sich hier eher wieder. Denn: Es! Wird! Ausgerastet! Up, Up, Up, eben. Perry zerwühlt die Luft, alle 30 Sekunden mischt er einen anderen, neuen Song dazu. Alles Dance-Hits der vergangenen Jahre und Pop-Songs, "I don't care" von den beiden Skandinavierinnen Icona Popp zum Beispiel und "Heads will roll". Der Beat dropt, Strobo-Lichter zerhacken die empor gestreckten Hände, Füße stampfen auf den Rennbahn-Rasen, "Wohoooo"-Schreie überall. Perry, das rotes Shirt leuchtet von weitem, klatscht in die Hände, als kurbelt er die Stimmung an. Weiter, immer weiter.
Nebel schwappt über die Bühnenkante. Schlohweiße Lichter strahlen in den Himmel. "Alle Hände hoch", ruft er mit seiner dunklen Stimme, das schreit er gern. Klar, dass da alle mitmachen. Man kann ihm halt nur schwer einen Wunsch abschlagen. Marteria springt über die Bühne, reißt die Hände in die Luft. "Was ist hier los?", schreit der Rostocker. Jetzt, sagt er, komme die Party des Jahres. Und damit hat er recht. Denn seinem Auftritt hatten hier viele entgegen gefiebert. Man muss kein Rap-Fan sein, um zu wissen, dass sein Konzert eines der Highlights des Festivals ist. Marteria, in weißen Shorts und Collegejacke, macht erstmal alle zu "Aliens" und "springt von Level zu Level zu Level". Marten Laciny, so heißt der Rapper nämlich eigentlich, war Model, ehe er als Musiker auf der Bühne gelandet ist.
"Scotty, beam' mich hoch", rappt er über den Wahnsinn unserer Zeit. "Wer hat sich das hier ausgedacht? Wer war dieser Idiot?", fragt er, eine Hand in der Luft, Schweißperlen rennen ihm über die Stirn. Marteria verausgabt sich. Halbe Sachen gibt es nicht für ihn. So wie beim Feiern. Weil er es da zu wild getrieben hatte, Exzess an Exzess reihte, landete er vor einigen Jahren im Krankenhaus. Danach hat er sein Leben ändern müssen, sagt er häufig. Und statt Party bis zum Umfallen hat er Ausgleich im Angeln gefunden - auch wenn man sich das bloß schwer vorstellen kann: Dass diesem Rapper, der Zehntausende zum Pogen bringt wie an diesem Abend, nun die Angelrute das größte Glück sein soll.
Und während die Sonne dann doch noch durch die Wolken bricht und dem Abendhimmel ein orangenes Licht verpasst, legt Marteria die Stirn in Falten, er konzentriert sich, spuckt die Wörter wie ein Maschinengewehr hinaus, immer der Menge entgegen. Sogar zum Feuer greift er, bei seinem Song "Bengalische Tiger" schleudert er den Zuschauern nicht bloß Worte entgegen, sondern streckt den Bengalo in die Höhe. "Ich hab die ganze Zeit Gänsehaut", sagt er dann. Und später, er weiß halt bereits, was gleich passiert, da winkt er einen Freund auf die Bühne, den die Zuschauer ziemlich gut kennen: den Rapper Casper. Der hat ja vor wenigen Wochen erst ein eigenes Album auf den Markt gebracht, "Lang lebe der Tod". Jetzt singt er mit Marteria "Alle verboten", ein Stück gegen Spießer, gegen Gartenzwerge und weiße Socken, gegen Engstirnigkeit und Langeweile. "Das ist der Abriss", schreit ein Mädchen, die Faust in den Wolken und schließt die Augen, um jeden Beat zu kosten. Denn Marteria schlüpft nun in sein Alufolie-Kostüm, eine silberne Maske bedeckt sein Gesicht. Er ist zu seinem Alter Ego geworden, Marsimoto, diesem Alien mit gepitchter Stimme. Grüner Rauch steigt da auf, Marsimoto beugt sich dem Publikum entgegnen, lässt die Zeilen rasend schnell herausfallen aus seinem Mund. Und, klar, das ist der Abriss.
dargebotenes. Inklusive Stagediving, was laut Veranstalter eigentlich verboten ist.
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