Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Statt Adresse: Drei Worte bringen Dich ans Ziel

Die Plieninger Straße gibt es fünf Mal im Umkreis von zehn Kilometern.

Adressen sind nicht gemacht für das digitale Zeitalter. „Unter den Linden 77 in Berlin" bringt jeden ans Ziel. Doch in Zukunft genügen Straße und Hausnummer nicht mehr.


„Nicht Plieninger Weg 10 in Filderstadt, ich wohne in Ostfildern", beschwert sich der Kunde telefonisch beim Pizza-Dienst. Der Fahrer irrt seit über 60 Minuten durch die schwäbische Provinz und findet die richtige Adresse nicht. Die Plieninger Straße gibt es laut Straßen-in-Deutschland.de sechs Mal. Allein fünf Mal in einem Radius von zehn Kilometern um den Stuttgarter Flughafen. Nicht so einfach für Pizza-Boten und Taxifahrer.

Straße und Hausnummer sind viel zu ungenau.

„Unser Adresssystem wird den Anforderungen nicht mehr gerecht", sagt Clare Jones, Gründerin des Start-ups What3Words aus London. Ihr Lieblingsbeispiel ist die Church Road, die es 14 Mal in der britischen Hauptstadt gibt. Aber ihr fallen noch weitere Beispiele ein: Große Gewerbegebäude haben eine Anschrift, aber oft mehrere Eingänge. Wie findet man das Pop-up-Restaurant im Hinterhof, die Freunde zum Picknick am Strand oder die bei Airbnb gemietet Hütte im Wald? Wie beschreibt man dem Pannendienst seinen Standort am Rande einer einsamen Landstraße? Auch auf kommende Herausforderungen wie Lieferungen per Drohne auf dem Rasen hinter dem Haus ist unser Adresssystem nicht ausgelegt. Straße und Hausnummer sind viel zu ungenau. Die Antwort heißt: What3Words. Das britische Unternehmen teilt den Erdball in 57 Billionen Quadrate auf. Jedes dieser Vierecke ist drei Quadratmeter groß. Damit ist jedes Gebäude, jeder Berg und jedes Stück Meer auf dem Planeten präzise erfasst.

Mit Koordinaten kann niemand etwas anfangen

Natürlich lässt sich jede Adresse über Längen- und Breitengrade exakt angeben. Doch wenn man jemandem sagt, "Komme zu 53°10´38,1" Nord und 10°12´41,9" Ost", werden nur wenige damit etwas anfangen können. Für Menschen sind Worte die natürlichste Kommunikationsform. Darum hat What3Words jedem Quadrat einen Namen gegeben. Der besteht aus drei Wörtern. Meine Büroadresse in einem Hamburger Hinterhof lautet zum Beispiel: Presse.Auszüge.ablehnte.

Das System funktioniert aktuell in 14 Sprachen. Im Englischen lautet meine Adresse caskets.bands.booth und im Spanischen hubiera.peluqueros.acompañó. So finden Ausländer in ihrer Sprache problemlos mein Büro. Umgekehrt funktioniert es genauso. Als Deutscher kann man What3Words rund um den Globus mit deutschen Word-Kombinationen benutzen. Die Gründer suchten 40.000 Begriffe aus dem Wörterbuch, denn das ergibt in Dreier-Gruppen 64 Billionen mögliche Kombinationen, 57 Billionen werden nur gebraucht.

Clare Jones, die einen Geographie-Abschluss der Universität Cambridge besitzt, stieß 2015 zum Team. Begonnen hat alles zwei Jahre zuvor: Chris Sheldrick arbeitete als Booker in der Musikbranche. Die Bands fanden oft die Seiteneingänge der Londoner Clubs nicht, Instrumente und Ausrüstung gingen bei Transporten verloren. Gemeinsam mit dem Mathematiker Mohan Ganesalingam und dem Sprachexperten Jack Waley-Cohen gründete er What3Words.

Auch die Bahn glaubt an das Start-up

Die britische Metropole ist ein perfekter Ausgangsort für ein neues Adresssystem. Im Stadtgebiet existieren viele Doppelungen und ähnlich klingende Straßennamen. Um Zweifler zu überzeugen, schickten die Gründer zwei Boten des Diensleisters Quiqup mit 20 Sendungen auf Motorrollern durch London. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Der Fahrer mit den Drei-Wort-Adressen war zwei Stunden früher mit seinen Auslieferungen fertig. Das überzeugte weitere Unternehmen: Ab 2018 integriert Daimler What3Words in das Navi seiner Fahrzeuge. Der Fahrer sagt: „Bring mich zu Zeichnung.ehrlich.Turm." Damit wird er zum Berliner Reichstag gelotst. Land Rover nutzt das Adresssystem in einer App für Offroad-Touren durch das Atlasgebirge im Nordwesten Afrikas oder über Sanddünen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch die Deutsche Bahn glaubt an das System und investierte in das Start-up. Seit Ende August steht am Eingang der Berliner Konzernzentrale am Potsdamer Platz 2 eine weitere Adresse: lebendig.webseite.auflösen.

Eine eigene Adresse auch im Township

„Das Beste ist, unser System funktioniert auch offline", sagt Clare Jones. Die App, gerade mal 60 Megabyte groß, arbeitet nicht mit einer Datenbank, sondern mit einem Algorithmus. Ein Anwender kann ohne Datenverbindung seine Position mithilfe des GPS-Chips im Smartphone ermitteln. Der Algorithmus macht den Rest und spuckt drei Wörter aus. In Katastrophengebieten, die beispielsweise von einem Hurrikan getroffen wurde, gibt es keine Straßenschilder und Hausnummern mehr. Die Koordination der Rettungs- und Wiederaufbau-Arbeiten wäre mit What3Words einfacher. Jones berichtet von einem Projekt in Südafrika: Im Township Kwandengezi bei Durban leben 54.000 Menschen in tausenden Hütten ohne Hausnummer und Straßennamen, also ohne Anschrift. „Kommt es bei Hausgeburten zu Komplikationen oder gibt es Verletze, dauerte es mitunter Stunden, bis ein Arzt die Adresse findet", sagt Jones. Gemeinsam mit dem Gateway Health Institute versah What3Words alle Hütten mit einem Adressschild. Weltweit leben schätzungsweise 890 Millionen Menschen in derartigen Elendsvierteln.

So ist das Unternehmen bislang in Regionen am erfolgreichsten, in denen das klassische Adresssystem lückenhaft ist. 2016 übernimmt die Mongol Post das Drei-Wort-System. Die Mongolei in Zentralasien ist flächenmäßig rund viereinhalb mal so groß wie Deutschland, bei nur drei Millionen Einwohnern. Da gibt es viele entlegene Häuser ohne genaue Adresse. In der Hauptstadt Ulaanbaator tragen inzwischen die Bushaltestellen eine Drei-Wort-Adresse. Weitere Post- und Logistik-Unternehmen in Nigeria, Dschibuti, der Elfenbeinküste sowie auf den Inseln Tonga, Salomonen und Sint Maarten verwenden What3Words.

Ähnliche Namen liegen weit auseinander

Das britische Start-up ist inzwischen auf 40 Mitarbeiter an drei Standorten gewachsen. Geld verdient What3Words mit der Vergabe von Lizenzen zur kommerziellen Nutzung. Wunschadressen für Unternehmen und Marken wäre sicher eine funktionierende Einnahmequelle, doch die 57 Billionen Quadrate sind bereits benannt. Damit es zu keinen Verwechselungen kommt, liegen Quadrate mit ähnlichen Wortkombinationen möglichst weit von einander entfernt, am besten auf unterschiedlichen Kontinenten. Dass die Adressen im Deutschen allerdings nicht ausschließlich aus Substantiven und Verben im Infinitiv bestehen, irritiert ein wenig. Aber wenn dadurch die Pizza bei der nächsten Bestellung schneller und vor allem heiß ankommt, soll es einem recht sein.

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