Es ist bedrückend und schön zugleich, dass im Kampf der Literatur gegen die Macht stets die Macht obsiegt, die Literatur diese jedoch überdauert. Michail Bulgakow, der Schöpfer des zeitlosen Geniestreichs „Der Meister und Margarita" und weiterer Satiren und Grotesken, focht diesen Kampf sein Leben lang aus und stand dabei auf verlorenem Posten. Mit nur 48 Jahren starb er 1940 in Moskau ausgezehrt von Armut und Arbeit, Krankheit und Zensur. Er hinterließ ein bis dato größtenteils unveröffentlicht gebliebenes Werk, das ihn heute zu einem der wichtigsten russischen Autoren des 20. Jahrhunderts macht. Und er hinterließ private Aufzeichnungen, die von Leben und Kampf hinter diesem Werk erzählen.
Bulgakows Briefe und Tagebücher berichten von der Tragik eines Schriftstellerlebens unter einem totalitären Regime in den Anfangsjahrzehnten der Sowjetunion. Sein persönliches und künstlerisches Schicksal steht dabei symbolisch für die fatalen Fehlentwicklungen eines Systems, das angetreten war, den Menschen zu befreien. Die Freiheit, die Bulgakow und viele andere sich allerdings nehmen wollten, die Freiheit, gegen den Strom zu schwimmen, fand in der neuen Ordnung keinen Platz - und so auch der Schriftsteller Bulgakow nicht. „Bin ich in der UdSSR denkbar?", muss er sich fragen. Die Antwort geben ihm die offizielle Kritik und die Staatsmacht - ohne sie aussprechen zu müssen.
Stalin selbst allerdings soll dem ruhelosen Autor sogar Sympathien entgegengebracht haben. Sie reichten jedoch nicht so weit, dem gebürtigen Kiewer und studierten Arzt die Freiheit des Wortes zu gewähren. „Der Ofen ist längst zu meiner Lieblingsredaktion geworden", muss Bulgakow tragikomisch erkennen. In seiner Verzweiflung schreibt er dem Diktator persönlich. Was sich dort und in anderen Briefen an offizielle Stellen an der Oberfläche wie ein weinerlicher Bettelbrief lesen mag, ist in Wahrheit Anklage.
„Ich bin vernichtet", schreibt Bulgakow 1930 an die Staatsregierung und bittet, „zur Kenntnis zu nehmen, dass die Unmöglichkeit zu schreiben, für mich bedeutet, lebendig begraben zu sein." Zuvor waren die Versuche, seine Prosa zu drucken, vor allem aber seine Stücke zur Aufführung zu bringen, gescheitert. Auch bereits erfolgreich gelaufene Stücke in großen Theatern wurden, zu seinem Unverständnis, plötzlich verboten. Bulgakow kann daraus nur einen Schluss ziehen: „Ich habe mich bemüht, meine Aufgabe als Schriftsteller unter unglaublich schwierigen Bedingungen ordentlich zu erfüllen. Jetzt ist meine Arbeit zum Erliegen gekommen. Ich bin eine komplizierte (nehme ich an) Maschine, deren Erzeugnisse in der UdSSR nicht gebraucht werden." Förmlich bittet er um Ausweisung, um Gewährung eines Auslandsaufenthalts, um Anstellung als Hilfsregisseur oder wenigstens Statist. Er wird die Sowjetunion nie verlassen. Heute bringt man ihm weltweit Bewunderung entgegen.
Der Band „Ich bin zum Schweigen verdammt", jetzt im Luchterhand Verlag erschienen, versammelt ausgewählte Tagebucheinträge und Briefe von 1921 bis 1940, die, von der wirtschaftlichen Notlage Bulgakows nach seiner Ankunft in Moskau ausgehend, den sich zuspitzenden und zunehmend aussichtlosen Kampf mit der Zensur und der neuen Zeit zeigen. Mit der postulierten Schaffung des „Neuen Menschen" kann er nichts anfangen. Bulgakow ist ein Konservativer, der Neuerungen skeptisch gegenübersteht. Aber er ist doch klug genug, dies nicht ohne Prüfung oder Selbstkritik zu tun. Bulgakow ist jener Typ des konservativen, aufmerksamen Beobachters, der als Erster in allem das erkennt, was schiefläuft. Und er kann nicht anders, als darauf hinzuweisen. In seiner literarischen Verarbeitung indes artet dies stets zum Grotesken aus und stößt damit auf den Kern. Das mag nicht von einem optimistischen Geist zeugen. Es ist jedoch die Grundlage der Satire, die als Korrektiv so wichtig ist, dass sich genau diejenigen, die sie verbieten (wollen), damit bloßstellen und der Satire so unwillentlich ihre Existenzberechtigung erteilen.
Michail Bulgakow: Ich bin zum Schweigen verdammt. Tagebücher und Briefe, aus dem Russischen von Renate und Thomas Reschke, Luchterhand Verlag, München 2015, 352 Seiten.
Er hat den vielleicht besten russischen Roman des 20. Jahrhunderts geschrieben. Und doch war er stets dem Hunger näher als dem Ruhm: Michail Bulgakow, den man heute weltweit als den Autor von „Der Meister und Margarita" verehrt. Seine literarischen Schriften sind satirisch, grotesk und fantastisch. Geboren wurde Bulgakow 1891 in Kiew. Er wurde Arzt und diente als solcher im Bürgerkrieg nacheinander in drei rivalisierenden Armeen. 1921 zog er nach Moskau, die Hauptstadt der jungen Sowjetmacht, und begann zu schreiben. Ab 1930 wurde keines seiner Werke mehr veröffentlicht. Krank und erschöpft starb er 1940.