David Torcasso

Journalist/Editor, Berlin/Zürich

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b(r)aut wieder etwas auf

b(r)aut wieder etwas auf die sanierung von alten industrieobjekten

Die Auslagerung von Produktionszweigen und eine sich wandelnde Wirtschaft haben im urbanen Erscheinungsbild von Rotterdam bis Los Angeles Narben in Form von verlassenen und schadstoffbelasteten Fabrikkomplexen hinterlassen. Im Lauf der Jahrzehnte haben Stadtplaner und Investoren erkannt, dass selbst der trostloseste Ort neuen Ideen und Innovationen Raum geben kann. Berlin ist hierbei ein viel zitiertes Beispiel. Nach der Wende haben die verwaisten Gewerbeflächen der Stadt internationale Kreative auf den Plan gerufen, alte Fabrikanlagen in Kunst- und Kulturzentren oder Nachtclubs umzugestalten. Das ehemalige Industrieviertel Zürich-West, in das man früher besser keinen Fuß setzte, hat sich mittlerweile zum attraktivsten Stadtteil Zürichs gewandelt. Solche Entwicklungen sind wahrscheinlich für die heutige Zeit bezeichnend. Orte und Plätze, die einst im Zuge der industriellen Revolution bebaut wurden, werden im 21. Jahrhundert neu erfunden und einem andersartigen Zweck zugeführt. Hierbei bemühen sich vor allem Innovationsagenturen, Beratungsfirmen, Hightech-Unternehmen, kleinere Handwerksbetriebe und spezialisierte Betriebe im Gaststättengewerbe um die Umsetzung solcher Projekte.

In Europas Städten sind es gerade Erneuerungsmaßnahmen historischer Brauereien, die auf große Resonanz stoßen. In Berlin waren einst mehrere Dutzend Brauereien ansässig, aber keines der noch existierenden Gebäude dient heutzutage dem Brauwesen. Stattdessen beherbergen die Örtlichkeiten, die oft unter Denkmalschutz stehen, alles Mögliche, von kulturellen Einrichtungen hin zu Künstlerateliers. Trotz Umbau haben einige dieser alten Bauwerke erfreulicherweise ihre architektonische Form und somit auch einen Teil ihrer Geschichte bewahren können. Die Architekturhistorikerin Ada Louise Huxtable schrieb einst: „Denkmalspflege ist keine Sentimentalität, sondern eine psychologische Notwendigkeit. Wir müssen lernen, die Geschichte wertzuschätzen und würdige, alte Gebäude zu erhalten... dabei sollen sie nicht als jämmerliches Museumsstück konserviert werden, sondern ihnen muss eine neue Funktion zuteilwerden."

BÖTZOW BRAUEREI, BERLIN

Ein Gebäudekomplex im Bezirk Prenzlauer Berg, an der Grenze zu Berlin-Mitte, leistet der allgemeinen Gentrifizierung der deutschen Hauptstadt Widerstand. Die Graffitis an den Außenmauern und die gesicherte Toreinfahrt lassen nicht auf das weitläufige Areal, das sich dahinter erstreckt, schließen. Nach ihrer Eröffnung im Jahre 1885 entwickelte sich die Brauerei recht schnell zu einem beliebten Treffpunkt, zu einem Hotspot des 19. Jahrhunderts sozusagen. Das Gelände und der sich anreihende Biergarten, der den Blick auf die florierende Stadt freigab, konnte 6.000 Menschen fassen. Gründer und Braumeister war der attraktive und ambitionierte Unternehmer Julius Bötzow, der auf dem Gelände in einem eindrucksvollen Anwesen mit dem Spitznamen „Castle of the North - Schloß des Nordens" wohnte. Als Bötzow-Bier auf den Markt kam, traf es genau den Geschmack der Zeit und kam bei der Bevölkerung derart gut an, dass es die Verkaufszahlen des traditionellen Berliner Weiße-Biers um Längen schlug und die Firma schließlich königlicher Hoflieferant wurde. Die Bötzow Brauerei überlebte beide Weltkriege und der Vertrieb wurde bis 1949 weitergeführt. Bei Gründung der Deutschen Demokratischen Republik wurden die noch bestehenden Teile des Gebäudekomplexes beschlagnahmt und als Lagerfläche benutzt. Jahrzehntelang wurde das Gelände jedoch überwiegend dem Verfall überlassen und lag brach. Anfang der 2000er Jahre erwachte das Anwesen schließlich aus seinem Dornröschenschlaf. Ein paar Nachtclub-Veranstalter organisierten in den 50.000m² großen Kellergewölben die berühmt-berüchtigten Elektropartys „Deep in the massive".

Als Hans Georg Näder, der Geschäftsführer des Familienunternehmens Ottobock, das seine Niederlassung in Duderstadt hat und Weltmarktführer in der Prothetik ist, das erste Mal das ehemalige Brauereigelände entdeckte, war es Liebe auf den ersten Blick. Er erinnert sich: „Es war eine Vollmondnacht und ich dachte mir 'Was ist das denn für ein Gelände?' - Es liegt mitten in Berlin und wirkt doch entrückt."

Eigentlich passt es ganz gut, dass jemand, der sein Geld damit verdient „Menschen heil zu machen", das Potenzial der alten Bötzow-Brauerei erkannt hat. „Wir wollen die Originalstruktur des Gebäudes weitestgehend erhalten, denn ist diese einmal zerstört, ist sie für immer verloren", erklärt Herr Näder. Aus diesem Grund hat er das Architekturbüro David Chipperfield mit der schrittweisen Sanierung des Komplexes beauftragt. Dessen umsichtige Instandsetzung des Neuen Museums, eines Bauwerkes aus dem 19. Jahrhundert, wurde von der New York Times als „modernes Gebäude, in dem der Geist des alten Gebäudes noch gegenwärtig ist" betitelt. Darüber hinaus wurden der Projektmanager und Consultant Sebastian Pichel als Art Director und Kurator, sowie der Nahrungsmittel- und Getränkeberater Jeremy Silverman engagiert. Letzterer soll interessante Partner für das geplante Hotel und die Brauereigaststätte unter Vertrag nehmen. „Wir denken darüber nach, das Bötzow-Bier wieder brauen zu lassen und stehen darüber mit Brooklyn Brewery in Verhandlungen", meint Herr Näder und führt weiter aus: „Außerdem planen wir, die Kellerräume in eine Art Markthalle, ähnlich wie die des Chelsea Markets in NYC, auszubauen. Allerdings soll das Ganze nicht so touristisch ausfallen."

Im April 2013 wurden mit der Eröffnung mehrerer Projekte im Atelier, dem früheren Heizraum im Hauptgebäude, die ersten Samen gesät. Das Künstlerduo Eva und Adele zeigte im zentralen Raum mit seinen hohen Decken eine Ausstellung namens Futuring, während der gefeierte Koch Tim Raue in seinem benachbarten Restaurant La Soupe Populaire, das dekoriert ist wie eine billige Berliner Kneipe, lokale Gerichte basierend auf Rezepten seiner Großmutter servierte. Ein anderer Star der Berliner Gastro-Szene, der adrette Barkeeper Gregor Scholl, eröffnete seine Bar Lo Croco Bleu auf dem Areal. „Die Bötzow selbst ist ein Kunstwerk", sagt Herr Näder. „Und es wird sich über die nächsten Jahre weiterentwickeln."

LÖWENBRÄU AREAL, ZÜRICH

Mit dem Löwenbräu-Areal im boomenden Westen von Zürich möchte die Stadt Zürich eine langfristige Sicherung des Kunstbetriebs erreichen. Die Pläne für den Bau wurden bereits vor rund 20 Jahren festgelegt, als die Kunsthalle Zürich, das Migros Museum für Gegenwartskunst und einige private Galerien beschlossen, sich im traditionsreichen Löwenbräu-Areal niederzulassen, in dem bis vor einigen Jahrzehnten noch Bier gebraut wurde.

„Häufige Eigentümerwechsel hatten die Zukunft des Kulturbetriebs im Löwenbräu-Areal jedoch gefährdet", sagt Norbert Müller, Projektleiter der Stadt Zürich. 2005 baten Vertreter der Kunsthalle die Stadt daher um Unterstützung. Im Frühjahr 2011 gründete die Stadt Zürich gemeinsam mit der Stiftung Kunsthalle Zürich und dem Migros-Genossenschafts-Bund die Löwenbräu-Kunst AG, mit einem Aktienkapital von 27 Millionen Schweizer Franken.

Heute finden sich internationale Gäste in dem charmanten Komplex aus Alt und Neu. Müller sagt: „Das Löwenbräukunst-Areal hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre zu einem Zentrum für Gegenwartskunst von internationalem Renommee entwickelt." Ein wichtiger Erfolgsfaktor war dabei das Modell eines Gebäudekomplexes, der kommerzielle, private und öffentliche Bereiche der zeitgenössischen Kunst, Galerien, private Sammlungen und Institutionen unter einem Dach vereint und einen fließenden Übergang von privater und öffentlicher Kunst erlaubt.

Zürich hat mit dem Neubau des Löwenbräu-Kunstareals auch einmal mehr bewiesen, dass es nicht nur als Bankenstadt international wahrgenommen werden möchte: „Die Magnetwirkung der Kunst hat für das gesamte Quartier wichtige Impulse gesetzt", sagt Müller. Er unterstreicht, dass das Löwenbräu-Areal wesentlich zum Kulturstandort Zürich beigetragen habe. Mit der Eröffnung der sanierten und erweiterten Löwenbräukunst stärkt Zürich sein Kulturangebot und seinen Ruf als attraktiver und innovativer Standort für die Kunst- und Kreativwirtschaft. „Diese Kreativbranche ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen und nicht mehr wegzudenken Pfeiler der Zürcher Wirtschaft geworden", sagt Müller.

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