Schon vor hundert Jahren lebten Schwarze Menschen in Deutschland – viele stammten aus den deutschen Kolonien in Afrika. Ein Feature über Völkerschauen, verdrängte Kolonialgeschichte und die Anfänge der Schwarzenbewegung in Deutschland.
Ursendung: SWR2, 17.2.2023
Abenaa und Roy Adomako sind
Afrodeutsche und leben in Berlin. Ihr Urgroßvater Mandenga Diek und
ihr Großvater Louis Brody kamen um 1900 aus „Deutsch-Kamerun“
ins Deutsche Kaiserreich – so wie mehrere hundert Afrikaner aus den
Kolonien auch. Louis Brody wurde der bekannteste Schwarze
Schauspieler des Weimarer Kinos, trat in Dutzenden UFA-Kinofilmen
auf und arbeitete auch als Musiker und Ringer. Mandenga Diek wurde ein erfolgreicher Großhandelskaufmann in Danzig und erhielt als erster Afrikaner die Deutsche Staatsbürgerschaft.
Die Adomakos haben erst kürzlich erfahren, dass ihre Vorfahren auch Aktivisten waren: 1918 organisierten sie sich mit rund 30 Kolonialmigranten im „Afrikanischen Hilfsverein". 1919 forderten dessen Mitglieder in der Dibobe-Petition „gleiche Rechte“ für Schwarze Menschen in Deutschland wie in den Kolonien. 1929 war Louis Brody zudem Mitbegründer der „Liga zur Verteidigung der Negerrasse“ in Berlin, die zur Kommunistischen Internationale gehörte.
David Siebert trifft die Adomakos und geht mit ihnen auf Spurensuche: Wie lebten Brody und Diek in Deutschland? Wer waren ihre Mitstreiter? Was war die „Schwarze Schmach“, gegen die Louis Brody 1921 in der Berliner Zeitung am Mittag protestierte? Um was ging es in der Schwarzen Theaterrevue, die er 1930 in einem Ballhaus in Berlin aufführte? Und warum ist dieses Kapitel afrodeutscher Geschichte in Vergessenheit geraten?
Die Adomakos führen das Engagement ihrer Vorfahren fort: Abenaa ist Mitbegründerin der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD). "Wenn die Schwarze
Deutsche Geschichte und die Besetzung afrikanischer Länder durch
Deutsche im Schulcurriculum mehr Erwähnung gefunden hätte, wenn es da
mehr Wissen sowohl auf der
weißen als auch auf der schwarzen Seite gegeben hätte, dann wäre ich
als Person stärker gewesen und hätte früher zu mir
selber gefunden", sagt die Berlinerin. "Ein großer Wunsch von mir ist, dass das
alles aufgearbeitet wird."
Ihr Bruder Roy hat Eoto e.V. mitgegründet, ein Bildungs- und Empowerment-Projekt für die Schwarzen Communities in Berlin. Heute leben rund 1 Millionen Schwarze Menschen in Deutschland. 2021 hat Eoto den Afrozensus veröffentlicht, für den 6000 von ihnen befragt wurden. Die Mehrheit gab an, dass sie Rassismus in nahezu allen Lebensbereichen erlebt.
Abenaa Adomako (2.v.r.) bei der Enthüllung einer Gedenktafel für die Unterzeichner der Dibobe-Petition 2019 in Berlin-Mitte. Sie erfuhr erst zwei Tage vorher, dass auch ihr Urgroßvater und ihr Großvater die Petition unterzeichnet hatten. Darin forderten sie mit 16 weiteren in Deutschland lebenden Afrikaner aus den deutschen Kolonien u. a. die Abschaffung von Prügelstrafe ud Zwangsarbeit in ihrer Heimat sowie „Gleichstellung" und "einen Vertreter unserer Rasse im Reichstag". Foto: © Oliver Feldhaus.
Louis Brody, der Großvater der Adomako-Geschwister, als gefeierter Schauspieler auf der Titelseite der Filmwelt 1922. In den Goldenen Zwanzigern drehte er u. a. mit Filmgößen wie Alfred Hitchcock, Fritz Lang und Hans Albers. Bild: © Zeitungsarchiv ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek
Roy Adomako, der Bruder von Abenaa, vor einem Familienporträt seines Urgroßvaters Mandenga Diek (2.v.r.). Auf dem Foto ist rechts neben ihm seine älteste Tochter Erika zu sehen. Sie heiratet 1938 Louis Brody und ist die Großmutter der Adomakos. Louis Brody, Erika Diek und ihre Schwester Doris (1.v.l.) wurden im Nationalsozialismus als Schwarze ausgegrenzt und entrechtet, überlebten aber mit viel Glück. Foto: © David Siebert
Abenaa
Adomako bei einer Ausstellungseröffnung zur Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland im Berliner Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg. © Thabor Thindi
„Ein
Feature, was ich ans Herz lege: Wirklich super, weil Afrodeutsche
ihre Familiengeschichte erzählen...viele Zeitbezüge wie bei [dem aktuellen Kino-Kolonialdrama] `Der
vermessene Mensch´ aber eine ganz andere Geschichte, weil die
Perspektive eine andere ist.“
Julius
Stucke, Deutschlandfunk Kultur,
https://www.deutschlandfunkkultur.de/wie-erzaehlt-man-kolonialismus-dlf-kultur-e67a8bd7-100.html
(ab Minute 40:25)
„Das SWR2-Feature rückt die lange Geschichte des Widerstands gegen koloniale Gewalt in den Focus (…) Ein spannendes Panorama Schwarzer Selbstorganisation und antirassistischer Politik.“
Friedericke Odenwald / Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe, Universität Hamburg, https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/2023/03/02)
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