David Huth

Freier Journalist, Duisburg

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Artikel

Die Vertrauensfrau

Sie will den Familien helfen, sie über viele Jahre Unfassbares durchlebt haben. Barbara John (CDU) will dabei helfen, dass die Opfer der Zwickauer Terrorzelle mit einer eine Gedenkstätte geehrt werden. Die Einrichtung eines solchen Ortes würde ein Zeichen

Berlin. Die 74-jährige Berlinerin ist die Ansprechpartnerin für die Hinterbliebenen der Opfer der Zwickauer Terrorzelle. Die Ombudsfrau der Bundesregierung will die Familien unterstützen, die man über viele Jahre mit ihrem Leid alleine ließ. Sie sagt auch: „Wir müssen uns vor Augen halten, dass diese Mordserie nach den Morden der RAF den ­zweitschlimmsten Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik markiert."

Sie nannten sie „Abla", große Schwester. So viel Vertrauen genoss Barbara John als Berlins erste Integrationsbeauftragte bei türkischen ­Zu­wanderern. Das ist nun acht Jahre her. Doch von dem Vertrauenskapital zehrt die 74-Jährige bis heute, gerade in ih­rer neuen Aufgabe: Sie ist die Ansprechpartnerin für die Hinterbliebenen der Opfer der Zwickauer Terrorzelle.

Die Ombudsfrau der Bundesregierung will Menschen helfen, die man mit ihrem Leid und ihren Nöten alleine ließ.

Wer ihr gegenübersitzt und hört, wie sie ruhig, klar und ohne große Gesten über ihre schwere Aufgabe spricht, spürt die Autorität einer Frau, die sich nicht entmutigen lässt.

Sie musste sich im Verlauf ihrer Karriere gegen viele Widerstände durchsetzen. Als Richard von Weizsäcker als Regierender Bürgermeister von Berlin sie 1981 als erste Integrationsbeauftragte berief, schreckte sie nicht davor zurück, in der eigenen Partei, der CDU, anzuecken.

Viel Vertrauen zerstört

Diese Erfahrungen helfen ihr jetzt. Denn der deutsche Staat hat bei den türkischen und griechischen Hinterbliebenen der Mordopfer viel Vertrauen zerstört. Dass die Behörden einen rechtsextremen Hintergrund lange ausschlossen, bleibt für John unverständlich. „Die Opfer wurden nicht als die Opfer von Gesinnungen oder Hassverbrechen wahrgenommen, sondern in ihrer Fremdheit", klagt sie an.

Im Umfeld der Familien wurde wegen Blutrache, Ehrenmorden, Mafiaverbindungen und Drogenhandel ermittelt. Schlimme, erniedrigende Verdachtsmomente mit gravierenden Folgen. „Das hat oft die sozialen Netze der Familien zerstört", weiß John. Das Umfeld vieler Angehöriger hat sich abgewendet.

„Eine entsetzliche Situation"

Um den zentralen Punkt scherten sich die Verantwortlichen wenig. Die Menschen, für die John sich einsetzen will, haben ihren Vater, Ehemann oder Bruder verloren. „Die wichtigste Person, die sie hatten, ist ermordet worden. Das ist eine entsetzliche Situation", betont Barbara John.

Als sie gefragt wurde, ob sie die Stelle übernehmen wolle, zögerte sie nicht. Aber sie hat keine Mitarbeiter, kein Büro. Ihre Arbeit erledigt sie von ih­rem Büro beim Paritätischen Wohlfahrtsverband aus, dessen Vorsitzende sie ist.

Alle 60 Hinterbliebenen hat sie angeschrieben, mit einigen bereits telefoniert. Nun versucht sie herauszufinden, welche Hil­fe benötigt wird.

Nur ein kleiner Baustein

Dann will John zu den Angehörigen reisen. Jede Familie hat eine andere Geschichte, sie will jede verstehen. „Ich frage mich jeden Tag, wie ich diese Aufgabe angehen soll."

Entschädigung, Aufklärung und Aufarbeitung stehen an. Vor allem werden wohl die Alltagsprobleme der Migrantenfamilien zu lösen sein: Fragen des Aufenthaltsstatus', Suche nach Arbeit, einer Wohnung, aber auch eine gute psycho­logische Betreuung.

„Ich weiß noch gar nicht, ob in den Familien die Bereitschaft besteht, mit mir zu sprechen", sagt die Ombudsfrau. Dass den Familien durch ihre Arbeit ein Stück Gerechtigkeit zuteil werde, verneint sie vehement. „Von Wiedergutmachung kann nicht die Rede sein", macht John klar und ergänzt: „Es kann ein kleiner Baustein sein, dass die persönlichen Nöte wahrgenommen werden, aber nicht mehr."

John hofft, dass sie über die Taten aufklären kann. „Wichtig ist, dass die deutsche Gesellschaft versteht, was vorgegangen ist."

David Huth

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