David Torcasso

Journalist/Editor, Berlin/Zürich

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Artikel

Schweiz: Die Raser von Altstetten

Über eine halbe Million Franken in Blech stehen an diesem Freitagabend auf dem Parkplatz in Zürich-Altstetten. Ein Audi RS6, Neupreis 163.000 Franken, 520 PS, ein BMW M5, 150.000 Franken, 550 PS, ein Mercedes AMG, 150.000 Franken, 480 PS, sowie drei BMW M3, 231 PS, 130.000 Franken. Die Autos glänzen wie fabrikneu. Um die Wagen herum stehen breitschulterige Typen mit verwaschenen Jeans, eng anliegenden T-Shirts, weißen Turnschuhen oder braunen Lederschuhen. Die meisten sind Kosovo-Albaner. Sie rauchen Zigaretten, trinken Red Bull und reden über Auspuffanlagen, die 5.000 Franken kosten.

Altstetten ist Autocity. Hier geht abends niemand zu Fuß. Nur ein paar Kids fahren mit alten Mountainbikes herum. Alle anderen rollen in deutschen Sportwagen, mit glänzenden Felgen, verdunkelten Scheiben und xenonhellen Lichtern. Ihr Treffpunkt ist die Esso-Tankstelle neben dem Bahnhof. Hell erleuchtet strahlt sie über das Quartier.

"Das Auto ist wie eine schöne Frau", sagt ein 22-jähriger Polymechaniker, nennen wir ihn Triton. Er lehnt lässig an der Tür seines BMW M3 Cabrio und raucht. Der Motor läuft, die Lichter sind an. Seit über einer halben Stunde. "Das sieht einfach geiler aus", sagt er. Der BMW M3 ist das Lieblingsauto der Kosovo-Albaner. Er kommt schnell auf Touren, ist leicht, geschmeidig und als Occasion bezahlbar. Triton hat für das Auto 30.000 Franken hingeblättert. In bar. "Ich habe während der Lehre gespart und nur Brot und Spaghetti gegessen", sagt er.

Junge Männer wie Triton leben für ihre Autos. Nicht was man arbeitet oder wie man wohnt, zählt in ihrer Welt, sondern was man fährt. Anti-Raser-Initiativen und -Kampagnen lassen sie kalt. "Wenn ich nach unten in das Kosovo fahre, muss ich mit einem BMW vorfahren. Dann sehen die Leute, dass es mir gut geht in der Schweiz ", sagt Triton. Im Monat verdient er 4.500 Franken, das meiste geht für sein Auto drauf. Allein die Versicherung kostet 5.000 Franken pro Jahr.

Und einer wie Triton will sein Auto ausreizen. Auf die Tube drücken, schnell fahren: "Wenn eine schöne Frau nackt vor dir auf dem Bett liegt, na, was machst du dann?"

Von den Folgen dieses Tuns liest man jeden Montagmorgen in den Zeitungen. Die Öffentlichkeit hat sich an die Bilder von bizarr ineinander verkeilten Blechtrümmern gewöhnt. Nur einige Geschichten bleiben. Etwa jene der 21-jährigen Lorena, die im November 2008 in ihrem roten Golf starb. Zu Tode gefahren von einem 20-jährigen Raser. Oder der spektakuläre Crash eines 27-jährigen Millionärssohns mit dem Ferrari Scaglietti seines Vaters. Vor einem Monat knallte er damit im zürcherischen Kilchberg in eine Mauer. Auf dem Beifahrersitz saßen zwei junge Mädchen, die eine verstarb an der Unfallstelle, die andere wurde schwer verletzt. Der Fahrer versteckte sich blutüberströmt im Gebüsch. Das Raserfieber befällt Bauarbeiter wie Gutbetuchte.

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