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Nicht besitzen, sondern nutzen

Der Kapitalismus gehe seinem Ende entgegen, nicht von heute auf morgen, dennoch unaufhaltsam. Das ist Jeremy Rifkins Kernthese, die er auch auf dem Vision Summit 2014 vertritt. Erstmals seit der Entstehung des Sozialismus und Kapitalismus Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt sich heute mit der „Sharing Economy in einer kollaborativen Gesellschaft" ein neues Wirtschaftssystem. Eine Gesellschaft in der Menschen keinen großen Wert mehr auf Eigentum legen, sondern Produkte und Wissen miteinander teilen. Die Welt stehe an einem historischen Wendepunkt, so der US-amerikanische Soziologe, Ökonom und Gründer der „Foundation on Economic Trends".

Rifkins Auffassung nach entwickelt sich das neue System derzeit parallel zum bestehenden Wirtschaftssystem. In 30 Jahren werde es den Kapitalismus noch immer geben - allerdings komplett anders, als wir ihn heute kennen. Die kollaborativ arbeitende Wirtschaftsform werde dann gleichberechtigt existieren - in einem hybriden System, das der Menschheit deutlich besser tue, als das heutige.

Paradigmenwechsel auf Grundlage einer verbesserten Kommunikation, Energieeffizienz und Logistik

Jeder wirtschaftliche Paradigmenwechsel fuße laut Rifkin auf neu aufkommenden Technologien zur verbesserten Kommunikation, Energieeffizienz und Logistik. Die Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts - und somit die Motoren der dritten industriellen Revolution sind: das Internet und erneuerbare Energien. Die erneuerbaren Energien dienen dabei als kostengünstige und ökologische Energieform als Basis der Revolution. Das Internet ermöglicht eine rasend schnelle, weltweite Kommunikation und einen neuartigen Zugang zu Daten. Das Internet sei dabei, sich in ein, wie der US-Ökonom es gerne nennt, „Super-Internet der Dinge" zu verwandeln, in dem das Kommunikationsnetz mit Energie- und automatisierten Logistiknetzen zu einem großen System verbunden werden. In diesem Netz kann praktisch jeder Zugriff zu allen Daten haben und darauf aufbauend seine eigenen Analytik kreieren.

Vertikale Konzerne wurden ins Wanken gebracht

„Begonnen hat es mit Napster", sagte Rifkin. Jugendliche hatten plötzlich nach der Schule nichts anderes zu tun, als an neuer Technik zu basteln um Musik zu tauschen. „Wir nennen es klauen, die Jugend nennt es teilen", lachte Rifkin. Weiter sei es mit freien Videos, Blogs bis zu den sich heute stark ausbreitenden Massive Open Online Courses gegangen. „Die Internetrevolution hat Musik- und TV-Industrie, mächtige aber vertikale Konzerne, ins Wanken gebracht", sagte der US-Ökonom. Der Grund: Die Natur der digitalen Welt sei ein offenes, transparentes System. Wachstum finde in der Breite statt, indem Musik oder Videos oder erneuerbare Energie geteilt und weitergegeben werden. Dazu komme ein Paradox der Wirtschaftsgeschichte: Das Ideal des Neoliberalismus, der Verkauf zu den Grenzkosten, sei heute praktisch erreicht. Technologisch könne man heute tatsächlich so produktiv sein, dass die Grenzkosten bei fast null liegen. Die verbesserte Kommunikation und die dramatische gesteigerte Produktivität verändere die Grundfesten des heutigen Wirtschaftssystems. „In der digitalen Welt sind Güter und Dienstleistungen tendenziell kostenlos. Damit verschwinden auch die Profite, womit die Marktwirtschaft nutzlos ist", so Rifkin weiter.

Die neue Generation will nicht mehr besitzen, sondern nutzen

Der jungen Generation gehe es aber nicht mehr darum, nur Entertainment zu teilen. „Sie wollen nicht besitzen, sie wollen Zugang", sagte Rifkin. Ein Beispiel sei die Mobilität. Galt ein schickes Auto vor nicht all zu langer Zeit als das ultimative Statussymbol, wolle heute keiner mehr ein Auto besitzen - aber alle wollen Zugang zur Mobilität haben. Car-Sharing ermöglicht das.

Nun ist Car-Sharing ein alter Hut. Aber mit den neuen Möglichkeiten des Internets, haben sich die Angebote verändert. Beispiel Uber. Die Online-Plattform vermittelt private Fahrer zur Personenbeförderung. Für Rifkin ist das Unternehmen ein Paradebeispiel des neuen Super-Internets: die Kommunikation läuft weltweit über das Smartphone, die Lokalisierung über GPS und daraus entsteht ein machtvolles Logistiknetzwerk - das jedem offen steht. Längst steht Uber in der Kritik, weil es prekäre Arbeitsverhältnisse schaffe. Doch für Rifkin ist Uber ohnehin längst nicht das Ende der Fahnenstange. „Die Kommunen können sich doch selbst zu solchen Kollaborativen zusammenschließen, dazu brauchen sie keine dritte Partei wie Uber", so Rifkin. Ohnehin werde es bald autonom fahrende E-Mobile geben, so der Trendforscher.

Die Welt schaut auf Deutschland

Eines der wichtigsten Zentren der dritten industriellen Revolution ist für Jeremy Rifkin Deutschland. Grund ist die deutsche Vorreiterfunktion einer bürgergetragenen Energiewende. In Deutschland haben die vier großen Energiekonzerne in den vergangenen zehn Jahren erheblich an Wirtschaftsmacht verloren, während Millionen deutsche Bürger in dezentrale Energieformen investierten. Hier zeigt sich für Rifkin sehr deutlich der Machtverlust der herkömmlichen kapitalistischen zentralen Systeme. Und diese Entwicklung werde sich weltweit fortsetzen. In 20 Jahren würden auch die ärmsten Regionen der Welt über saubere, günstige Energien verfügen. „Gut für die Sharing Economy", sagte Rifkin. Denn günstige, saubere Energie ist ein Grundpfeiler für ein weiteres Beispiel der neuen Wirtschaftsform: Die Start-ups, die mit Hilfe von 3D-Druckern Produkte herstellen wie Kunden sie wünschen und nicht wie eine Marktmacht sie vorschreibt. Theoretisch kann jeder überall auf der Welt das produzieren was er braucht: Einfach nur auf Grundlage einer freizugänglichen digitalen Blaupause. In ein paar Jahren wären 3D-Drucker in Schulen so selbstverständlich wie heute Computer, meinte Rifkin. Jeder kann also alles haben? Darum geht es Rifkin gerade nicht. Deutlich betont er die Wichtigkeit der ökologischen Komponente. Car-Sharing D8enste können in seinen Augen die Produktion von Autos minimieren und den Verkehr entlasten. 3D-Drucker können recycelbare Materialien verwenden und sinnvolle Produkte schaffen, die in der "kollaborativen Gesellschaft" nicht besessen, sondern genutzt und später wieder in die Gemeinschaft zurückgegeben werden. Als ein Beispiel von vielen nennt er Online-Plattformen auf denen etwa ausrangiertes Kinderspielzeug getauscht wird. Aus der der industriell geprägten Gesellschaft erwachse eine globale, gemeinschaftlich orientierte Alternative, so Rifkin. In ihr sei Teilen mehr wert als Besitzen. Das Streben nach Lebensqualität stehe über dem nach Reichtum. Rifkins große Hoffnung ist es nun, dass diese Revolution sich so schnell ausbreitet, dass die dramatischen Folgen des ungebremsten Ressourcenverbrauchs und des Klimawandels gestoppt werden können. Den Teilnehmern des Vision Summits gab deshalb er eine Botschaft mit auf den Weg: „Bitte schaffen Sie das. Die Welt schaut gebannt auf Deutschland, ob das Land diese Transformation hinbekommt."

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