René Arbeithuber, Musiker und Künstler, gründete ein preisgekröntes Designbüro. Privat malt er und macht mit den Bands „Slut" und „Pelzig" seit über 25 Jahren Musik. Ein Gespräch über den Tiefsinn von Musik und Kunst.
Nichts findet statt in diesen Tagen der Quarantäne. Auch das Konzert von „Slut" für Mitte April ist abgesagt. René hatte mich zum Soundcheck eingeladen, ich hoffe auf ein nächstes Mal. Zum Interview treffen wir uns nur virtuell. Gemütlich sitzt René vor seinem Bildschirm, sein Arbeitszimmer im Hintergrund ist perfekt abgestimmt. Ein großes schwarzes Bild aus seiner Reihe „Saints" schmückt die Wand. Ich bin zu Gast bei einem Künstler und Musiker.
Jegliche Art des Ausdrucks, ob es die Musik oder die Malerei ist, hat für mich etwas Therapeutisches. Ich setze das nicht absichtlich therapeutisch ein, nach dem Motto: So, jetzt geht's mir schlecht, jetzt muss ich Musik machen. Es ist eher unterbewusst. Ich kann dadurch was loswerden und Dinge an andere kommunizieren. Deswegen bedeutet es mir ziemlich viel, Musik zu machen oder zu malen. In diesen Momenten ist alles um mich herum egal, dann gibt es nur das.
Das war schon immer klar, wenn ich zurückdenke. Meine Mutter hat schon immer gezeichnet. Dann habe ich auch angefangen zu zeichnen, vielleicht war das der ausschlaggebende Punkt. Nach der Schule wollte ich Designer werden. Ich musste aber einen Beruf lernen, ich hatte nur Mittlere Reife und konnte nicht sofort Design studieren. Ich habe mir das rausgesucht, was am nächsten dran ist und eine Ausbildung zum Schilder- und Lichtreklamehersteller gemacht.
Meine ersten eigenständigen Versuche, etwas Künstlerisches umzusetzen, war Graffiti Sprühen, Ende der 80er. Das war für mich ernster, als die Kunst in der Schule oder als zuhause etwas auf Papier zu kritzeln. Ich habe viel Zeit investiert Skizzen zu malen und habe versucht, mich zu verbessern. Natürlich gab mir das Sprühen auch einen Adrenalinkick. Egal ob es Musik oder Kunst war, der Coolnessfaktor musste schon recht hoch sein. Als Teenager war es mir wichtig, die Leute zu beeindrucken. Das wird mit der Zeit zum Glück etwas weniger, ganz aufhören tut es ja nie. Ich habe dann überlegt, ob ich so was auch beruflich umsetzen kann, aber mir war klar, dass ich nicht einer der zehn Graffitisprüher auf der Welt sein werde, die davon leben können. Ich wusste relativ schnell, dass ich studieren muss, um etwas mit Design machen zu können.
Als es losging mit der Musik, da war es pure Leidenschaft. Anfangs war es mir unwichtig, ob ich Gleichgesinnte finde, um eine Band zu gründen oder, ob es Leute gibt, die in meine Konzerte kommen würden. Das wurde im Laufe der Zeit wichtiger, aber die Leidenschaft ist nach wie vor da.
Das war saugeil (lacht). Es war eine Villa Kunterbunt für Erwachsene. Die Schwester von einem Freund hat das Inserat in der Zeitung gefunden und hat sich überlegt: Da könnte man ja eine große WG draus machen. Anfangs haben es alle belächelt. Dann sind wir zu Acht oder Neunt da eingezogen. Da es auf dem Land war, konnten wir in der Nacht irre laut Musik machen und es hat niemanden gestört. Ich hatte ein Atelier im Keller. Das war ein Hippiekommunen-Revival mit großen Kunstansprüchen. Wenn ich jetzt zurückdenke, frage ich mich, wovon wir gelebt haben. Ich habe keine Ahnung, wie und woher ich Geld hatte, um die Miete zu zahlen.
Nein, gar nicht. Wir konnten viel ausprobieren. Gerade für die Band war das super mit dem Proberaum im Keller. Wir haben viel experimentiert und viel Neues in kurzer Zeit erreicht. Auch für mich mit der Malerei war es gut, weil ich einen eigenen Raum hatte. Da wird man sehr produktiv.
Ich hatte zwei Semester studiert, da kam ein Angebot von Virgin Records. Das war ein Meilenstein für uns als Band. Wir haben uns das gut überlegt, denn so ein großes Label hat natürlich Erwartungen an die Künstler, die es unter Vertrag nimmt. Wir mussten auch Zugeständnisse machen und abrufbereit sein. Das macht man dann im besten Falle hauptberuflich. Wir waren auf einer Party in Eichstätt und haben bei einem Bier zu Fünft über unsere Zukunft beraten und beschlossen, dass wir das machen wollen. Ich habe ein Urlaubssemester genommen und dann noch eins. Nach einem Jahr Anlaufzeit ging es aber erst richtig los. Das Album war produziert, wir haben Interviews gegeben und sind viel rumgefahren. Dann hab ich mich exmatrikulieren lassen.
Zwischen Songs schreiben, proben und auf Tour gehen, gab es noch viel Zeit zwischendrin. Da hat jeder aus der Band für sich angefangen, wieder eigene Dinge zu verfolgen. Ich hatte mit meinen Graffitikumpels die Idee, ein Designbüro zu gründen. Bei einem Bier in der Kneipe haben wir uns gefragt: Ja worauf warten wir eigentlich noch, gründen wir doch einfach ein Büro (lacht). Wir hatten anfangs gar kein eigenes Büro, sondern jeder hat in seinem Homeoffice gearbeitet. Wir haben uns einen Firmennamen überlegt, eine GbR gegründet und einfach losgelegt. Das war 2003. Meine Kollegen wussten, wenn ich nicht da war, war ich Musik machen.
Wir hatten Glück. Virgin war zwar ein großes Label und erwartete natürlich, dass wir Zeit investierten. Am Ende geht es auch ums Verkaufen. Musikalisch hat uns aber niemand reingeredet. Es gab keine Begrenzungen oder das Gefühl, dass sich jemand in den kreativen Prozess eingemischt hätte. Sonst hätten wir sofort die Reißleine gezogen. Für uns war immer klar: So, wie wir es wollen, oder gar nicht. Dadurch, dass das Musikmachen plötzlich zum Hauptberuf wurde, hatten wir auch die Legitimation, noch mehr Zeit reinzustecken. Diese Zeit ist in viele klangliche Experimente geflossen. Für das erste Album waren wir ein halbes Jahr im Studio. Das ist heute undenkbar, allein schon finanziell. Wir haben jeden Ton dreimal umgedreht, nachts Geräte umgesteckt und Sounds ausprobiert. Obwohl es ernster wurde, hat es der Gaudi keinen Abriss getan.
Ich glaube, wenn man wirklich hauptberuflich Musiker oder Künstler sein möchte und auch davon leben will, kommt früher oder später die Situation, in der man sich verbiegen muss. Außer man ist dazu auch noch ein Lebenskünstler und braucht nicht viel. Für mich persönlich war irgendwann klar, ich kann davon nicht leben. Ich müsste wahnsinnig viele Auftragsarbeiten annehmen, worauf ich aber keinen Bock hatte. Ich will das machen, was ich mir vorstelle. Damit war klar, dass ich arbeiten gehen muss. Für mich ist aber nicht nur derjenige ein Künstler, der sich zu 100 Prozent der Kunst widmet und nichts anderes macht. Und wenn man nur alle zwei Wochen ins Atelier geht, die Frequenz entscheidet nicht über die Qualität.
Das hat Vor- und Nachteile. Wenn ich nur Künstler wäre und davon leben könnte, das wär die Idealvorstellung. Klar, ich hätte gerne in Frankreich eine Villa, stehe im Bademantel in meinem Atelier und pinsele. Dann kommt der Galerist und reißt mir das Kunstwerk aus der Hand. Und abends kommen die Freunde vorbei mit Weinflaschen... Das ist natürlich super, aber ein Job, mit dem ich meinen Lebensunterhalt verdienen und die Kunst finanzieren kann, macht mich unabhängig. Ich kann als Künstler machen, was ich will, ich bin nicht darauf angewiesen, was zu verkaufen. Nachteil ist, dass man weniger Zeit hat. Das künstlerische Voranschreiten verlangsamt sich durch einen nine-to-five Job. Wenn man wirklich mit Leidenschaft dahintersteht, kann man sich die Voraussetzungen schaffen und beides vereinbaren.
Da kann ich eher was lernen. In Sachen Social Media sind heute alle super fit. Sie machen eine one-man show, sind Musiker, Marketing und Manager in einer Person. Mein vielleicht etwas spießiger Rat wäre: Nicht durchdrehen! Egal, ob man kurzzeitig Erfolg hat oder ob sich der Erfolg erst mal nicht einstellt. Es mit Leidenschaft machen, aber am Boden bleiben, ruhig bleiben. Manchmal ist man seiner Zeit voraus und der Erfolg kommt später. Wenn man etwas erzwingen will, dann wird es meistens nichts.
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast!