Aufgezeichnet von Dmitrij Kapitelman
Wartenummer: Bis zum persönlichen Gespräch im Jobcenter kann es dauern
Er studierte Marx und fand keinen Job, nun betreut er selbst Arbeitslose. Ein Jobcenter-Mitarbeiter erzählt anonym, warum er mit seinem Beruf fremdelt: Er muss Jobsuchende "Kunden" nennen und dennoch oft wie Nummern behandeln.Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll" erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.
"Es ist im Grunde eine Ironie des Schicksals, dass ich als Persönlicher Ansprechpartner (pAp) in einem Jobcenter im Ruhrgebiet arbeite und mich unter anderem darum bemühe, Menschen einen Job zu verschaffen. Nach meinem Studium der Kulturanthropologie war ich nämlich auch etliche Monate arbeitslos. Warum? Weil ich mir an der Uni zwar viele Gedanken über philosophische Theorien gemacht hatte, aber zu wenige über meine berufliche Zukunft.
Im Jobcenter bekam ich damals einen ambitionierten Bearbeiter, der mich jede Woche einbestellte. Ich sollte ständig nachweisen, dass ich mich um Arbeit bemühe und Bewerbungen schreibe. Nach einem halben Jahr fragte mich mein pAp, ob ich nicht auch auf der anderen Seite des Tisches Platz nehmen wolle. Weil ich nach etlichen Absagen Angst hatte, längerfristig arbeitslos zu sein, nahm ich das Angebot an.
Seitdem beginnt mein typischer Arbeitstag gegen acht Uhr morgens damit, dass ich meinen klapprigen Fujitsu-Rechner hochfahre und nebenbei mein Pflänzchen gieße, das mir eine Kollegin zum Einstand geschenkt hat. Es ist der einzige persönliche Gegenstand, den ich meinem grauen Amtszimmer hinzugefügt habe - ich bin 26 Jahre alt und eigentlich nicht ins Jobcenter gekommen, um lange zu bleiben.
Ein Leben gerettet
Wenn mein Computer hochgefahren ist, kommen schon bald die ersten Arbeitslosen, die wir "Kunden" nennen. Ich mag den Kontakt mit ihnen, aber die Gespräche sind sehr anstrengend und belastend. Zum einen, weil sich einige Menschen gegen jede Vermittlung sperren. Zum anderen, weil ich sie oft in schlecht bezahlte Fließband- oder andere stupide Jobs drängen muss. Ich habe mich während des Studiums intensiv mit Karl Marx beschäftigt. Der würde hier ausrasten.
Der Job als pAp kann sehr deprimierend sein, aber ich erlebe auch Höhepunkte. Kürzlich kam ein verschüchterter Mann zu mir ins Büro, der wegen Drogenbesitzes im Gefängnis gesessen hatte und frisch entlassen war. Der besaß praktisch gar nichts, außer den Kleidern, die er am Leib trug. Er brauchte ganz schnell einen Job und ein neues Umfeld, um nicht erneut ins kriminelle Milieu abzurutschen. Ich habe eine Umschulung für ihn organisiert. Nun ist er auf Montage und verdient richtig gut Geld. Kürzlich rief er an und sagte, dass ich sein Leben gerettet hätte.
Gefreut habe ich mich auch über die Entwicklung eines ehemaligen Tiefbau-Facharbeiters, der seinen Job wegen kaputter Knochen nicht mehr machen konnte. Mein Chef wollte den Mann ins erstbeste Callcenter setzen, aber ich half dem Kunden, seinen großen Traum zu verwirklichen: Theaterkurse für Kinder geben. Jetzt arbeitet er selbstständig und hat sich kürzlich bei mir dafür bedankt, dass ich mich nicht meinem Chef gebeugt und ihm Zeit verschafft habe, um sein Projekt aufzubauen. Das sind so Momente, in denen ich denke, dass ich richtig bin in diesem Job. Aber diese Momente sind eher selten.
Am meisten stört mich an meiner Arbeit die Allmacht der Zahlen. Die Vermittlungsquote muss stimmen. Es geht zu sehr um Statistiken - und nicht um die Menschen. Wobei ich sagen muss, dass einige meiner Kunden mich auch frustrieren, besonders die, die nichts tun, um ihre Lage zu verbessern. Da gibt es einige, die uns pAps nicht respektieren und nur irgendwelche Sonderleistungen verlangen. Solchen Klienten möchte ich manchmal entgegenschmettern: "Antrag abgelehnt! Raus aus meinem Büro, du Idiot!"
Ich habe echt keine Lust zu verbittern
Bald entscheidet sich, ob mein Vertrag verlängert wird. Meine Chefs würden mich ganz gern behalten, weil ich gut kann mit den Kunden. Ich glaube, das liegt auch an meinem Studium, in dem ich viel über die Menschen gelernt habe. Ich bin mir als Akademiker auch nicht zu fein für diesen Beruf. Gerade die Integration der ökonomisch Schwächsten ist eine gesellschaftlich sehr relevante Aufgabe.
Aber ich befürchte, dass ich einfach zu sensibel für den Job als pAp bin. Manche Fälle begleiten mich bis in den Schlaf, und ich habe echt keine Lust zu verbittern. Deshalb tendiere ich momentan dazu, wieder zu studieren. Ich könnte mir Wirtschaftsethik vorstellen.
Klar ist aber, dass mir die Arbeit im Jobcenter sehr viel gegeben hat. Ich bin sicherer im Umgang mit Menschen geworden. Früher saß ich mit Kommilitonen stundenlang in der Bibliothek herum und führte abgehobene Diskussionen über Descartes und Kant. Als pAp löse ich Probleme nun im besten Fall nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch."