© AFP Geht's noch? Lance Stephenson
Spieler des Auswärtsteams bei ihren Freiwürfen abzulenken ist bei NBA-Fans längst eine Sportart für sich. Buhen, Trommeln, mit Gummihämmern wedeln - das gehört dazu, aber eigentlich ist dies etwas für Amateure. Wenn zum Beispiel der pummlig wirkende Glen Davis, Forward der Orlando Magic, an die Freiwurflinie geht, hält das Publikum Cheeseburger und Coupons einer einschlägigen Fast-Food-Kette in die Luft. Alles Spaß, versteht sich. Doch was die Anhänger der Indiana Pacers vergangenen Samstag Joe Johnson entgegenriefen, war um einiges ernster: „You're not an All-Star!" - Du bist kein All-Star, skandierten sie wütend. Johnson, Shooting Guard der Brooklyn Nets, war wenige Stunden zuvor in den Kreis der besten Basketballspieler der Ostküste berufen worden für das All-Star Game an diesem Sonntag in New Orleans. Pacers-Spieler Lance Stephenson, der eine phänomenale Saison zeigt, wurde dagegen nicht nominiert. Dass Stephenson nicht zum Schaulaufen der Besten der nordamerikanischen Basketball-Profiliga eingeladen wurde, erzürnt nicht nur die Anhänger der Pacers. Der legendäre Larry Bird, Stephensons Mentor, schimpfte: „Lance wurde um etwas beraubt, was er absolut verdient hatte." Auch NBA-Legende und TV-Experte Charles Barkley übte Kritik: „Wie kann man Stephenson ignorieren? Das muss ein schlechter Witz sein."
Die größte Anerkennung, die ein NBA-Spieler in seiner Karriere erreichen kann, ist die Aufnahme in die Ruhmeshalle seines Sports, in die Hall of Fame. Gleich danach folgt der Status eines All-Stars. Für einen Spieler ist dieses Prädikat beinahe so prestigeträchtig wie eine gewonnene Meisterschaft. Ein All-Star-Status steigert den Marktwert des Spielers. Ein All-Star geht ganz anders in Vertragsgespräche. Stephensons Kontrakt läuft Ende dieser Saison aus. Er spielt gerade um den ersten großen Vertrag seiner Karriere. Ein weiterer Grund, weshalb seine Nicht-Nominierung wie eine bewusste Karrierebremse durch die NBA wirkt.
Stephenson ist zurzeit der wohl vielseitigste und produktivste Spieler der Liga. Er führt die NBA in der Königsdisziplin an, den Triple Doubles. Vier Mal schaffte es der 23-Jährige in dieser Saison, in den Kategorien Rebounds, Assists und Punkten zweistellige Werte zu erreichen. Die Superstars LeBron James (Miami) und Kevin Durant (Oklahoma) kommen gemeinsam auf zwei Triple Doubles. Dwayne Wade (Miami) vollbrachte dieses Kunststück überhaupt erst vier Mal in seiner Karriere.
© AP Egal wie der Gegner heißt: Stephenson bereitet ihm große Probleme
James ist ein All-Star, Durant und Wade sind All-Stars, sie werden auch in New Orleans wieder spielen. Warum wird Stephenson der Zutritt in diesen exklusiven Zirkel verwehrt? Die Nominierung für das All-Star Game besteht aus zwei Phasen. Die Startaufstellung der Ost- und Westküste bestimmen die Fans per Internetvoting. Wer die meisten Stimmen sammelt, darf spielen. Dieses Popularitätsprinzip führte dieses Jahr dazu, dass Kobe Bryant von den Los Angeles Lakers in die Startaufstellung gehievt wurde - obwohl Bryant in dieser Saison verletzungsbedingt nur sechs Spiele absolvierte. Und diese auch nicht besonders überzeugend. Das ist nicht fair, aber auch kein Politikum, das Publikum stimmt nun einmal ab. In der zweiten Phase bestimmen allerdings die Trainer der NBA, wer als Reservist ebenfalls mitwirken darf. Hier geht es nicht um Sympathie, hier zählt einzig die Leistung. Oder etwa nicht?
Stephenson hat das Basketballspielen auf den rauhen Freiplätzen New Yorks erlernt. Er gilt als problematischer Charakter: egoistisch, undiszipliniert, unkontrollierbar. Sein schlechter Ruf hätte beinahe eine Profikarriere verhindert, keine High School wollte den Sturkopf aufnehmen. Stephenson provoziert seine Gegner, er ist ein „Trashtalker" par excellence. Als LeBron James, der selbsternannte König der Liga, im vergangenen Play-off-Halbfinale an die Freiwurflinie trat, stand Stephenson von der Ersatzbank auf, legte die Hände um den eigenen Hals und begann zu würgen. Die Botschaft an James: Junge, dir geht die Puste aus. Prompt warf James daneben, die Fans jubelten. Doch die NBA sieht es überhaupt nicht gern, wenn ihr Aushängeschild so diskreditiert wird. Die Liga, die chronisch darum bemüht ist, sich als harmlose Unterhaltung für die ganze Familie darzustellen, merkt sich dieses Verhalten. Dass Stephenson nun beim All-Star-Spiel zuschauen muss, dahinter steckt auch eine Botschaft: dass eben nicht allein die Leistung zählt, sondern auch Vermarktbarkeit und soziale Konformität.
© AFP Am Boden zerstört nach der Nicht-Nominierung? Stephenson will noch besser spielen
Stephenson ist und bleibt eine 1,96 Meter große Unangepasstheit. Nach gelungenen Spielzügen führt er gerne ein Tänzchen vor. Ein sehr unterleibsbezogenes Tänzchen. Als sein Trainer Frank Vogel darauf angesprochen wurde, dass Stephenson der All-Star-Zutritt verwehrt blieb, sagte Vogel: „Ich kann nicht nachvollziehen, was da passiert ist. Ich habe Lance nur geraten, in Zukunft vielleicht auf die Tänzchen zu verzichten." Und Stephenson selbst? „Ich habe bisher schon so gespielt, als könnte mir niemand etwas anhaben", sagte er selbstbewusst und drastisch, „aber ab jetzt werde ich jeden töten, der mir im Weg steht." Er wird weiter tanzen.