Was läuft derzeit in der Arbeitswelt falsch? Was sind die großen Herausforderungen?
Viele insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bemerken bereits den demografisch bedingten Fachkräftemangel. Ich nenne die Talentlücke, die wir füllen müssen. Und gleichzeitig lassen viele Unternehmen Talente brach liegen. Damit meine ich das ganze Thema der Ausgegrenzten, Vernachlässigten und Unbemerkten. Das impliziert die mangelhafte und ausbalancierte Integration von Frauen in die Arbeitswelt, die Vernachlässigung von jungen Menschen aus bildungsfernen Haushalten, die berufliche Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund, und den Fakt, dass sich fast 60 Prozent der internationalen Absolventen, obwohl sie ihren Abschluss in Deutschland erworben haben, sich dennoch für einwanderungsfreundlichere Länder entscheiden. Auch an der Spitze der Qualitätspyramide gibt es massive Probleme. Wie die Zunächst einmal sicherlich durch State-of-the-Art-Qualifizierung. Die HR Alliance hat zum Beispiel gemeinsam mit der LMU München den neuen Studiengang „ Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) festgestellt hat, haben in den letzten Jahren netto über 4.000 Spitzenforscher Deutschland verlassen, um vor allem in die Schweiz und USA zu gehen. Sie sagen auch, das neoklassische Marktparadigma sei historisch überholt und müsse abgelöst werden. Wodurch? Das ist sicherlich ein weiterer Punkt: Der Wertewandel in unserer Gesellschaft. Vor einigen Jahren galt ja noch das Ego als das Maß aller Dinge. Inzwischen wünschen sich immer mehr Menschen eine sozialere Gemeinschaft und eine Marktwirtschaft, in der Unternehmen eben dafür eine Mitverantwortung tragen. Die einseitig durch Shareholder-Value geprägte Unternehmensführung ist doch gescheitert. Viele Unternehmen leiden unter Glaubwürdigkeitsverlust. Da bedarf es Integrität und Compliance insbesondere des Führungsteams, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen und eine Basis für nachhaltiges Unternehmenswachstum zu schaffen. Das alles sind Themenfelder, auf die wir mit HR Alliance aufmerksam machen und in unserem Netzwerk Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Wie können Unternehmen den von Ihnen benannten Herausforderungen begegnen? Unter anderem dadurch, dass Personalverantwortliche - also Menschen, die bislang traditionell für die Rekrutierung, Bindung, Entwicklung und Vergütung von Personal zuständig sind - sich dafür sensibilisieren, dass sie für etwas Größeres, Tragfähigeres verantwortlich sind. Personalverantwortliche sind wichtiger Bestandteil der Unternehmensführung und mit ihrer Arbeit und ihrer Personal- und Führungsauswahl verantwortlich für die Gestaltung der Unternehmenskultur. Und Unternehmen müssen gesellschaftliche Anliegen wie Bildung, Migration, Armutsbekämpfung und Chancenfairness selbstverantwortlich annehmen und aktiv gestalten. Wie kann diese Fortbildung der Personaler erreicht werden? Außerdem verfügt die HR Alliance über ein großes und immer größer werdendes Netzwerk, in dem wir unsere Erfahrungen und Good-Practice-Beispiele austauschen und zusammenarbeiten. Unsere Mitglieder melden sich vielfach über Vorträge und Kongresse zu Wort. Wie kommen ihre Forderungen und Vorschläge in Politik und Privatwirtschaft an? Stoßen sie auf offene Ohren oder eher Skepsis? Executive Master of Human Ressource Management " entwickelt, der sich diesen neuen Herausforderungen widmet. Dann bemühen wir uns durch signalgebende Außenwirkung, wie durch unseren Kongress „ ZukunftsForums Personal " im September. Es gibt - wie bei eigentlich allen wertewandelnden Projekten - Freunde, Zweifel und Gegner. Doch die Gruppe von Personalern und Geschäftsführern wird immer größer, die sich mit dem Themen intensiv beschäftigt. Aber die kritische Masse ist noch nicht erreicht. Man darf auch nicht vergessen, dass das Organisationsstrukturen in Unternehmen sind, die jahrzehntelang funktioniert haben. Aber nun verändert sich in kürzester Zeit sehr viel. Große Unternehmen wie zum Beispiel die Energiekonzerne sehen sich damit konfrontiert, dass sich ihr Geschäftsmodell grundlegend ändert. Einfach immer nur noch wachsen funktioniert nicht mehr. Das hat drastische Auswirkungen auf die Geschäfts- und Arbeitswelt: innovatives Umdenken, Kulturwandel, Skill-Shift, Organisationumbau, geschäftliche Neuausrichtung und notfalls auch Personalabbau sind gefordert. Welchen Rahmen müsste die Politik Ihrer Meinung nach vorgeben? Mir wird zu schnell und zu oft nach der Politik gerufen. Ich bin grundsätzlich ein großer Freund der unternehmerischen Selbstverpflichtung, denn die Politik ist auch nicht allwissend oder handelt auch unvernünftig. Ein Beispiel ist jetzt die Rente mit 63. Zwar ist der Gedanke verständlich, dass Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und in das System eingezahlt haben, davon profitieren sollen. Aber die Rente mit 63 verkennt völlig die demografischen Herausforderungen. Politik soll dann eingreifen, wenn es tatsächlich kein Vorankommen gibt. Wenn die Unternehmen etwa jahrelang versprechen, mehr Frauen zu fördern und zehn Jahre später immer noch kaum etwas passiert ist.
Was noch?
Eine wichtige Aufgabe der Politik ist sicherlich das Naming und Shaming. Arbeitgeber, die sich hervortun, werden seit Jahren vom Arbeitsministerium durch das Programm „Deutschlands Beste Arbeitgeber" ausgezeichnet. Aber auch die öffentliche Diskussion über Negativbeispiele wie etwa die Schleckerpleite oder Arbeitsbedingungen bei Amazon, bringen uns voran. Viele Unternehmen bemühen sich sehr, den neuen Herausforderungen gerecht zu werden und haben sich zum Beispiel der vom Kanzleramt geförderten Charta der Vielfalt verpflichtet. Natürlich gibt es auch solche, die viel reden, aber kaum etwas tun. Das ist übrigens auch eine Sache, bei er sich viele soziale Innovatoren in der Zusammenarbeit mit Unternehmen missbrauchen lassen. Nicht wenige Konzerne „halten" sich Social Entrepreneure, um davon abzulenken, dass die soziale Komponente nicht zum Kern ihres wirtschaftlichen Handelns gehört.
Worauf sollten soziale Innovatoren in der Zusammenarbeit mit großen Unternehmen achten, um sich nicht missbrauchen zu lassen? Sie sollten darauf achten, wo das Thema im Unternehmen angesiedelt ist. Eine Kommunikationsabteilung hat in einem Unternehmen nicht automatisch etwas zu sagen. Auch viele CSR-Abteilungen sind Feigenblätter - sozusagen Auslagerung des Guten. Glaubwürdig werden solche Projekte, wenn sie nah an der Geschäftsleitung, nah an den wirklich Mächtigen angesiedelt sind.
Was würden Sie einem Personaler raten, der das Gefühl hat, mit seiner Personalarbeit noch nicht ausreichend aufgestellt zu sein?
Ich würde ihm raten, suchen Sie sich ein Netzwerk von Gleichgesinnten, in dem über solche Vorhaben beraten und gesprochen wird. Ganz wichtig ist aber, dass auch das Scheitern thematisiert wird. Nur so kann man lernen. Ich rate dazu, seine eigene, bekannte Arbeitswelt zu verlassen und sich auf neue Blickrichtungen einzulassen. Ich habe zum Beispiel einmal für eine Woche Haupt- und Realschule besucht, um mir die Lernrealität näher zu bringen, die für mich ja schon lange zurücklag. Oder sie sprechen mal mit Vertretern des örtlichen Migrantenverbands. Organisieren sie in ihrem Unternehmen eine offene Gesprächsrunde für die angestellten Frauen und reden sie darüber, wie sie die Unternehmenskultur empfinden. Das mutet vielleicht wie Kleinigkeiten an, aber die Auswirkungen können enorm sein.