Von Dennis Grabowsky
Büffeln für den Titel: Studiert, promoviert - und abgelehnt
Obwohl sie einen Doktortitel hat, ist Andrea Wagner von ihrem Traumjob weit entfernt: Weil sie überqualifiziert sei, bekommt sie auf Bewerbungen nur Absagen. Ein Grund, die Promotion zu verheimlichen?Andrea Wagner* wirkt erschöpft. Bis eben war sie in der Sprachschule, wo sie als freiberufliche Deutschlehrerin arbeitet. Sie mag ihren Job zwar. "Aber ich glaube, dass die meisten Leute denken, ich könnte mehr aus meiner Ausbildung machen. Sie sagen, ich verkaufe mich unter Wert."
Wagner ist promovierte Philologin, hat Ostslawistik und Germanistik studiert. "Ich war sechs Jahre lang glücklich, weil ich mich mit Literatur beschäftigen konnte", sagt die 39-Jährige über ihre Promotion. Doch nun ist sie ratlos: Sie würde gern im Medienbereich arbeiten, findet aber keinen Job. "Wir können Ihnen nichts mehr beibringen, Sie sind völlig überqualifiziert", hieß es in einer Absage. Es ging um ein Volontariat.
Die Abfuhr nagt an Wagner: "Für ein Volontariat bin ich angeblich überqualifiziert. Aber das wird vorausgesetzt, um in der Branche Fuß zu fassen." Dass sie als Hochqualifizierte nicht ihren Wunsch-Job findet, ist ihr unangenehm. Deshalb möchte sie anonym bleiben.
Kann ein Doktortitel der Karriere im Weg stehen? "Das kommt auf den Studiengang an", sagt Ingrid Arbeitlang vom Hochschulteam der Agentur für Arbeit: "In den Naturwissenschaften ist die Promotion kaum wegzudenken." Bei Geisteswissenschaftlern hingegen sei die Lage anders. Nach vielen Jahren des wissenschaftlichen Arbeitens könne so manchem der Weg ins Berufsleben schwerfallen. "Man darf in Bewerbungen nicht den Eindruck erwecken, nur in geistigen Sphären unterwegs zu sein", sagt Arbeitlang. Sie rät deshalb, in Anschreiben und Lebenslauf unbedingt praktische Erfahrungen hervorzuheben.
Auch die Sorge, der neue Mitarbeiter könnte aufgrund seiner hohen Qualifikation ein höheres Gehalt fordern, sei ein Grund, warum Bewerber mit Doktortitel oft gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Daneben spielten aber auch Konkurrenzdenken und Eitelkeit eine wichtige Rolle, sagt die Jobberaterin. Denn so mancher Arbeitgeber ertrage Promovierte nur schwer neben sich.
"Überqualifiziert" sei nur Schutzbehauptung
Unternehmensberater Ulrich Jordan sieht das ähnlich. "Schlechte Führungskräfte wollen Leute einstellen, die nicht besser sind als sie selbst", sagt der ehemalige Personalvorstand der damaligen Citibank. Doch wer nur Leute mit gleichem Ausbildungsgrad oder Studiengang einstellt, klone seine Organisation stets aufs Neue. "Und das hilft dem Unternehmen mit Sicherheit nicht."
Das Attribut 'überqualifiziert' hält Jordan für eine Schutzbehauptung, um dem promovierten Bewerber nicht sagen zu müssen, was man eigentlich denke: "Der Bewerber will eigentlich was anderes machen, hat aber den Weg dahin nicht gefunden."
Deshalb sollte man seinen Doktortitel jedoch nicht verheimlichen, raten Arbeitlang und Jordan. Auf eine Promotion könne man stolz sein - und eine Lücke im Lebenslauf von mehreren Jahren sei nur schwer zu erklären.
Wagner will vorerst keine Bewerbungen mehr schreiben. Sie sei nach wie vor stolz auf ihre Promotion, sagt sie. Bekannten oder Kollegen gegenüber verschweige sie ihren Doktortitel jedoch: "Ich kann die Frage 'Was willst du damit?' nicht mehr hören."
* Name von der Redaktion geändert
Dennis Grabowsky (Jahrgang 1979) ist freier Journalist in und aus Berlin.