Elena Everding

Redakteurin, Vorstand Jugendpresse Deutschland, Hannover/ Göttingen

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„Diese Länder überleben nicht": UN-Berater fordert mehr Geld für Entwicklungshilfe

Der Süden der Welt steckt in einer Hungerkrise – in einem Ausmaß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Warum fördert Ihr Fonds bei den Vereinten Nationen ausgerechnet Kleinbauern? Muss es jetzt nicht um Masse gehen, um genug Nahrungsmittel zu produzieren?

Kleinbauern produzieren ungefähr ein Drittel der Nahrung weltweit. Es sind also nicht die großen Bauern mit dem dicken Traktor, sondern die Kleinbauern mit weniger als einem Hektar der Schlüssel zur Nahrungsmittelsicherheit. Und sie ist die Grundlage für globale Stabilität. Der Ifad hat zum Beispiel ein Projekt zur Bewässerung gefördert und da auch Jugendliche eingebunden. Die wollen nicht mit der Hacke den ganzen Tag bei 40 Grad den Boden bearbeiten. Sie haben unheimlich gute Ideen, sind digital vernetzt, gelangen an Marktinformationen. So können sie den Kleinbauern sagen, wenn es einen großen Gemüsebedarf in der Hauptstadt gibt und wo sie ihre Produkte für einen guten Preis verkaufen können. Die Jugendlichen fragen sich: Können wir eine zentrale Rolle spielen für die kleinen Bauern als Informationszugang? Sie können auch in der Vermarktung helfen und eine Landwirtschaftsgenossenschaft gründen, in der sie auch die Logistik digital organisieren.


Ein weiterer Schwerpunkt des Fonds sind Frauen. Ist das wirklich die Zeit für feministische Entwicklungspolitik?

Wenn wir die Gelder aus der Entwicklungshilfe in die Hände der Frauen geben würden, würde die Nahrungsmittelproduktion um 10 bis 20 Prozent steigen, sagen Studien. Ein Beispiel aus einem chinesischen Dorf: Eine Frau hat mit einem Kredit zwei Schweine gekauft. Der Dung von ihnen kommt dann in eine selbst gebaute Biogasanlage, und mit dem Biogas kocht die Frau. Sie muss nun nicht mehr jeden Tag mehrere Stunden in den Wald und zurück laufen, um Holz zu holen. Solche Maßnahmen fördern wir überall auf der Welt, auch weil Frauen wichtig für die Bildung sind: Sie schicken die Kinder in die Schule.


Wie kann man sich das Hungerproblem in den Ländern, in denen der Ifad aktiv ist, konkret vorstellen?

Nehmen Sie eine Familie mit drei oder vier Kindern. Die Eltern arbeiten auf dem Feld. Auf einmal wird alles teurer. Man spart erst an einer Mahlzeit, vielleicht verzichtet die Frau auch direkt und gibt das Essen lieber ihren Kindern. Wenn auch die anderen verzichten müssen, werden alle schwächer. Die Kinder werden vielleicht auch nicht mehr in die Schule geschickt, weil sie krank sind. Dann werden Nahrungsmittel verzehrt wie Blätter, die unverträglich sind. Oder es gibt nur geschälten Reis mit heißem Wasser drauf, um einmal am Tag den Bauch vollzukriegen. Aber es werden keine Vitamine oder wichtige Mineralstoffe mehr aufgenommen. Auf Dauer ist die physische und mentale Entwicklung der Kinder verspätet. Das auch hat enorme Auswirkungen auf die Entwicklung eines Landes.


Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Welthunger noch einmal zugenommen. Spüren Sie das auch in Ihren Programmen?

Ja, denn die Ukraine und Russland sind sehr große Exporteure von Getreide, Weizen, Ölfrüchten und Mais. Viele der armen Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika importieren mehr, als sie exportieren können. Wenn Russland und die Ukraine nicht mehr liefern, gehen die Preise hoch. Die importierenden Länder haben nicht das Geld, um diese großen Preissprünge mitzumachen. Die Bevölkerung wacht auf und heute kostet das Brot 5 Euro, gestern hat es einen Euro gekostet. Die Menschen werden hungern, mit allen Konsequenzen. In Deutschland sind wir zwar total unzufrieden, wenn die Preise so hoch sind – aber wir können überleben. Diese Länder überleben nicht. Die einzige Lösung sind hier lokale Nahrungsmittelsysteme mit Kleinbauern.


Deutschland brüstet sich ja gern damit, eines der größten Geberländer in der Entwicklungshilfe zu sein. Können wir uns also entspannt zurücklehnen?

Wir brauchen mehr Gelder, viel mehr Gelder. Für die Nahrungsmittelsicherheit und die Bekämpfung des Klimawandels. Deutschland ist ein sehr großer Geldgeber. Aber Deutschland kann mit seiner Wirtschaftskraft mehr leisten. Wir müssen diese Verantwortung annehmen, und wir müssen führen. Andere kleinere Länder geben im Verhältnis mehr Geld, zum Beispiel die skandinavischen. Ich würde mir wünschen, dass mein Land noch stärker nach vorne drängt, in Europa und in der Welt. Das ist auch gut für unsere Wirtschaft. Ifad arbeitet eng mit dem Privatsektor zusammen und ist sehr daran interessiert, dass deutsche Firmen stärker mit Unternehmen in Afrika und Asien kooperieren. Das wäre gut für beide Seiten.

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