Schon ein Vierteljahr gibt es das Alkoholverbot im HVV. Halten sich die Fahrgäste auch an die Regel? Ein alltäglicher Abend in Hamburgs öffentlichem Nahverkehr. Von Elena Ochoa Lamino
Gedämpft dringen die Geräusche durch die Fenster - Menschen, die zum Bahnsteig hetzen, Fahrgäste, die sich unterhalten, Koffer, deren Rollen über den Boden rattern. Ein leichtes Rauschen im Tunnel kündigt die Ankunft der nächsten U-Bahn an. Menschen strömen in Richtung Treppe - vorbei an der Tür, die zum Stützpunkt der Hochbahnwache am Hauptbahnhof führt.
Hier, am Aufgang zum Busbahnhof, warten Felix Fischer* und Jörg Jensen* auf den Beginn ihrer Freitagabend-Schicht. Sie tragen bereits ihre Dienstkleidung - hellblaues Hemd, Hose, Krawatte, Pullover und Mantel in dunklem Blau. Den Ärmel des Mantels ziert ein Emblem der Hochbahnwache mit der Aufschrift "Sicherheitsdienst". Jensens Diensttelefon klingelt. Es wird ein kurzes Gespräch. "Spezialauftrag", sagt er nach dem Auflegen und schaut seinen Kollegen an. Schnell gehen sie runter zum Gleis, um einem anderen Team zu helfen. Einige Gerüstbauer haben sich nach der Arbeit offenbar ein paar Schnäpse genehmigt und drohen ungemütlich zu werden.
Eigentlich ist der Alkoholkonsum seit dem 1.September im Bereich des Hamburger Verkehrsverbunds verboten. In den Verkehrsmitteln, sprich U- und S-Bahn sowie Bus, aber auch auf den Haltestellen dürfen keine alkoholischen Getränke mehr getrunken werden. Bei Zuwiderhandlung droht seit dem 1.Oktober ein Bußgeld in Höhe von 40 Euro. Wer aber schon vor Fahrtantritt betrunken ist und nicht in der Bahn trinkt, wird befördert und muss keine Strafe befürchten. Mit den Gerüstbauern ist es zu keiner weiteren Eskalation gekommen, nach einem beschwichtigen Gespräch hat sich die Lage beruhigt.
Inzwischen ist es 20 Uhr geworden. Jetzt beginnt die eigentliche Schicht von Fischer und Jensen. "Die meisten Auseinandersetzungen werden verbal ausgetragen. Nur bei etwa fünf Prozent kommt es zu Handgreiflichkeiten", erklärt Fischer. Oft ist Alkohol im Spiel, doch den haben viele schon intus, bevor sie in Busse und Bahnen steigen. Besonders seit dem Verbot wird weniger in der Bahn getrunken. "In den ersten sechs Wochen nach dem Verbot gab es 100 Feststellungen mit Bußgeldern. Und die Zahl der Fälle ist weiter rückläufig", sagt Maja Weihgold, Pressesprecherin der Hamburger Hochbahn AG. Die Fahrgäste scheinen sich an die neuen Regeln zu halten. Nur eine kleine Gruppe von Unbelehrbaren trinkt hartnäckig weiter in Bus und Bahn, erzählt Fischer, als er die Rolltreppe zur U2 betritt.
Das Team fährt zum Jungfernstieg. Dort gibt Jensen per SMS ihren Standort an die Leitstelle weiter. "Die SMS geht an ein System, welches den jeweiligen Standort am Bildschirm des Einsatzleiters aufblinken lässt", erklärt Weihgold. "So weiß er immer, wo die Teams gerade sind." Jensen und Fischer sind zwei von etwa 280 Sicherheitsfachkräften, die derzeit für die Hochbahn arbeiten. Hinzu kommen 100 Prüfdienstkräfte.
Im Moment ist hier am Jungfernstieg keine Sicherheitskraft nötig. Für Aufregung und flüchtende Fahrgäste sorgt einzig eine kleine Maus, die über den Bahnsteig läuft. Weiter geht es durch die Unterführung zur U3 am Rathaus. Die Dienstkleidung der beiden fällt auf. Wohin sie auch gehen, werden sie beobachtet. Sei es aus Neugier, sei es aus Angst, kontrolliert zu werden.
Beim Einsteigen in die U3 Richtung St.Pauli bricht in den hinteren Reihen kurz Hektik aus. Schnell werden gelbe Pappbecher leer getrunken und in die Mülleimer geworfen. Weil einer aus der Gruppe immer noch aus einem Pappbecher trinkt, kommen Jensen und Fischer näher, sprechen die Fahrgäste aber nicht an. "Die haben keine offenen Flaschen dabei", erklärt der 39-jährige Jensen.
Selbst wenn der ganze Waggon nach Alkohol riechen würde: Sobald nicht offensichtlich aus einer offenen Flasche oder Dose Alkohol konsumiert wird, können die Sicherheitskräfte nichts machen. "Wir dürfen auch nicht an Bechern oder Getränken schnuppern", sagt Fischer. Deshalb dürfen sie auch nicht wegen Alkoholkonsums in der Bahn einschreiten, wenn sich eine Gruppe Jugendlicher offensichtlich eine Bacardi-Cola-Mischung aus der Cola-Flasche teilen.
An den Landungsbrücken treffen die Sicherheitskräfte lediglich auf zwei Raucher. Selbst an der Feldstraße verhalten sich die Fahrgäste trotz Dom-Spektakels ruhig. Mit dem nächsten ankommenden Zug steigen zwei Jungen mit offenen Bierflaschen aus. Sie kommen aus Münster und haben vom neuen Alkoholverbot in Hamburgs U-Bahnen noch nichts gehört. Es bleibt bei einer Verwarnung. Ebenso werden zwei Pärchen lediglich verwarnt. "Die waren jetzt alle einsichtig, die einen hatten ihr Bier auf dem Weg nach oben aufgemacht, die anderen hatten es gerade hier am Kiosk gekauft", sagt Fischer. Wer mit sich reden lässt, wird auch entsprech-end behandelt.
Wieder in der U3 Richtung Rathaus, trifft das Team auf einen alten Bekannten: Werner Braun*. In der linken Hand hält er eine Dose Bier, in der rechten eine Tüte mit klapperndem Inhalt. Seine Kleidung ist zerschlissen und dreckig. "Herr Braun, diesmal geht das nicht", sagt Fischer. Es folgt ein Gespräch. Ein Bußgeld über 40 Euro wird ausgestellt und der Bescheid ausgehändigt. Dieser landet sofort im Mülleimer. "Er war nicht einsichtig. Außerdem sehen wir ihn fast jeden Tag, und er hat Hausverbot", erklärt Fischer hinterher.
Braun gehört zur hartnäckigen Restgruppe, die sich nicht an das Verbot halten. Sie bekommen Verwarnungen und Bußgelder, die sie nicht bezahlen. "Da kommen noch zahlreiche Delikte wegen Hausfriedensbruch dazu, und schon sind sie für ein paar Monate weg", sagt Fischer. Danach sähen sie wieder frisch und erholt aus, denn im Gefängnis bekämen sie ordentliches Essen, keinen Alkohol, ein warmes Bett. Nach der Ankunft in der Haltestelle Rathaus müssen die Sicherheitskräfte erneut tätig werden. Eine Gruppe Rockabillys betritt rauchend und trinkend den Bahnsteig. Erst wird leicht gemosert.
Als die Bahn fünf Minuten später kommt, sind die Zigaretten aber ausgemacht und das Bier ausgetrunken. Ein Bußgeld von 15 Euro gab es nur fürs Rauchen. "Da jetzt noch mal 40 Euro fürs Trinken zu geben, wäre zu viel gewesen", sagt Jensen. Immerhin waren auch sie einsichtig und haben die Dosen geleert. "Jeder bestimmt das Programm ein bisschen selber", sagt Fischer. Die Bilanz des Abends: vier Verwarnungen und ein Bußgeld. Und die für den HVV erfreuliche Erkenntnis: Fast alle halten sich ans Alkoholverbot.
* Namen von der Redaktion geändert