Malaise im Maghreb
"Urlaubsparadiese", "Islamistenterror" und "Flüchtlingsskandale" - das sind die Schlagzeilen, die aus dem Maghreb nach Europa dringen. Nach dem Drama von Melilla und Ceuta forderte Otto Schily "Auffanglager", Spaniens Außenminister Miguel Á. Moratinos plädierte für EU-Hilfen für Marokko, "das uns in vieler Hinsicht den Rücken frei hält". Für die EU stellen sich die Beziehungen zu den südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten seit der "Barcelona-Erklärung" von 1995 als "Partnerschaft" dar, bei der unter "Beachtung der demokratischen Prinzipien und der Menschenrechte" eine "Zone der Freiheit und Stabilität" errichtet werden soll. Das Buch Despoten vor Europas Haustüre wirft ein gänzlich anderes Schlaglicht auf diese Partnerschaft. Die wütende, stellenweise plakative, aber zugleich fundierte Abrechnung belegt, dass die EU-Politik diktatorische Regime unterstützt, um eigene Interessen - die Abwehr von Flüchtlingen, den Kampf gegen den Terrorismus, den Zugriff auf Ölvorkommen und die Wirtschaftsliberalisierungen - zu sichern. Beispielhaft lässt sich dies an Tunesien aufzeigen. Dort waren die beiden Autoren als Menschenrechtsaktivisten jahrelang staatlicher Repression ausgesetzt, bevor sie eine Einladung der "Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte" annahmen. Tunesien gilt als "Modell für die euromediterrane Zusammenarbeit" (Romano Prodi) und "demokratischer Hoffnungsschimmer". Ben Alis Wiederwahl zum Staatspräsidenten im Oktober 2004 mit einem Stimmergebnis von 94,45% spricht allerdings nicht gerade für demokratische Verhältnisse. Trotzdem gelingt es Ben Ali, sich als Präsident mit weißer Weste zu präsentieren - zuletzt etwa durch die Ausrichtung des Weltgipfels über die Informationsgesellschaft (WSIS). Ein Großteil der EU-Gelder versandet im korrupten Regime. Die von der EU geforderten Privatisierungen dienen vor allem Ben Alis Klientel- und Sippenwirtschaft. Die spärlichen EU-Fördermittel für die Zivilgesellschaft kommen nur selten bei den Akteuren an. Gelder für missliebige Organisationen, wie etwa die tunesische Menschenrechtsliga, werden von der Regierung in Tunis blockiert. Auch der Projekt-Titel "Zivilgesellschaft" täuscht oft: Die 2,15 Millionen Euro zur Förderung der Medien kamen vor allem Ben Alis Propagandainstrumenten zugute, weil unabhängige Medien in Tunesien schlichtweg nicht existent sind. Bei dem EU-Programm "Modernisierung der Justiz" verschwand das Thema "Justizreform" schnell in der Versenkung. Stattdessen ist nun ein Teil der Gelder für die "Kontrolle des Migrantenstroms" und den Kampf gegen "neue Formen der Kriminalität" vorgesehen. Für die Autoren hat Ben Alis "Diktatur mit demokratischer Fassade" Modellcharakter: Algeriens Generäle präsentieren sich als "demokratische Macht" und verhüllen so ihre Menschenrechtsverbrechen und die Ausplünderung der Wirtschaft. Libyen hat sich vom "Schurkenstaat" zum Partner des Westens gewandelt. Seine außenpolitische Kehrtwende, die Kooperation bei der Migrationskontrolle und die Ölreserven lassen die EU gerne vergessen, dass Gaddafis korruptes Regime systematisch Menschenrechtsverletzungen begeht. Die Autoren zeigen, dass der "Kampf gegen den Terror" geschickt dazu genutzt wird, um die Machtstrukturen auszubauen und gegen die gesamte Opposition im eigenen Land vorzugehen. In Algerien flossen beispielsweise EU-Mittel für Menschenrechte in die Ausbildung der Polizei und die "Überwachung der Emigration". So bewirkt die "Sicherheits"-Partnerschaft das Gegenteil ihrer Intentionen. Es bleiben jene Verhältnisse bestehen, die den religiösen Extremisten Zulauf verschafften: soziale Misere und politische Hoffnungslosigkeit. Für Bensedrine und Mestiri ist das Problem des Islamismus aber nur dann lösbar, wenn demokratische Verhältnisse eine politische Auseinandersetzung mit den Islamisten möglich machen. Interne Gründe für die Malaise im Maghreb, wie religiöse Dogmen und der arabische Nationalismus, sprechen die Autoren hingegen nicht an. Auch nicht die Tendenz, Sündenböcke wie die USA und Israel für die eigene Misere verantwortlich zu machen. Den Autoren geht es um Anderes. Das Buch will an das demokratische Selbstverständnis der EU appellieren. Es ruft zu einer dringend notwendigen Neubestimmung des Dialogs auf: Solange europäische Gelder mehrheitlich an korrupte Regime fließen und die EU Diktatoren den roten Teppich ausrollt, wird die dortige Zivilgesellschaft es noch schwerer haben, ihre demokratischen Anliegen durchzusetzen. David Siebert
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