Elena Everding

Redakteurin, Vorstand Jugendpresse Deutschland, Hannover/ Göttingen

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Ist Habecks schnellerer Kohle­ausstieg ein Etiketten­schwindel?

Alle reden von Atom­kraft, Erdgas - und von der Energie­krise. Deshalb fiel vielen kaum auf, dass in Olaf Scholz' schriftlichem Macht­wort auch ein früherer Kohle­ausstieg angekündigt wird - jedenfalls für NRW. Hilft das dem Klima? Wir prüfen es. Außerdem in diesem Newsletter: News, Verbraucher­tipps und die Klima­termine der Woche.

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als Bundes­kanzler Olaf Scholz (SPD) in dieser Woche nun den tagelangen Streit um längere Atomkraft-Laufzeiten innerhalb der Ampel­koalition mit einem schriftlichen Machtwort beendete, übersahen viele, dass es darin nicht nur um Atom­kraft ging - sondern auch um deutschen Kohle­abbau:

Scholz wies die Koalition an, die „politische Verständigung" zwischen seinem Wirtschafts­minister Robert Habeck (Grüne), der schwarz-grünen Landes­regierung von Nordrhein-Westfalen und dem Energie­konzern RWE „gesetz­geberisch umzusetzen".

Bei diesem Punkt, den offenbar Habeck zur Bedingung für den Kompromiss gemacht hatte, geht es um den vorgezogenen Kohle­ausstieg in Nordrhein-Westfalen - den in der vorvergangenen Woche gleich mehrere grüne Minister stolz präsentiert haben. Doch was sieht der Deal genau vor, warum ist er umstritten - und was bringt er dem Klima wirklich? Darum geht es in unserem ...

Faktencheck der Woche

Das Ringen um den Kohle­ausstieg in Deutschland zieht sich seit Jahren hin. Nachdem sich die Welt 2015 in Paris verpflichtet hatte, die Erderwärmung unter 2 Grad zu begrenzen, berechneten Wissenschaftler: Dafür wäre ein weltweiter Verzicht auf Kohle bis etwa 2030 notwendig.

Das brachte auch hierzulande neue Bewegung in die Verhandlungen zwischen Politik, Wirtschaft und Klima­schützern. Aber die überparteiliche und zudem mit Wissenschaftlern und Gewerkschaftern besetzte Kohle­kommission konnte sich nur auf einen Ausstieg bis 2038 einigen, den Bundestag und Bundesrat gesetzlich festlegten. Innerhalb der Ampel­koalition setzten die Grünen nur durch, man wolle den Kohle­ausstieg „idealerweise" auf 2030 vorziehen.

Wie sieht die Vereinbarung zwischen Bund, NRW und RWE konkret aus?

Zumindest für Nordrhein-Westfalen hat Wirtschafts- und Klimaschutz­minister Robert Habeck (Grüne) das nun gemeinsam mit seiner Partei­freundin und NRW-Amts­kollegin Mona Neubaur geschafft - und mit dem Energie­konzern RWE einen entsprechenden Deal verhandelt. Doch von Klima­schützern und Wissenschaftlern gibt es daran Kritik. Zu Recht? Wir prüfen es.

Acht Jahre früher als geplant, bis 2030, will RWE die Verstromung von Braun­kohle beenden. Drei Kraftwerks­blöcke im rheinischen Revier gehen früher vom Netz. Statt der ursprünglich geplanten 560 Millionen Tonnen Braun­kohle werde so im Tagebau Garzweiler nur noch die Hälfe abgebaut, 280 Millionen Tonnen. „Das ist ein Meilen­stein für den Klima­schutz und hilft, die Klima­schutz­ziele zu erfüllen", verkündete Habeck.

Warum hat der Grünen-Parteitag am vorigen Wochenende darüber gestritten?

Zwei weitere Kraft­werke im nordrhein-westfälischen Neurath laufen dagegen mindestens bis März 2024 weiter, obwohl sie eigentlich Ende des Jahres abgeschaltet werden sollten - wegen der Energie­krise.

Die Grünen-Delegierten mussten sich scharfe Kritik anhören, etwa von Partei­mitglied und Klima­aktivistin Luisa Neubauer. „Seit wann argumentieren die Grünen mit gefakten Zahlen von RWE?", warf sie ihnen vor. In Wahrheit würde das Klima gar nicht profitieren: „Keine einzige Tonne CO₂″ werde gespart, wenn RWE die mit der Vereinbarung ermöglichte Auslastung aller Kraftwerke in den Zwanziger­jahren nutze.

Was bringt der vorgezogene Kohle­ausstieg in NRW dem Klima wirklich?

RWE dürfe weiterhin 280 Millionen Tonnen Kohle abbauen. Keine 50 Millionen Tonnen dürften es dagegen sein, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, so Neubauer.

Dass durch den Deal 280 Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden, bezweifeln auch Energie­experten - etwa Catharina Rieve vom Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung (DIW): „Für uns sind die 560 Millionen Tonnen als Bezugs­größe für eine Einsparung überhaupt nicht nachvollziehbar", sagte die Ingenieur­wissenschaftlerin dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). „Der Deal mit RWE führt so nicht dazu, dass das Klima gewinnt."

Die Forschungs­gruppe hat berechnet: Gerade einmal 64 Millionen Tonnen weniger gelangen mit der neuen Vereinbarung im Vergleich zum Ausstieg 2038 in die Atmosphäre. Dieses Szenario setzt allerdings voraus, dass die Kraftwerke im Reserve­betrieb unter Volllast bis 2033 weiter­laufen. Der RWE-Deal ermöglicht das.

Wie kommen die unterschiedlichen Zahlen zustande?

Nimmt man dazu den möglichen vorgezogenen Ausstieg 2035 als Vergleichswert, ergibt sich nur noch ein Unterschied von sieben Millionen Tonnen CO₂. Das ist zwar nicht „keine einzige Tonne", wie Neubauer behauptet - aber eben auch nicht die 280 Millionen Tonnen, von denen RWE und Regierung sprechen.

Laut Rieve geht man bei den 280 Millionen Tonnen CO₂-Einsparung davon aus, dass die gesamte Braun­kohle im Tagebaufeld Garzweiler noch verfeuert worden wäre. Dies sei aber technisch gar nicht möglich. Schon vor 2038 sinke der Kohle­bedarf, weil die Abschaltung von Kraft­werken gesetzlich festgelegt ist.

Rieve und ihre Kollegen rechnen jedoch damit, dass in den verbleibenden acht Jahren der Kohle­verbrauch steigt - um vom russischen Gas loszukommen. Allein die beiden nun verlängerten Kraftwerks­blöcke in Neurath stoßen laut den Berechnungen der Wissenschaftler mehr als 20 Millionen Tonnen zusätzliches CO₂ aus, wenn sie in den Reserve­betrieb bis 2025 gehen.

Auf welche Zahlen beziehen sich die Ministerien?

„Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre wird Deutschland daher mehr Braun­kohle verfeuern, als es dies sonst getan hätte", sagt Rieve. Unter Umständen werde die gleiche Menge Kohle in kürzerer Zeit verbrannt.

Das bleibt diffus. Das Bundes­wirtschafts­ministerium verweist auf RND-Anfrage auf mehrere Gutachten, die Planungs­büros erstellt haben. Tatsächlich hat eines der genannten Büros 2020 die Folge­kosten des Braunkohle­tagebaus in Deutschland berechnet. Das Gutachten bezieht sich auf Daten aus dem Jahr 2019. Je nach Szenario ist die Rede von 570 beziehungsweise 507 Millionen Tonnen Kohle, die aus dem Tagebau Garzweiler noch benötigt würden - vorausgesetzt, es gibt kein festes Ausstiegs­datum.

Wie kommt RWE auf die 280 Millionen Tonnen CO₂-Einsparung?

Für ein Kohle­ende im Jahr 2038 berechnen die Gutachter nur noch einen Bedarf von 460 Millionen Tonnen. Wie genau sich daraus die 280 Millionen Tonnen eingespartes CO₂ ergeben, beantwortet das Ministerium nicht.

Bis zum Kohle­ausstieg 2038 braucht RWE rund 900 Millionen Tonnen Kohle aus dem rheinischen Revier, das habe laut dem Unternehmen eine von ihm beauftragte Studie ergeben. Allein aus dem Tagebau Garzweiler müssten etwa 600 Millionen Tonnen kommen. Zieht man die in der verstrichenen Zeit geförderte Kohle ab, scheinen die genannten 560 Millionen Tonnen plausibel.

Kann das 1,5-Grad-Ziel mit dem Kohle­ausstieg 2030 eingehalten werden?

Ein Blick in die Studie zeigt jedoch: Der Bedarf ergibt sich aus teils fragwürdigen Annahmen. So gehen die Verfasser davon aus, dass die Energie­preise die kommenden Jahre auf geringem Niveau bleiben. Für das Jahr 2040 rechnen sie mit einem Erdgaspreis von 29 Euro pro Megawatt­stunde. Zum Vergleich: Aktuell ist der Preis etwa fünfmal so hoch. Auch der angenommene CO₂-Preis von 36 Euro pro Tonne im Jahr 2040 liegt mittlerweile bereits bei mehr als 60 Euro.

„Der Kohle­ausstieg 2030 ist die Basis für RWE, ihren Reduktionsplan nun sogar auf den 1,5-Grad-Pfad anpassen zu können", teilte das Unternehmen kurz nach der Einigung mit Habeck und Landes­regierung mit. Man leiste einen maßgeblichen Beitrag dafür, dass Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen kann.

Nur noch 200 Millionen Tonnen Kohle dürfte aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II ab Januar 2021 abgebaut werden, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten - zu dem Schluss kommt dagegen ein Gutachten des DIW, an dem auch Rieve mitgearbeitet hat. Das Klimaziel lasse sich demnach einhalten, wenn der Abbau 2028 endet.

Die von Neubauer genannten knapp 50 Millionen Tonnen Kohle dürften sich auf den Tagebau Garzweiler beziehen. Laut DIW hat RWE ab Anfang 2022 dort noch ein Budget von 47 Millionen Tonnen, um das Klimaziel einzuhalten.

Infografik der Woche

Der deutsche Plan, laut geltender Rechtslage bis 2038 aus dem Kohle­abbau und -verbrauch auszusteigen, platziert die Bundes­republik weit hinten auf der Skala der Ausstiegspläne innerhalb der EU.

Verbrauchertipp der Woche

Fotovoltaik­anlagen für den eigenen Haushalt sind nicht nur umwelt­­freundlich, sondern liefern noch dazu relativ günstigen Strom. Aber eben nur dann, wenn auch die Sonne scheint. Nachts und in den Winter­monaten liefern Solarpanels nicht genug Energie, sodass diese trotzdem über das Netz bezogen werden muss. An sonnigen Tagen wird hingegen mehr Elektrizität erzeugt, als ein einzelner Haushalt benötigt. Wie die überschüssige Energie gespeichert werden kann, und welche technischen Möglichkeiten sich tatsächlich rechnen, hat meine Kollegin Irene Habich aufgeschrieben.

Der RND-Klima-Podcast - hier hören

Mojib Latif zählt zu den renommiertesten internationalen Klima­wissenschaftlern. In der neuen Folge des RND-Podcasts „Klima und wir" spricht der Ozeanograph und Meteorologe über den Schutz der Weltmeere und warum es auch nach Jahrzehnten des Wissens nicht zu spät ist, den Einsatz für eine klimagerechte Erde aufzunehmen. Er verrät, woraus er Hoffnung zieht, und welchen Rat er an die junge Generation hat - auch wenn er das 1,5-Grad-Limit für verspielt hält.

Das Video der Woche - Fliegen versus Fahren

Ob man in den Urlaub fliegen sollte oder mit dem eigenen Auto einen Roadtrip macht, machen viele von der Kosten­frage abhängig. Wie sehr man das Klima mit dem eigenen Reisen belastet, sollte aber auch eine Rolle spielen.

Die gute Nachricht

90 Jahre lang glaubte die Wissenschaft, dass eine holzfressende Kakerlake, die zu den vielen, teils mysteriösen Lebewesen der australischen Insel Lord Howe gehörte, ausgestorben sei. Bis ein Student vor Kurzem einen Stein hochhob, schreibt unsere Australien-Korrespondentin Barbara Barkhausen.

Es sei eine „großartige Nachricht", dass die Tiere überlebt hätten, meinte Atticus Fleming, ein Vertreter der Inselbewohner. Lord Howe Island sei ein wirklich „spektakulärer Ort". „Es ist älter als die Galapagosinseln und beherbergt 1600 einheimische wirbellose Arten, von denen die Hälfte nirgendwo sonst auf der Welt zu finden ist", sagte Fleming.

Aktuelle Hintergründe Bild der Woche Termine der Woche

Montag, 24. Oktober: Die 41. Konferenz der Antarktis­kommission CCAMLR beginnt. Bei dem zwölftägigen Treffen geht es um die Einrichtung wichtiger Meeres­schutzgebiete im Südpolar­meer. Das Vorhaben wurde bisher immer von China und Russland blockiert. Das „Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeres­schätze der Antarktis" wurde 1980 ins Leben gerufen. Der Kommission gehören 25 Staaten und die EU an.

Mittwoch, 26. Oktober: Die Vereinten Nationen stellen vor Beginn der Weltklima­konferenz in Ägypten ihren Bericht zu den Klimaschutz­plänen einzelner Länder vor. Der letzte Bericht aus dem Herbst 2021 war ernüchternd ausgefallen. Vom UN-Klima­sekretariat hieß es damals, dass die Nationen „ihre Klima­anstrengungen dringend verdoppeln müssen", wenn sie einen globalen Temperatur­anstieg über 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts verhindern wollen. Um das Ziel zu erreichen, müssten bis Ende dieses Jahrzehnts die Treibhausgas-Emissionen laut UN um 45 Prozent im Vergleich zu 2010 gesenkt werden. Die Zahlen vom vergangenen Herbst jedoch deuteten darauf hin, dass der Ausstoß 2030 um etwa 16 Prozent höher wäre als 2010.

In vielen Bundesländern stehen jetzt die Herbstferien vor der Tür - in der Heizperiode stecken wir ja schon. Für die Energiepolitik - und damit auch für die Klimapolitik - bleiben die Zeiten aber so oder so spannend. Wir halten Sie auch nächste Woche wieder mit dem Klima-Check-Newsletter auf dem Laufenden. Falls Sie Anregungen oder Kritik haben, melden Sie sich gern direkt bei unserem Redaktionsteam: Nachhaltige Grüße, Ansgar Nehls und Elena Everding klima@rnd.deDer Tag:Hauptstadt-Radar:Die Pandemie und wir:What's up, America?Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix und Co. - jeden Monat neu. Der USA-Newsletter liefert Hintergründe zu den Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur - jeden zweiten Dienstag. Die wichtigsten Nachrichten der Woche, Erkenntnisse der Wissenschaft und Tipps für das Leben in der Krise - jeden Donnerstag. Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungs­viertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags. Das Nachrichten-Briefing vom Redaktions­Netzwerk Deutschland. Jeden Morgen um 7 Uhr. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!

Donnerstag, 27. Oktober: Die Internationale Energieagentur (IEA) legt ihren Jahres­bericht vor. Darin untersucht die IEA unter anderem, ob die Energiekrise einen Rückschlag für die Umstellung auf saubere Energien bedeutet oder ein Katalysator dafür ist. Außerdem geht es um Risiken für die Energie­sicherheit auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen.


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