Dirk Bathe

Journalist, PR-Fachmann, Köln/Friedrichsdorf

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Artikel

Ein Marshallplan für Syrien

Gastkommentar für die Mittelbayerische Zeitung

Bürgerkrieg

Der Bürgerkrieg hat das Land an den Abgrund geführt - und es eine Billion US-Dollar gekostet. Der Wiederaufbau geht alle an. Von Dirk Bathe

Dirk Bathe ist Medienreferent World Vision Deutschland.

Berlin.Die Kosten eines Krieges zu bemessen, mag zunächst zynisch klingen. Das gilt auch für Syrien. Was sagen Zahlen über Schäden, über entgangenes Wirtschaftswachstum und künftige Kosten über das Leid der Menschen aus. Über mindestens 250 000 Todesopfer, darunter bis zu 19 000 Kinder?

Unser Bericht „costs of war", der jetzt veröffentlicht wurde, beziffert diese Kosten auf eine Billion US-Dollar, wenn der syrische Bürgerkrieg bis spätestens 2020 nicht beendet wird. Und davon ist realistischerweise wohl auszugehen. Eine Billion - eine unfassbare Summe. Wie setzt sie sich zusammen? 275 Milliarden US-Dollar kommen zusammen, wen man in Betracht zieht, wie sich die syrische Wirtschaft entwickelt hätte, gäbe es diesen Krieg nicht. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf ist in Syrien seit Beginn der Auseinandersetzungen um 45 Prozent eingebrochen. Produktion, Handel, Dienstleistungen: Alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens sind betroffen. Dazu kommen die direkten Schäden an der Infrastruktur, an Straßen und Energieversorgung und durch die Zerstörung von Wohnhäusern, Krankenhäusern, Schulen, Fabriken.

Hinter diesen Zahlen steckt ein anderes, nicht so offensichtliches Gesicht des Krieges. Opfer der Waffengewalt sind eben nicht nur die Toten unter den Trümmern der Häuser, die Erschossenen in den Straßen, die zerfetzten Leiber in den Krankenhäusern. Auch die Überlebenden sind Opfer. Männer und Frauen, die kein Einkommen mehr haben, die hungern und ihre Kinder nicht versorgen können. Junge Leute, die keine Schule mehr besuchen können, weil es diese Schulen nicht mehr gibt. Keine Schule, kein Beruf, keine Perspektive. Viele Kinder und Jugendliche sind traumatisiert. Sie brauchen psychologische Hilfe - die es schlicht nicht gibt. Die „verlorene Generation" ist kein Schlagwort, sie ist Realität.

Ein weiterer großer Teil sind die Kosten des Wiederaufbaus. Auch hier kommen Milliarden zusammen - Summen, die das kriegsgebeutelte Land auch nach einem Ende der Kampfhandlungen allein gar nicht schultern kann. Auch wenn nicht ganz Syrien in Trümmern liegt - es wird an finanziellen und materiellen Möglichkeiten fehlen, das Land wieder aufzubauen. Syrien nach einem Ende des Krieges sich selbst zu überlassen hieße, Chaos und neuer Gewalt freie Bahn zu lassen. Und sich vor der Verantwortung zu drücken. Wenn das Land eine friedliche und in Ansätzen demokratische Perspektive haben soll - und andere Optionen sind nicht akzeptabel - dann muss ein Marshallplan für Syrien entwickelt werden.

Anrainerstaaten und einflussreiche Regionalmächte wie Saudi-Arabien und Iran müssen in einen solchen Plan ebenso einbezogen werden wie Russland, die USA und die EU. Ziel muss es sein, eine finanzielle und politische Stabilität in Syrien und in der Folge auch in der Region zu schaffen.

Die Gegenwart sieht anders aus. In Syrien und den Nachbarländern leben Millionen Flüchtlinge unter unsagbar schlechten Bedingungen. Ihre Lebensverhältnisse zu verbessern, sie in Schulen zu unterrichten und beruflich auszubilden ist ein wichtiger Schritt in Richtung Wiederaufbau des Landes. Denn nur mit motivierten und qualifizierten Rückkehrern (auch aus der EU) wird es gelingen, Syrien wieder zu einem Land mit Zukunft zu machen.

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