Critical mass nennt sich die weltweite Bewegung, bei der sich Fahrradfahrer treffen, um mit gemeinsamen Fahrten auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam zu machen. Dort, wo sich sonst auf den Straßen die Blechkarosserien drängen, wirkt die bloße Menge von Fahrrädern für Autofahrer oft wie ein Affront. Doch Provokation ist nicht Zweck der Veranstaltung. Mit sanftem Druck auf der Straße wollen die Aktivisten mehr Rechte für Radfahrer und vor allem eine bessere, sicherere Infrastruktur und mehr Platz einfordern. „Wir behindern nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr" ist ihr Credo. Meist treffen sich die Radler zu einer singulären Aktion oder unregelmäßig einmal im Monat. In München wollen Aktivisten des Umweltvereins Green City aus dem radelnden Protest nun jedoch einen Dauerzustand machen. Radl-Shuttle nennt Green City die Aktion, die am 11.06 ihren Auftakt hatte. Denn die bayrische Metropole nennt sich zwar „Radlhauptstadt", doch das Straßenbild ist vielfach geprägt von großen SUVs und schnellen Karosserien des ortsansässigen Autobauers. Die vielen Freizeitradler, Pendler, Familienräder mit Kinderanhänger, E-Bikes und Lastenräder müssen sich auf schmale Radwege drängen lassen oder sich im Verkehr gegen Autos und Tram behaupten. Tatsächlich ist das Radfahren an vielen Stellen sehr stressig und gefährlich. Zum Beispiel an der sehr stark befahrenen Lindwurmstraße. Sie steht im Mittelpunkt der Aktion von Green City. Die Aktivisten des Umweltvereins laden alle Radpendler ein, sich täglich um 8.30 Uhr einem Fahrradcorso anzuschließen, der von Sendling kommend stadteinwärts auf einer der Spuren fährt. Vorgesehen ist für die Radfahrer dort eigentlich nur ein schmaler Weg neben dem Gehsteig. Auf diese Weise kommen die Teilnehmer zwar langsamer zur Arbeit, dafür aber „sicher und entspannt."
Alles ganz legalDie Aktion mag den einen oder anderen Autofahrer ärgern, tatsächlich ist sie aber völlig legal. Der Paragraph 27 der Straßenverkehrsordnung (StVO) sieht vor, dass 16 oder mehr Radfahrer einen sogenannten „geschlossenen Verband" bilden. Ein solcher Verband genießt die gleichen Rechte wie ein Fahrzeug. Die Radwegbenutzungspflicht nach Paragraph 2 (4) StVO ist aufgehoben; die Radler dürfen auf der Fahrbahn zu zweit nebeneinander fahren. Es bedeutet auch, das beispielsweise der komplette Radlercorso über eine rote Ampel fahren darf, wenn der Anfang der Gruppe sie noch bei Grün passiert. Green City fordert mit der Aktion, die nun an jedem Werktag stattfinden soll, dass in der Lindwurmstraße zwei der vier Fahrspuren an Radler abgetreten werden und somit auch die Fußgänger mehr Platz haben. Am Montag um halb neun geht es wieder los.