Der Alarm kommt für Alexander Fendt aus Mühldorf am Inn am Mittwoch gegen 15 Uhr. Der 23-Jährige und seine Kollegen von der Strömungsrettungsgruppe des DLRG-Kreisverbands Mühldorf werden zur Flutkatastrophe nach Simbach gerufen. Schon bei der Ankunft der erste Schreckmoment. Fendt: „Als wir die überspülten Siedlungen und die teilweise weggespülte Bundesstraße gesehen haben, war das erst einmal ein Schock."
Die Einsatzleitung schickt ihn und drei seiner Kollegen mit einem Schlauchboot in den westlichen Teil von Simbach. Zahlreiche Menschen stecken dort in umspülten Häusern fest.
Der erste Einsatz der Spezialkräfte: die Rettung einer fünfköpfigen Familie, inklusive zweier Säuglinge. Die Strömungsretter kämpfen sich mit ihrem Boot teilweise nur zentimeterweise gegen die Fluten zu dem Haus vor. Den Motor können sie hier gar nicht benutzen - zu gefährlich bei dem unsicheren überfluteten Untergrund voller Schlamm und Schutt.
Überall auf dem Weg begegnen sie Menschen an Fenstern und auf Balkonen, die auf Rettung warten. „Wir mussten erst einmal an vielen vorbeifahren und ihnen versprechen, wiederzukommen", sagt Fendt. „Da muss man versuchen, dass einen das nicht zu sehr belastet."
In zwei Fahrten holen er und seine Kollegen zunächst die Familie aus dem Haus. Die Babys werden in Babyschalen in die Boote gesetzt, die Erwachsenen müssen in dem komplett verschlammten Erdgeschoss über ihr völlig zerstörtes Hab und Gut steigen. „Das nimmt einen schon mit, wenn man sieht, was die Menschen in ihrem vermeintlich geschützten Bereich alles verloren haben."
Doch für Mitgefühl bleibt in dem Riesen-Chaos der ersten Stunden kaum Platz und Zeit. Ein Rentner gilt als vermisst, nachdem er versucht hat, zu seinem vierjährigen Enkel zu schwimmen. Fendt findet ihn ein paar Querstraßen weiter im Wasser, der Enkel wird ebenfalls gerettet. Im Haus einer älteren Frau müssen die Helfer eine Trage als Rammbock benutzen, um eine blockierte Tür aufzubrechen.
Das Schwierige: Bloß nicht die Konzentration verlieren. Ständig müsse man die Umgebung scannen, sagt Fendt: Wo könnte ein Gegenstand angeschossen kommen, der dem Schlauchboot und seinen Insassen gefährlich werden könnte? Wo könnte ein Helfer gegen einen Zaun gedrückt werden, wo lauern Gefahren wie ein offener Gullydeckel, in den er eingesogen werden könnte?
Es sind Helfer wie Fendt, von denen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) voller Hochachtung spricht. „Es ist immens, was unsere Einsatzkräfte hier geleistet haben. Ich bin stolz darauf, dass unser Hilfeleistungssystem in Notsituationen so gut funktioniert."
Als es am Mittwoch, der in Simbach am Inn alles veränderte, Nacht wird, machen die Eingeschlossenen mit Taschenlampen auf sich aufmerksam. Die Stimmung ist gespenstisch. Die meisten Menschen steigen lediglich mit dem, was sie am Leib haben, in die Boote, sagt Fendt. Eine ältere Frau nimmt eine Kerze, auf der die Jungfrau Maria abgebildet ist, mit ins Boot. Geweint habe fast niemand.
Gegen Mitternacht, nachdem sie sicher sind, dass in ihrem Abschnitt alle Betroffenen in Sicherheit sind, beenden Fendt und seine Kollegen ihren Einsatz. Sie waschen sich Heizöl, Chemikalien, Fäkalien und Müll von der Ausrüstung und treten den Heimweg an. Die Bilanz der Strömungsretter: Insgesamt 80 Menschen haben sie mit ihrem Einsatz ins Trockene gebracht.