Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

7 Abos und 1 Abonnent
Artikel

Nest & Co: So wird Euer Zuhause zum Smart Home

Smart Home ist kein neues Thema: Heimautomation beschäftigt Geräte-Hersteller schon etliche Jahre. Doch der App-Boom auf mobilen Geräten verleiht der komfortablen Fernsteuerung von Haushaltsgeräten neuen Schwung.

Es könnte so einfach sein: Vor der Rückkehr aus dem Wintersport-Urlaub schon mal daheim die Heizung hochdrehen. Morgens noch vor dem Aufstehen die Kaffeemaschine einschalten. Mit einem Blick auf das Smartphone kontrollieren, ob sich der Gang in den Keller zur Waschmaschine bereits lohnt. Das sind drei Szenarien für Smart Home-Anwendungen.

„Es geht um mehr Komfort, Sicherheit und im Idealfall auch Kostensenkungen im eigenen Haushalt", beschreibt Dr. Bernd Kotschi die Vorteile für Anwender. Der Unternehmensberater aus Wiesbaden bündelt in der jährlich erscheinenden Smart-Home-Studie Pläne und Erwartungen von Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zur Hausautomation.

Nest-Übernahme von Google beflügelt das Thema Smart Home

Dass diese Technik nicht mehr nur etwas für Bastler und Frickler ist, unterstreicht die angekündigte Übernahme von Nest Labs durch Google für stolze 3,2 Milliarden Dollar. Das vier Jahre alte Unternehmen verkauft in den USA smarte Thermostate und Rauchmelder.

In den USA lassen etliche Startups ihrer Fantasie in Sachen Smart Home freien Lauf. Beispielsweise bietet Enblink eine Steuerung von Licht, Sicherheitssensoren und Web-Cams per Sprache über den Fernseher. Das funktioniert bislang nur per Google TV. Der Nutzer steckt einen USB-Stick (85 Dollar) an seine Settop-Box oder den Fernseher, dann reagieren Haushaltsgeräte auf Sprachkommandos wie „Mach das Licht in der Küche aus." Verbinden lassen sich sämtliche Geräte mit passendem Zwischenstecker oder einem Z-Wave Funkmodul.

Haushaltsautomation in Deutschland: RWE und Deutsche Telekom vorne dabei

Auch in Deutschland betreten Dank des enormen Erfolgs von Apps große Unternehmen wie RWE und Deutsche Telekom den Markt. Dabei ist Haushaltsautomation hierzulande kein neues Thema: Der knx-Standard existiert seit etlichen Jahren, doch scheuen Mieter und Bauherren das Verlegen von extra Kabeln für Steuerbefehle. Da haben Apps, die Befehle per Funk übertragen, enorme Vorteile.

Beim Thema Funk darf die Telekom nicht fehlen und so initiierten die Bonner das Projekt Qivicon. Auf der Plattform mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen bündelt das Unternehmen Angebote ihrer 25 Partner, darunter eQ-3, Miele, Samsung, EnBW und Belkin. Da man dem Kunstnamen wohl selbst nicht ganz traut, werden Starter-Kits und Zubehör auch unter der gängigen Adresse Smarthome.de vertrieben.

Connected Home: Stromversorger und Internetprovider bringen sich in Stellung

Ein Starter-Set enthält eine Funkzentrale, die so genannte Home-Base. Sie wird per LAN-Kabel mit dem heimischen Router verbunden und übermittelt die Befehle per Funk an die Geräte. Empfänger sind Heizkörperthermostate, Rauchmelder, Fenster- und Türkontakte sowie Zwischenstecker für die Steckdose. Damit kann man eine Stehlampe oder die Kaffeemaschine einschalten. Zudem messen diese Stecker den Stromverbrauch und identifizieren so Stromfresser im Haushalt. Die Starter-Sets bieten einen guten Einstieg, um die Heizung automatisch zu drosseln, falls noch ein Fenster offen ist oder für Lichtszenarien, egal ob der Bewohner nun zuhause ist oder nur diesen Eindruck vermitteln möchte.

Neben der Telekom bieten auch Energieversorger wie EnBW und RWE Starter-Sets an. Auch Telefon- und Internetanbieter Kabel Deutschland möchte seine Kunden für das Thema begeistern. Das Unternehmen bietet in seinem Webshop unter anderem Steuerelemente des ostfriesischen Spezialisten eQ-3 an. Als Schaltzentrale dient bei Internet-Kunden die Home Box 6360, besser bekannt unter dem Namen Fritz-Box. Dieses Gerät ist deutschlandweit tausendfach im Einsatz, egal ob an einem Kabel- oder DSL-Anschluss. Die Fritz-Box vereint Telefonanlage, Modem und WLAN-Router in einem Gerät. Das dazugehörige Betriebssystem nennt der Berliner Hersteller AVM konsequenterweise Fritz-OS. Seit der Version 5.5 enthält es den Menüpunkt Smart Home. Über Zusatzstecker (Fritz-DECT 200) kann der Nutzer Elektrogeräte nach Zeitvorgaben oder per App schalten.

Bislang keine Einigkeit beim Funkstandard

Der kleine Zusatz DECT beim Stecker verdeutlicht das Dilemma. Er herrscht bislang keine Einigkeit beim Funkstandard. Die einen nutzen DECT, was man vom kabellosen Heimtelefon kennt, aber auch WLAN, Eoncean, Zigbee und Z-Wave kommen zum Einsatz. Jedes System hat seine Vorteile, doch kann der Anwender nicht nach Belieben unterschiedliche Empfänger kombinieren. Außerdem wird es eng am Router, denn jedes funkgesteuerte System belegt einen Ethernet Anschluss (RJ-45) für den Sender, das so genannte Gateway. Wer beispielsweise Funklautsprecher von Sonos nutzt, schließt hier eine weißes Kästchen an, gleiches gilt für die Lichtsteuerung Hue von Philips. Wer seine Heizung bereits über Tado steuert, muss ebenfalls ein Gateway an den Router anschließen. Aus der Kombination von Aufenthaltsort der Bewohner sowie Wetterbericht passt das System die Heizleistung genau den Bedürfnissen an. So spart man Energie. Den Tado-Raumthermostat kann man kaufen (299 Euro) oder mieten (99 Euro / Jahr). Beim Mietmodell gibt der Münchner Anbieter im ersten Jahr eine Einspargarantie in Höhe von 120 Euro.

Doch das Durcheinander der Sender bei unterschiedlichen Anbietern bleibt. Darum vereint die Telekom bei Qivicon alles in ihrer Home Base. Das Gerät wird mit dem Router verbunden und überträgt sämtliche Funkbefehle gebündelt an die Empfänger. Lediglich für die Steuerung benötigt der Nutzer von jedem Geräte-Hersteller eine separate App. Somit sieht Branchenexperte Kotschi einen Wettbewerb der Meta-Apps auf die Verbraucher zukommen. Auf Dauer werden Verbraucher Insellösungen nicht akzeptieren. Bislang lassen sich die Systeme nicht miteinander kombinieren, also zum Beispiel ein Lichtsignal im Wohnzimmer aktivieren, wenn die Waschmaschine fertig ist. „Mit einem Durchbruch zum Massenmarkt rechnen die Hersteller daher erst ab 2017", weiß Dr. Kotschi.

Erst wenn die Anbieter Hilfslösungen wie Zwischenstecker hinter sich lassen und jede Waschmaschine, Lampe und Kaffeemaschine mit einem Funkmodul samt IP-Adresse ausstatten, wird das smarte Heim auf breiter Front Realität. Daher geht die Digitalstrom AG einen anderen Weg. Ihre winzigen Steuerungschips (4 x 6 mm) werden direkt ins Gerät, den Kippschalter im Stromkabel oder als Lüsterklemme unter Putz eingebaut. Die Steuerbefehle laufen über die vorhandene 230 Volt-Stromleitung. Die Gegenstücke, der Digitalstrom-Server und -Meter, stecken im Sicherungskasten. Beide Elemente haben die Größe einer klassischen Sicherung. Sie leiten Steuerbefehle über die Stromleitung an die Geräte, addieren den Stromverbrauch aller angeschlossenen Geräte und schlagen eine sichere Brücke ins Internet. Die Verbindung zum Router kann per Powerline-Technik ebenfalls über die Stromleitung erfolgen.

Lampe über iPad dimmen, Bügeleisen per iPhone ausschalten

Dank offener Schnittstellen kann der Nutzer auf dem kleinen Linux-Server im Sicherungskasten weitere Anwendungen von Entwicklern installieren. „Unser System ist offen und flexibel angelegt", betont Martin Vesper, CEO der schweizer Digitalstrom AG. In das System lassen sich auf Wunsch Lichtsteuerung, Sicherheit (Alarmanlage, Feuermelder), Schatten (Jalousien, Markisen) sowie Komfort (Türklingel, Unterhaltungselektronik) einbinden. Die Geräte lassen sich auch kombiniert steuern. Der gesprochen Satz „Zeige die letzte aufgenommene Folge von House of Cards" bei der iPad-Sprachsteuerung sorgt dafür, dass die Lichter im Wohnzimmer gedimmt werden, Fernseher und Festplattenrekorder sich einschalten und mit der Wiedergabe beginnen.

„Nur für das Dimmen einer Lampe, zum iPad oder iPhone zu greifen und unsere App zu aktivieren, ist den meisten Menschen zu kompliziert", ist Vesper überzeugt. Für einfache Befehle ist der Schalter an der Wand schneller.

Doch der klassische Kippschaler kennt nur „An" oder „Aus". Darum setzt Digitalstrom auf handelsübliche Taster. Die kann man ein-, zweimal oder lange drücken. So lassen sich Leuchtmittel dimmen aber auch Beleuchtungsszenarien wie „Essen", „Lesen" oder „Entspannen" für einen Raum aktivieren. Der Taster neben der Eingangstür kann so geschaltet werden, dass langes Drücken sämtliche Lampen und elektrischen Geräte beim Verlassen der Wohnung abschalten. Das versehentlich angelassene Bügeleisen gehört somit der Vergangenheit an.

Zum Original